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#Der EU-Binnenmarkt: Europas vergessene Errungenschaft

„Der EU-Binnenmarkt: Europas vergessene Errungenschaft“

Die Prognose ist nicht allzu gewagt: An den allermeisten Europäern wird dieser runde Geburtstag sehr wahrscheinlich unbemerkt vorbeiziehen. Zum Jahreswechsel gibt es in Europa andere wichtige Themen – den Krieg in der Ukraine, den Erdgasmangel, die schmerzhaft hohe Inflation.

Marcus Theurer

Redakteur in der Wirtschaft der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Und trotzdem ist der bevorstehende Jahrestag ein ziemlich guter Grund zum Feiern: Vor 30 Jahren, in der Silvesternacht zum 1. Januar 1993, ist der Europäische Binnenmarkt in Kraft getreten. „In Europa soll die Freiheit nun grenzenlos sein“, schrieb damals der Wirtschaftsjournalist Hans D. Barbier in der F.A.Z. Skeptisch fügte er hinzu: „So ganz wörtlich ist das noch nicht zu nehmen.“

Der Binnenmarkt ist heute in der Europäischen Union so selbstverständlich wie fließendes Wasser und Kühlschränke. Stoff für den Gemeinschaftskunde-Unterricht: Nenne die vier Grundfreiheiten im Europäischen Binnenmarkt. Richtige Antwort: freier Handel von Waren und von Dienstleistungen, freier Kapitalverkehr und Freizügigkeit der Arbeitskräfte über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinweg.

Für mehr Wohlstand

Für Guntram Wolff ist der Binnenmarkt „der weiße Elefant im Raum“. So groß und wichtig sei er für die EU, dass ihn paradoxerweise keiner mehr wirklich wahrnehme, sagt der Ökonom. Er ist Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin und war bis zum Sommer lange Jahre Chef der Brüsseler Denkfabrik Bruegel. Wolff hält die Gründung des gemeinsamen Marktes für die „prägendste Errungenschaft“ im europäischen Staatenbund.

„China nimmt die EU nicht wegen ihrer moralischen Werte als Verhandlungspartner ernst, sondern wegen des Binnenmarkts“, sagt der Münchner Historiker Kiran Klaus Patel, ein Fachmann für die europäische Geschichte seit dem Zweiten Weltkrieg. Der Binnenmarkt ist neben den USA und China einer der drei dominierenden Wirtschaftsblöcke der Welt (siehe Grafik). Es gibt in der EU wenige Dinge, die so wenig umstritten als großer Wurf gelten wie der Binnenmarkt. Vielleicht wirkt er ja gerade deshalb so unscheinbar, weil sich darin alle einig sind.

Die Idee zum Binnenmarkt ist einfach. Sie tauchte schon in den Römischen Verträgen auf, der Geburtsurkunde des Staatenbundes von 1957 – ohne damals freilich verwirklicht zu werden. Die Überlegung lautet: Zölle im Warenverkehr, aber auch andere Hemmnisse wie unterschiedliche Standards und Regeln beeinträchtigen den Handel zwischen den europäischen Ländern. Werden sie beseitigt, sorgt das für günstigere Güterpreise, aber auch für mehr Wettbewerb über Ländergrenzen hinweg und dadurch für mehr Produktivität, kurzum: für mehr Wohlstand.

Die Bertelsmann-Stiftung hat vor drei Jahren von Wirtschaftsforschern errechnen lassen, wie viel reicher der Binnenmarkt die Europäer macht. Die Deutschen etwa haben laut dieser Rechnung einen Einkommenszuwachs von rund 1050 Euro pro Einwohner und Jahr. Vor allem Regionen in Bayern und Baden-Württemberg, die über eine leistungsstarke Exportwirtschaft verfügen, profitieren demnach besonders stark vom Binnenmarkt. In Ostdeutschland sind die wirtschaftlichen Vorteile allerdings viel geringer als im Süden.

Das alles klingt nach trockener Wirtschaftstheorie. Und Zahlen sind geduldig. Wer wissen will, was der Binnenmarkt im wahren Leben bedeutet, der kann sich zum Beispiel mit Heiko Sonne­kalb unterhalten. Er ist Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens im saarländischen Saarlouis. Die Lakal GmbH, die Rollläden und Tore herstellt und vertreibt, hat ihren Hauptsitz nur wenige Kilometer von der deutsch-französischen Grenze entfernt.

Sonnekalb ist 51 Jahre alt. Sein Vater habe noch als Zöllner gearbeitet, erzählt der Unternehmer. Lange her, die Grenze ist längst unsichtbar geworden. Sonne-kalb selbst lebt heute in Frankreich und pendelt jeden Tag in die Firma nach Saarlouis. So macht es die Mehrzahl der 320 Mitarbeiter von Lakal. Umgekehrt ist Frankreich der wichtigste Absatzmarkt für das deutsche Unternehmen. Drei Viertel des Umsatzes erwirtschaftet Sonnekalb im Nachbarland, den Rest in der deutschen Heimat. Seit der Jahrtausendwende haben sich die Erlöse von Lakal mehr als vervierfacht. „Made in Germany“, das sei für die Kunden in Frankreich immer noch ein Gütesiegel, berichtet Heiko Sonnekalb.

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