#Wo Geflüchtete an Jobs kommen
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„Wo Geflüchtete an Jobs kommen“
Masha Holub war gerade im Urlaub in Barcelona, als in ihrer Heimat der Krieg ausbrach. Sie hatte nur einen Rucksack dabei und wollte zum Geburtstag ihres Bruders zurück in Kiew sein – Sorgen, dass Russland die Ukraine angreifen könnte, hatte sie vor dem Abflug nicht. „Ich hätte das nicht für möglich gehalten und dachte in den ersten Tagen die ganze Zeit: Das kann nicht sein, das ist ein böser Traum“, erzählt sie.
Heute, genau einen Monat später, merkt man der 26-Jährigen am Telefon an, wie sie mit ihren Gefühlen kämpft. Einerseits wolle sie einfach nur weinen, weil die ganze Situation so furchtbar sei, erzählt sie. Weil sie sich Sorgen um ihre Familie macht, die immer noch in Kiew ist und mit der sie jeden Tag spricht. Andererseits hat sie sich entschlossen, stark zu sein, Geld zu verdienen und ihre Familie und Landsleute zu unterstützen, so gut es aus der Ferne irgendwie geht.
Über Freunde erfuhr Masha Holub von einem Projekt der Unternehmer Marcus Diekmann und Christian Weis. Sie haben wenige Tage nach Kriegsbeginn die Plattform „Job Aid Ukraine“ ins Leben gerufen – ein Vermittlungsportal, auf dem Unternehmen kostenlos Stellen für Flüchtlinge aus der Ukraine einstellen können. Rund 11.000 sind es bislang, im Minutentakt kommen neue hinzu. Gesucht werden Java- und Cloud-Entwickler ebenso wie Pflegekräfte, Floristen, Köche und Lkw-Fahrer. Diekmann hat große Unternehmen als Unterstützer gewonnen, darunter SAP und die Deutsche Bank, die Mitarbeiter mit Programmiererfahrung freigestellt und selbst Stellenanzeigen geschaltet haben. Die Spendenzusagen – Job Aid Ukraine wird gerade ein gemeinnütziger Verein – belaufen sich bislang auf mehr als 200.000 Euro.
Masha Holub
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Bild: Anna Voelske
Hoher Bedarf an neuen Mitarbeitern
Diekmann kommt kaum zum Luftholen, wenn er erzählt, was sich auf der Plattform gerade alles tut. Aber nicht nur bei ihm in Coesfeld im Münsterland geht es Schlag auf Schlag. Während viele der inzwischen mindestens 246.000 geflüchteten Ukrainer in Deutschland noch gar nicht wissen, wie es weitergeht, stellen die Unternehmen schon Tausende Arbeitsangebote speziell für sie zur Verfügung – um zu helfen, aber natürlich auch, weil sie einen enormen Bedarf an neuen Mitarbeitern haben. Zuletzt gab es hierzulande 1,7 Millionen offene Stellen, so viele wie noch nie. Die als gut ausgebildet geltenden Ukrainer könnten – das dürfte zumindest die Hoffnung sein – womöglich einen Teil der Lücke füllen.
Täglich um 12.00 Uhr
Die Plattform „UA Talents“, gegründet von den beiden in Berlin ansässigen ukrainischen Unternehmern Ivan Kychatyi und Nikita Overchyk, hatte zum Start vor zweieinhalb Wochen jedenfalls ebenfalls schon mehr als 5000 Stellen vor allem aus dem Technologiesektor im Angebot. Sie wird von namhaften Firmen wie dem Internetkonzern Meta, dem Modehändler Zalando und Risikokapitalgebern wie Project A und Earlybird unterstützt. Und auch das Netzwerk „Unternehmen integrieren Flüchtlinge“, im Jahr 2016 als gemeinsame Initiative des Deutschen Industrie- und Handelskammertages und des Bundeswirtschaftsministeriums gegründet, verzeichnet ein großes Interesse von Unternehmen, wie Projektleiterin Sarah Strobel erzählt. Allein im März hätten sich bisher 100 Betriebe registriert, normalerweise seien es zwischen 20 und 25 im Monat. Die Unternehmen böten unter anderem Arbeitsplätze und Praktika für Geflüchtete aus der Ukraine an. „Bis es in größerem Umfang zu Einstellungen kommt, wird es aber noch etwas dauern“, sagt sie. „Das Interesse der Unternehmen ist bisher größer als das der Geflüchteten.“
Marcus Diekmann, Gründer von Job-Aid-Ukraine
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Bild: Anna Voelske
Massenzustrom-Richtlinien sind aktiviert
Das dürfte vor allem daran liegen, dass bislang hauptsächlich Frauen und Kinder einreisen, die erst einmal andere Sorgen haben als die Suche nach einem neuen Job. Sie haben Angst um ihre Ehemänner und Väter in der Heimat, brauchen eine Wohnung und einen Platz in einer Kita oder Schule. Und doch gibt es auch Frauen wie Masha Holub, die so schnell wie möglich eine Arbeit finden wollen, auch wenn sie noch gar nicht wissen, wie lange sie bleiben, und hoffen, bald in ihre Heimat zurückkehren zu können. Holub hat in ihrer Heimat als Influencerin für Adidas gearbeitet und ist nun als eine der wenigen festangestellten Mitarbeiter als Social-Media-Managerin für die Plattform Job Aid Ukraine tätig.
Möglich ist das nur, weil die EU-Staaten nach Beginn des russischen Angriffs sehr schnell und zum ersten Mal überhaupt die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie aktiviert haben. Geflüchteten aus der Ukraine wird dadurch nicht nur ohne Asylantrag ein Aufenthaltsrecht für bis zu drei Jahre gewährt, sondern auch eine sofortige Arbeitserlaubnis. Das war 2015, in der großen Fluchtwelle aus Syrien, dem Irak und Afghanistan, noch anders. Die Menschen mussten damals in Deutschland zunächst ein aufwendiges und teils jahrelanges Asylverfahren durchlaufen, bis sie eine Arbeit aufnehmen durften. Nun geht alles ganz schnell.
Zumindest in der Theorie. Wie viele Geflüchtete aus der Ukraine tatsächlich bald Arbeit in Deutschland finden, ist noch offen, zumal viele von ihnen bislang kein Deutsch sprechen – auch das eine Hürde. Job-Aid-Ukraine-Gründer Diekmann zufolge, der im Hauptjob Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft von Peek und Cloppenburg sowie Beirat des Fahrradhändlers Rose Bikes ist und derzeit nach eigener Aussage nur vier Stunden schläft, rufen am Tag mehrere Zehntausend Menschen die Plattform auf. Einer ersten Schätzung zufolge seien bislang rund 1000 Vorstellungsgespräche zustande gekommen, berichtet er. Wie viele Einstellungen daraus resultierten, weiß er allerdings nicht. Diekmann will die Plattform nun nach und nach erweitern und die Integration aller Geflüchteten fördern. Auch im Ausland ist sein Projekt schon auf Interesse gestoßen: Studenten aus England wollen es nach Großbritannien holen.
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