Nachrichten

Im Bürgerhospital in Frankfurt werden die meisten Babys geboren

Der Morgen beginnt mit einem Schnitt in den hochgewölbten Bauch einer Schwangeren. Die Vorbereitungen eines eingespielten Teams, das 15 Minuten zuvor in stummen Vereinbarungen den Operationssaal vorbereitet hat, sind notwendige Präliminarien für Franz Bahlmanns Auftritt: Der Chefarzt übernimmt die Sectio heute persönlich. Der Eingriff dauert nur wenige Minuten, dann hebt er den Kopf des Kindes heraus, zieht dann den ganzen kleinen blutverschmierten Körper vorsichtig, aber bestimmt ins Freie, ans Licht, an die Luft. Der Schock für das kleine Wesen muss nach neun Monaten im warmen Fruchtwasserbad enorm sein, sein empörter Schrei ist dennoch eine Erlösung, die nicht nur bei den Eltern ein Lächeln auslöst.


„Wir haben den besten Job in der Klinik. Jede Geburt ist anders, und es ist jedes Mal etwas Besonderes.“

ANNETTE MEYER, OP-Schwester


OP-Schwester Annette Meyer hat die Geburt durch ein Fenster vom Nebenraum aus verfolgt: „Wir haben den besten Job in der Klinik. Jede Geburt ist anders, und es ist jedes Mal etwas Besonderes.“ Sie arbeitet seit 22 Jahren im Frankfurter Bürgerhospital, das Krankenhaus, das in ganz Deutschland die meisten Babys in die Welt holt. 4374 waren es im vergangenen Jahr.

Nie langweilig: Eine OP-Schwester sieht aus dem Nebenraum bei einer Geburt zu.

Es braucht ein eingespieltes Team, um ein Kind per Sectio auf die Welt zu bringen.

Die Choreographie der vielen Hände über dem Operationstisch zeigt nun, wie eine Nabelschnur abgeklemmt, die Käseschmiere dem Neugeborenen grob abgewischt wird, um das Kind dann vorsichtig der Mutter auf die Brust zu legen. Diese ersten Minuten des Kennenlernens müssen kurz gehalten werden, die wichtige Erstuntersuchung steht an. Der Vater, der während der Geburt sehr bestimmt angewiesen worden war, auf keinen Fall über das Tuch zu schauen, das ihn vom aufgeschnittenen Unterleib seiner Frau trennt, darf nun die Hebamme Caroline Tieck und seine Tochter ins Nebenzimmer begleiten, während die Wunde der Mutter vernäht wird.

Tieck ist eine gut gelaunte Entdeckerin, die sich zusammen mit dem Vater über jeden der zehn Finger, der zehn Zehen zu freuen schein. Das junge Leben wird vermessen: Gewicht 2950 Gramm, Kopfumfang 35, Körperlänge 50 Zentimeter. Sanft und sicher geht Tieck mit dem kleinen Menschlein um, beschreibt dem Vater beruhigend, was sie gerade tut. Im Mund nachsehen, ob die Gaumenspalte geschlossen ist, ein paar Tropfen Vitamin K verabreichen, um Blutungen vorzubeugen, und dann noch ein Mützchen aufsetzen, damit die Körperwärme erhalten bleibt.

Dann kann auch der Vater seine Tochter zum ersten Mal in den Arm nehmen.

Im Kreißsaal

Über den OP-Sälen ist das Reich der Hebammen. Sie begleiten die spontanen Geburten über viele Stunden. „Die Ärzte haben alle Patienten im Blick, wir nur eine einzige Mutter“, so beschreibt es Julia Magsig, stellvertretende Leitende Hebamme. 80 Hebammen, einige davon in Teilzeit, arbeiten im Bürgerhospital in drei Schichten. Die Mitarbeiterinnen sind so international wie ihre Patientinnen, sie stammen aus Rumänien, Lettland, Griechenland, Spanien, der Türkei, Brasilien, Ghana und Iran, zählt Helena die Mattio auf, die selbst vor sieben Jahren aus Italien nach Frankfurt gekommen ist. Heute ist sie stellvertretende Leitende Hebamme. Sie schätzt die Vielfalt der Aufgaben, aber auch die Entlastung von der Bürokratie, die in kleineren Häusern zum Teil ebenfalls auf den Hebammen laste. Zu ihren Aufgaben im „Bürger“ zählen die Schwangeren-Ambulanz, die Anleitung zahlreicher Hebammen-Studentinnen, der Dienst am Wochenbett oder im OP-Saal, Stillberatung und die Vorsorgeuntersuchungen.


„Die Ärzte haben alle Patienten im Blick, wir nur eine einzige Mutter.“

JULIA MAGSIG, stellvertretende Leitende Hebamme


Nicht alles zusammen, sondern jeweils eingeteilt in Schichtdienste. In sieben Entbindungszimmern und Kreißsälen, die unter anderem mit Wassergeburtswannen, Hängetüchern und Doppelbetten ausgestattet sind, begleiten die Hebammen die Geburten. Ihrer Verantwortung sind sie sich bewusst: „Die Familien werden sich immer an uns erinnern“, sagt Magsig. „Was hier geschieht, sind die Geschichten, die sie ein Leben lang weitererzählen.“

Möglichst ruhig und entspannend soll die Atmosphäre in den Entbindungszimmern sein. Weil es unter der Geburt meist nicht so bleibt.

Seit Januar 2024 hat das Bürgerhospital auch einen eigenen Hebammenkreißsaal, in dem risikoarme Geburten auf ganz natürliche Art und Weise ablaufen können. Ohne Intervention von Arzt oder Anästhesist, sofern kein Notfall ein Eingreifen erforderlich macht. Die Gebärenden, die dieses Angebot suchen, sind meist Ende zwanzig, Anfang dreißig. Gelassenheit und wenig Eingriffe stehen hier auf der Hausordnung. „Man braucht Zeit und Ruhe für eine Geburt. Wir sind dann einfach da“, sagt Hebamme Anna Schönewolf. Die Betreuung ist eins zu eins gedacht: Eine Frau ist für eine werdende Mutter da. „Mit ganz viel Hebammenkrempel“, wie Schönewolf scherzend sagt: Bauchmassagen mit Öl, Fußbäder und vor allem viel Motivation, damit die Mutter ihr selbst gestecktes Ziel, ohne Schmerzmittel zu gebären, auch erreichen kann. Die Frauen, die durch die Schockwellen der Wehen gehen, müssen ihre Empörung über den Schmerz aushalten, die Hebammen die Wut und Ungeduld der Mütter, wenn es nicht so vorangeht wie erhofft. Das kostet Kraft auf beiden Seiten, beschert aber auch ein besonderes Erlebnis.

Auf der Frühchen-Station

Am Eingang zur Neonatologie, wo die Frühchen versorgt werden, hängt ein kleines Schmetterlingsbild. Für jeden Besucher der Station eine hübsche Dekoration, für die Mitarbeiter ein Zeichen: Heute ist ein Kind gestorben. Damit jeder weiß, dass trauernde Eltern und belastete Kolleginnen auf den Fluren anzutreffen sein werden.

Bei der Schichtübergabe sprechen die Krankenschwestern über den Tod eines Kindes. Der Schmetterling ist das Zeichen dafür an die Belegschaft.

Diese Station, die sich noch mehr als alle anderen dem Neuen, dem Leben, der Zukunft verschrieben hat, muss auch solche Verluste ertragen. Eine Hebamme der Neonatologie war am Morgen zu einem Notarzteinsatz hinzugerufen worden, weil die Eltern eines sieben Tage alten Säuglings, der andernorts geboren wurde, in großer Sorge um ihr Kind waren. Das Baby wirkte apathisch und wurde so schnell wie möglich ins Krankenhaus gebracht. Doch auch dort konnte es nicht mehr gerettet werden.

Bei der Schichtübergabe überbringen die Hebammen der Morgenschicht die Nachricht an ihre Kolleginnen der Spätschicht. In diesem Fall kennen sie weder die Mutter noch das Kind, dennoch ist die Anteilnahme in den Pausen zwischen den Sätzen spürbar.

Im Besprechungsraum wird der Lebenden gedacht und wie sie am besten zu versorgen sind. Denn auch sie haben mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Babys werden beim Namen genannt, welche Medikamente sie benötigen, welches Ziel sie schon erreicht haben. Auch wie es den Eltern geht, ob Besuch zu erwarten ist.

Überleben im Brutkasten

Aus der Ferne gibt der Brutkasten seinen kostbaren Inhalt nicht preis, eine schützende Decke ist darüber ausgebreitet. Darunter liegt ein kleines Häufchen Mensch, ein filigranes Wunder, so klein, dass man schützend die eigenen Flügel darüber breiten möchte, wenn man welche hätte. Im Kasten selbst sorgt die Technik für mütterliche Temperatur und Feuchtigkeit. Die Körper der Frühgeborenen sind noch nicht darauf vorbereitet, allein zu atmen oder Nahrung zu verdauen, sagt Kinderkrankenschwester Stefanie Müller. Alles ist so viel anstrengender, wenn man noch so klein ist. Das winzige Lebewesen schläft viel. Ein kleiner gehäkelter Tintenfisch liegt neben ihm. Die Tentakel des kleinen Oktopus sollen dem Greifreflex der kleinen Hände ein Angebot machen, die bis vor Kurzem noch im Bauch der Mutter mit der Nabelschnur gespielt haben. Ohne das kleine Spielzeug besteht die Gefahr, dass sich das Frühchen einen der vielen Schläuche oder Sensoren vom Leib reißt und dabei verletzt.

Alles ist winzig: Kinderkrankenschwester Stefanie Müller kümmert sich um ein Frühchen. Es hat einen Tintenfisch neben sich, um an den Tentakeln statt an den Schläuchen zu ziehen.

Die Kinderkrankenschwester kontrolliert die Werte, die die Sonden am Körper des Babys ständig registrieren. Weichen sie auffällig ab, wird ein Alarm ausgelöst. Alle sechs Stunden werden die Frühchen versorgt, die Windeln gewechselt, bei Bedarf Blut abgenommen. „Schätzchen, wir brauchen nur ein paar Tröpfchen“, sagt Stefanie Müller fast bittend. Etwas Blut wird in einem Miniröhrchen aufgefangen, die Einstichstelle mit einem Minipflaster abgedeckt. Dann noch ein wenig Creme auf den Mund, damit die Lippen nicht borkig werden. Die Kinderkrankenschwester formt aus Tüchern ein Nestchen für das kleine Wesen, das nun wieder schlafen, ausruhen, Kraft sammeln darf. Es kam zwölf Wochen zu früh auf die Welt. Jetzt wiegt es schon 970 Gramm.

Nebenan hat sich die Pflege schon ausgezahlt: Ein gelber Luftballon mit handgemalter Aufschrift zeigt an, dass das Frühchen im Nachbarbett nun schon mehr als 1000 Gramm wiegt. In einem Tagebuch mit Polaroidfotos und Notizen halten die Mitarbeiter der Station die Meilensteine der Frühgeborenen fest – für die Eltern, die nicht immer dabei sein können. Gerade schläft das Frühchen auf der nackten Brust seines Vaters, unter warmen Decken. Er lächelt freundlich und still, wenn Besucher hereinkommen und ihn so sehen. Kuscheln, sagt Stefanie Müller, sei mit das Wichtigste für die kleinen Wesen: „Davon kann es gar nicht genug geben.“ Deshalb ist es in der Neonatologie auch von 9 bis 14 und 15 bis 22 Uhr erlaubt. Häufig wechseln sich die Eltern ab, manchmal dürfen auch enge Angehörige oder Freunde zum Kuscheln kommen.

Hilfe bei Risikoschwangerschaften

Die Geburtshilfe des Bürgerhospitals ist ein Perinatalzentrum der Stufe 1, mit einer Intensivstation für Frühgeborene, aber auch der Expertise für Risiko- und Mehrlingsgeburten. Im Haus werden daher überdurchschnittlich viele Zwillinge und sogar Drillinge geboren. In der Regel droht auch dabei eine Frühgeburt, müssen die letzten Wochen vor dem errechneten Entbindungstermin engmaschig überwacht werden. Das Komplikationsrisiko ist bei eineiigen Zwillingen sogar noch höher als bei zweieiigen.

Vorsorgeuntersuchungen lösen fast immer Nervosität aus, bei einer Risikoschwangerschaft können sie nervenaufreibend oder erlösend sein.

Franz Bahlmann, der die Geburtshilfe im Krankenhaus seit 21 Jahren leitet, überwacht die Schwangerschaft einer jungen Frau, deren Gebärmutter nach außen drückt. Ein Prolaps. In der fünften Schwangerschaftswoche wurde das Problem erkannt, nun hat sie bereits die 29. Woche erreicht. Allerdings muss sie meistens liegen und wird zum Untersuchungstermin im Rollstuhl gefahren. Das Risiko einer Frühgeburt ist hoch, aber jede weitere Woche im Bauch hilft der gesunden Entwicklung des Kindes. „Der beste Brutkasten ist die Mutter“, so fasst es Bahlmann zusammen. Angespannt sieht die werdende Mutter auf das Ultraschallbild ihres Bauchs, das auf dem Monitor erscheint. Bahlmann macht einen Scherz, und sie entspannt sich ein wenig. Der Gynäkologe vermisst den Fötus und schließt auf ein Gewicht von 1100 Gramm: „Super, es nimmt jetzt 20 bis 30 Gramm am Tag zu.“ Die Kontrolle ist gut gelaufen.


„Ich möchte das Team wachhalten, damit sie neugierig auf die Menschen und auf Fachwissen bleiben.“

FRANZ BAHLMANN, Chefarzt der Geburtshilfe


Die moderne Medizin habe die Überlebenschancen von Frühgeborenen deutlich gesteigert, sagt Bahlmann. Sogar schon von der 23. Woche an. Die Ultraschalldiagnostik im Haus genüge höchsten Anforderungen, auf interne Weiterbildung legt er großen Wert, jeden Donnerstag tauschen sich die Ärzte über neue Studien aus. „Ich möchte das Team wachhalten, damit sie neugierig auf die Menschen und auf Fachwissen bleiben“, mit diesen Worten fasst Bahlmann sein Ziel zusammen.

Bis heute, schätzt der Gynäkologe, hat er mehr als 10.000 Babys auf die Welt gebracht. Doch seine erste Geburt hat er nie vergessen – obwohl er sie eher zufällig miterlebte. Aber das Erlebnis „hat mich geflashed“, sagt er mit einem Blitzen in den Augen, das das Bild von früher aufleuchten lässt. Geburten begeistern ihn immer noch.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!