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#Höllenfahrt mit angezogener Handbremse

„Höllenfahrt mit angezogener Handbremse“

Das Kino legt sich gern mit der Macht an. Nicht, dass es sie aus Prinzip verachtet. Aber wer von Helden erzählen will, muss ihnen große Hindernisse in den Weg legen, und das sind die Mächtigen allemal. Andererseits sind Filme, finanziert von Medienkonzernen, staatlichen Förderern und millionenschweren Privatinvestoren, immer auch ein Spiegelbild der herrschenden Kräfteverhältnisse. Diesem Zwiespalt, zugleich ein Medium der Armen und der Reichen zu sein, kann das Kino kaum entkommen, selbst dann nicht, wenn es die mächtigsten Instanzen auf Erden aufs Korn nimmt, den Staat und die Religion. Aber es kann den Widerspruch fruchtbar machen.

„Boy From Heaven“ ist der vierte Spielfilm des in Stockholm geborenen Regisseurs Tarik Saleh, der eine schwedische Mutter und einen ägyptischen Vater hat. Der Film, mit schwedischem, französischem, finnischem und dänischem Geld produziert, spielt in Ägypten. Adam, die Hauptfigur, ist ein junger Fischer, der ein Stipendium für die berühmte islamische Al-Azhar-Universität in Kairo bekommt. Dort tobt ein Machtkampf um die Nachfolge des verstorbenen Imams, der als Oberhaupt aller sunnitischen Moslems gilt. Der Geheimdienst, der bei der Neuwahl einen regierungstreuen Kandidaten durchsetzen will, rekrutiert Adam als Informanten. Der junge Fischer bewährt sich, er bespitzelt seine Freunde ebenso erfolgreich wie die Muslimbrüder, auf die er angesetzt wird. Zuletzt entlarvt er einen fundamentalistischen Scheich als Heuchler und bahnt so den Weg für den Favoriten der Militärs. Aber Adams Talent zum Verrat richtet sich gegen ihn selbst. Am Ende hat er verloren, was durch kein Geld der Welt wiederbeschafft werden kann: seine Seele.

Der Film wird in der arabischen Welt Epoche machen

Das Muster, nach dem „Boy From Heaven“ sein Sujet entwickelt, ist so alt wie das Kino selbst. Unzählige Gangsterfilme, Polizistenfilme, Anwaltsfilme funktionieren auf dieselbe Weise. Aber Tarik Salehs Wettbewerbsbeitrag ist trotzdem etwas fundamental Neues, weil er Dinge zeigt, die so im Kino noch nie zu sehen waren: eine islamische Universität als Schauplatz tödlicher Intrigen, ein Minarett als Ort der Bedrohung, einen Gebetsraum als Zentrum eines Komplotts. In der arabischen Welt wird der Film Epoche machen, und sei es nur wegen der vielen Proteste und Verbote, die er vermutlich auslösen wird. Das liegt nicht nur an seiner antiislamistischen Haltung, denn „Boy From Heaven“ ist zugleich ein wortloses Manifest des Arabischen Frühlings. Der Staat, den er zeigt, ist keinen Deut besser als die Herrschaft der Muslimbrüder, sein Apparat knechtet die Menschen nicht weniger als der politische Islam.

Wenn das Kino die Schlachten von gestern schlägt, sieht es meistens ziemlich alt aus. Auch die Geschichte, der sich Mathieu Vadepieds Film „Tirailleurs“ widmet, das Drama der senegalesischen Soldaten, die in beiden Weltkriegen für die Kolonialmacht Frankreich gekämpft haben, ist schon ein paarmal für die Leinwand adaptiert worden. Vadepied geht dennoch einen neuen Weg, denn er behandelt den historischen Stoff mit den Mitteln des Mainstreamkinos. Die Hauptrolle in „Tirailleurs“ spielt Omar Sy, der durch „Ziemlich beste Freunde“ berühmt geworden und inzwischen in Hollywood eine feste Adresse ist. Sy verkörpert den Senegalesen Bakary Diallo, der sich freiwillig zum Militärdienst im Ersten Weltkrieg meldet, nachdem sein Sohn Thierno von den Franzosen zwangsrekrutiert wurde. Aber sein Plan, möglichst bald mit Thierno aus den Schützengräben in die Heimat zu desertieren, scheitert, weil der Sohn sich bei seinem ersten Einsatz bewährt und zur Belohnung befördert wird. Nun ist er der Vorgesetzte seines Vaters, und diese Hierarchie wird alsbald auf die Probe gestellt.

Für Frankreich in die Schützengräben: Szene aus „Tirailleurs“


Für Frankreich in die Schützengräben: Szene aus „Tirailleurs“
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Bild: Festival de Cannes

Vierzehn Millionen Euro hat „Tirailleurs“ gekostet, und diese Summe sieht man den Kampfszenen durchaus an. Alexandre Desplat, der Komponist zahlloser Soundtracks von „The Queen“ bis „Shape of Water“, hat einen dichten Klangteppich über das Geschehen gelegt, und die Kamera von Luis Armando Arteaga bewegt sich mühelos zwischen Stacheldraht, Granattrichtern, Feldküchen und Etappen-Unterkünften. Die Schwachstelle des Films ist das Drehbuch. Offenbar im Bemühen, nichts zu zeigen, was ein Massenpublikum verstören könnte, haben Vadepied und sein Koautor Olivier Demangel eine Höllenfahrt mit angezogener Handbremse konstruiert.

Dem Grauen des Ersten Weltkriegs wird „Tirailleurs“ nicht annähernd gerecht, und den historischen Rahmen öffnet er nicht weit genug, denn von dem, was die Überlebenden des Gemetzels in Frankreich und im Senegal erwartet, bekommt man fast nichts zu sehen. Bleibt das Vater-Sohn-Drama. Aber hier schlägt eine Eigenart des französischen Kinos durch: Statt familiäre Konflikte auf die Spitze zu treiben, wie es Bergman oder Fassbinder getan haben, moderiert es sie lieber ab. Dass einer der beiden sich für den anderen opfern wird, ist klar, aber die Art, wie es geschieht, wirkt beinahe pflichtschuldig.

Die Auswahljury von Cannes hat „Tirailleurs“ mit sicherem Blick für den Rangunterschied als Eröffnungsfilm in die Nebenreihe „Un certain regard“ gesteckt. Es gibt eben Filme, die ein bisschen an den Regeln des Kinos herumspielen, und andere, die sie verändern. Jedes Jahr treffen sie sich in Cannes.

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