#Ich bin aus einer anderen Zeit
„Ich bin aus einer anderen Zeit“
Romane, heißt es, transportieren ein Geheimnis, Autobiographien hingegen zeigen die Wahrheit eines Lebens. Ein Gegensatz, den Ulrike Edschmids Geschichten in ihrer karg-nüchternen und dennoch beobachtungsreichen Erzählweise längst hinter sich gelassen haben. Die Figuren – Frauen mit Waffen, die als Terroristinnen angeklagt werden, ein Mann, der im Schusswechsel mit der Polizei stirbt – haben existiert. Es sind wahre Lebensläufe, von denen Ulrike Edschmid berichtet, die sich selbst in den siebziger und achtziger Jahren in einem linksradikalen Milieu in Berlin die Fragen nach dem richtigen Leben stellte, den Weg in den Untergrund aber nicht gehen wollte. „Levys Testament“, der gerade veröffentlichte vierte Roman, folgt einem jungen Briten, der den Londoner Häuserkampf gegen politischen Aktivismus in den Frankfurter Fabriken eintauscht. Die Zärtlichkeit, mit der Ulrike Edschmid, das vorsichtige und dennoch zentrale Ich im Roman, den Spuren ihres Geliebten folgt und seine Familiengeschichte entblättert, ist groß. Wie auch in den Romanen davor zeichnet sie damit nicht nur das Leben eines Einzelnen nach, sondern entfaltet auch das Panorama einer Zeit. Bis in die Gegenwart hinein, sodass Geheimnis und Wahrhaftigkeit einander die Hand geben.
Sie haben vor kurzem Ihren achtzigsten Geburtstag gefeiert und einen neuen Roman veröffentlicht. Das alles unter Pandemie-Bedingungen. Wie erleben Sie diese Ausnahmezeit?
Ulrike Edschmid: Mein Leben hat sich kaum verändert. Es ist sehr auf die Wohnung konzentriert und von Arbeit bestimmt. Ich habe erst mit fünfzig angefangen zu publizieren und noch viel vor. Ich arbeite schon an meinem nächsten Buch.
„Levys Testament“ ist inzwischen der dritte, autobiographisch inspirierte Roman über die Leben der Männer, die Sie selbst einmal geliebt haben. Wie verhalten sich Liebe und Literatur zueinander?
Ich denke nicht in Begriffen oder in Theorien. Ich bin eine Handwerkerin. Meine einzige Regel ist, dass ich weitgehend auf Adjektive verzichte. Adjektive stehen mir immer im Weg.
Und Sie vermeiden es, ihren Romanfiguren Namen zu geben.
Ja, wenn ich den Menschen in meinen Büchern Namen geben würde, wäre ich mit ihnen auf Du und Du. Aber ich suche keine Kumpanei, sondern einen respektvollen Umgang. Ich brauche einen Abstand zu diesen Figuren, obwohl ich ja alle, die ich beschreibe, auch gekannt habe. Ich möchte nicht mit ihnen verstrickt sein. In „Levys Testament“ nenne ich die Figur nur „der Engländer“, und das soll er auch bleiben. Man bewegt sich beim Schreiben immer an der Grenze zum Verrat. Meine Figuren müssen bei aller intimen Kenntnis auch wieder zu Fremden werden. Das schärft das Auge.
Sie lernten den „Engländer“ 1972 bei einem Ausflug nach London kennen. Sie wollten weg aus der Berliner linksradikalen Szene, den ständigen Hausdurchsuchungen durch die Polizei und den Verhaftungen Ihrer Mitstreiter. Der „Engländer“ begleitet Sie zurück nach Deutschland, um von innen heraus Aufstände oder Streiks in Fabriken zu organisieren. Später gründet er das erste Frankfurter Migrantentheater und stieg, noch etwas später, zu einem international gefeierten Opernregisseur auf. Der reale Mensch hinter dieser Geschichte lässt sich mit den Hinweisen, die Sie geben, leicht recherchieren.
Dennoch erzähle ich nicht die Biographie nach. Ich beschreibe, was er tut. Die Ergebnisse seines Tuns. Ich arbeite eben auch geschichtliche Fakten ab; das, was ich erlebt habe. Das sind eher Bilder, die sich aneinanderreihen.
Bilder, die durch ein erzählendes Ich verbunden sind, das sehr subtil im Hintergrund bleibt.
Es sind schon meine Sinneswahrnehmungen, die dabei sind. Viele sagen ja, dass meine Erzählweise etwas Filmisches hat.
Sie haben tatsächlich auch Film an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin studiert.
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