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#„Ich frage mich, ob die Tat andere Leute anstachelt“

„Ich frage mich, ob die Tat andere Leute anstachelt“

Sie arbeiten als Kassierer im Supermarkt einer Großstadt, für unser Gespräch möchten Sie lieber anonym bleiben. Wie haben Sie auf die Nachricht von dem Mord an einem Tankstellen-Beschäftigten in Idar-Oberstein reagiert?

Julia Anton

Redakteurin im Ressort Gesellschaft bei FAZ.NET

Der Fall beschäftigt mich seit Tagen. Es hätte genauso gut jeden meiner Kollegen oder mich treffen können. Jeder, der im Einzelhandel arbeitet, hat seit anderthalb Jahren mit Kunden zu tun, die sich nicht an die Corona-Maßnahmen halten wollen. Ich muss eigentlich in jeder Schicht jemanden darauf hinweisen, bitte die Maske aufzusetzen. Jetzt stellt man sich natürlich schon die Frage: Spreche in den ein oder anderen Kunden noch darauf an? Der Täter wollte ja nach eigenen Angaben ein Zeichen setzen und wird dafür jetzt auch noch in einigen Verschwörungsnetzwerken gefeiert. Ich frage mich, ob die Tat andere Leute anstachelt, das ist keine schöne Situation.

Wie haben die Menschen bislang reagiert, wenn Sie sie angesprochen haben?

Manche haben es schlicht vergessen, das ist kein Problem. Aber es gibt auch immer wieder den ein oder anderen, der sich weigert. Dann gibt es Diskussionen. Ich kann gar nicht zählen, wie viele Leute ich deshalb schon des Ladens verweisen musste. Bislang musste ich aber noch nie die Polizei rufen, so sehr ist es zum Glück noch nie eskaliert. Seit dem Mord in Idar-Oberstein musste ich tatsächlich noch niemanden auffordern, seine Maske aufzusetzen. Ich weiß noch nicht, ob ich in der nächsten Situation nicht vielleicht eher nachgebe.

Haben Sie sich schon mal bedroht gefühlt?

Ich persönlich nicht. Ich mache den Job schon seit 15 Jahren und trainiere Taekwondo, ich kann mich verteidigen. Wir sind es im Einzelhandel gewohnt, dass es immer wieder Kunden gibt, die uns wie Fußabtreter benutzen. Da entwickelt man eine dicke Haut. Die Tat in Idar-Oberstein hat allerdings ein anderes Niveau: Hier ist jemand mit einer Waffe zurückgekehrt und hat einem Kollegen ins Gesicht geschossen. Da hilft auch Kampfsport nicht.

In Idar-Oberstein hat ein Mann einen Tankstellen-Kassierer erschossen. Der Tatverdächtige wollte sich nicht an die Corona-Regeln halten.


In Idar-Oberstein hat ein Mann einen Tankstellen-Kassierer erschossen. Der Tatverdächtige wollte sich nicht an die Corona-Regeln halten.
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Bild: dpa

Sprechen Sie mit Ihren Kollegen über den Fall?

Ja, das beschäftigt uns alle. Wir sind ja angehalten, auf die Einhaltung der Regeln zu achten. Machen wir das nicht, gibt es Ärger mit dem Ordnungsamt. Ob die für dafür jetzt Verständnis haben, weiß ich nicht. Ich könnte gut verstehen, wenn sich Kollegen entscheiden, einen Kunden nicht anzusprechen. Selbstschutz geht eigentlich vor, und wir können den Leuten ja nicht in den Kopf gucken. Eine Anweisung von ganz oben, die Pflicht weiterhin strikt durchzusetzen, gab es bislang nicht. Ich hab das Gefühl, dass die Manager selbst nicht wissen, was sie Ihren Mitarbeitern sagen sollen. Es ist etwas anderes, ob ich als Manager sage, was zu tun ist, oder ob ich das dann als Kassierer dem Kunden gegenüber vertreten muss. Da hat bisher noch niemand darüber nachgedacht, dass wir uns mit einem Hinweis auf die Maskenpflicht in eine gefährliche Situation begeben könnten.

Gibt es Kunden, mit denen Sie regelmäßig über die Maskenpflicht diskutieren müssen?

Nein, aber das liegt daran, dass ich relativ schnell Hausverbot erteile, wenn ich öfter als einmal etwas sagen muss. Die entsprechenden Kunden kommen dann nicht mehr rein. Aber das ist sicherlich von Markt zu Markt unterschiedlich.

Würden Sie sich Schutz durch Security-Personal wünschen?

Auch das hängt natürlich von der Lage des Markts ab, inwiefern da Bedarf ist. Der Markt, in dem ich tätig bin, liegt in einem Ausgeh-Viertel. In den Abendstunden haben wir deshalb bereits Security-Personal vor Ort, ich würde mir aber in der Tat wünschen, dass es rund um die Uhr da wäre.

Laut dem Handelsverband gibt es keine flächendeckenden Probleme bei der Durchsetzung der Maskenpflicht. Wie nehmen Sie das wahr?

Die allermeisten Kunden halten sich natürlich an die Regeln, das stimmt. Das Problem ist: die Kunden, die keine Maske aufsetzen wollen, sind auch die, die direkt richtig Stress machen. Die machen auch mal richtig Krawall, sodass man ihnen Hausverbot erteilen oder im Ernstfall sogar die Polizei rufen muss. Das ist nur ein geringer Teil, trotzdem würde ich mir hier eine klare Stellungnahme des Verbands wünschen. Jeder Verkäufer ist jetzt im Grunde zur Zielscheibe geworden. Da ist mir egal, ob das ein flächendeckendes Problem ist oder nicht, denn wir haben gerade gesehen: Es reicht ein Kunde, der ausrastet, eine Waffe zückt und schießt.

Welche Art von Unterstützung wünschen Sie sich jetzt?

Zum einen, dass die Unternehmen nochmal deutlich machen: Der Selbstschutz von uns Mitarbeitern muss immer Vorrang haben, und dass es im Zweifel okay ist, wenn wir Kassierer uns zurückhalten. Zum anderen, dass man nochmal verstärkt über Security nachdenkt – auch wenn ich natürlich nicht weiß, inwiefern Schutzpersonal die Möglichkeit gehabt hätte, in Idar-Oberstein einzugreifen.

Braucht es auch mehr Rückhalt aus der Gesellschaft?

Auf jeden Fall. Am Anfang der Pandemie hieß es noch: Wir seien systemrelevant, es wurde geklatscht, die Kunden waren sehr viel freundlicher. Das ist verflogen. Es wäre schön, da wieder mehr Rückhalt zu spüren – auch politisch. Viele große Politiker wie Armin Laschet haben meines Erachtens zu vage reagiert. CDU-Bundestagskandidat Friedrich Merz hat am Donnerstag auf Twitter lediglich von „gesellschaftlichem Dissens“ gesprochen, der durch die Maskenpflicht entstehe. Auch Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner hat im Zusammenhang mit dem Mord nur von „unterschiedlichen Sichtweisen“ auf die Corona-Regeln gesprochen. Solche Aussagen verharmlosen den Mord in Idar-Oberstein und die zunehmende Aggressivität in unserer Gesellschaft. Die AfD hat sich sowieso zurückgehalten. Kurz vor der Wahl wünsche ich mir, dass jeder bei seiner Entscheidung miteinbezieht, wie sich Politiker äußern. Wir sind mehr als drei Millionen Beschäftigte im Einzelhandel. Jeder in unserer Gesellschaft kennt jemanden, der dort tätig ist. Dieses Opfer hätte jeder von uns sein können.

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