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#Im Riesenkoffer steckt die Welt

Im Riesenkoffer steckt die Welt

Die Kunst- und Wunderkammern treffen einen Nerv unserer Gegenwart. Was für lange Zeit als Kuriositätenkabinette belächelt, wenn nicht gar beargwöhnt war, findet nun wieder hohe Aufmerksamkeit. Entstanden sind sie im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert, bevor die Museen, wie wir sie heute kennen, mit neueren Ordnungsprinzipien ihren Siegeszug antraten. So kommen die Wunderkammern in allen ihren Variationen mit ihrem enzyklopädischen Ansatz einem Bedürfnis entgegen, das schon länger unter Crossover firmiert und das nicht zuletzt bei der Klientel der privaten Sammler starken Anklang findet. Es scheint fast langweilig geworden zu sein, Kunstwerke und andere Objekte nach Epochen oder Herstellungsarten, wie nach Alten Meistern, Skulptur der Moderne oder Fotografie, zu sortieren und zu kombinieren.

Rose-Maria Gropp

Rose-Maria Gropp

Redakteurin im Feuilleton, verantwortlich für den „Kunstmarkt“.

Viel interessanter sind Konfrontationen und Korrespondenzen über solche Grenzen hinweg geworden, chronologisch wie von der Entstehung her, also Kunst und Künstlichkeit versus Natur und Natürlichkeit. Dazu lässt sich eine neu entflammte Begeisterung für handwerkliche Perfektion beobachten, deren Erzeugnisse noch bis vor kurzem eher als Dekorationsmaterial im Schatten standen. Und nicht zuletzt: Hinzu kommt die, freilich über alle Zeiten hin nie erloschene, Faszination für Monstrositäten aller Art, für die Allüre exzentrischer Darstellungen und die Launen der Natur. All das lässt sich in dem großformatigen Prachtband „Das Buch der Wunderkammern“ betrachten, er ist ein Pan-optikum des Staunens.

Bildnisse katzenköpfiger Menschen

Im Vorwort erläutert der italienische Kunsthistoriker Antonio Paolucci, der von 2007 bis 2016 Generaldirektor der Vatikanischen Museen war, die Entstehungsgeschichte: „Wegweisendes Vorbild für die Kunst- und Wunderkammer aus der Zeit des Manierismus und des Barocks war das studiolo, das Studierzimmer. In der italienischen Renaissance galt es als klassisches Requisit des humanistischen Intellektuellen, fand aber auch im Hochadel Verbreitung, quasi als Aushängeschild der geistigen Ambitionen des Landesfürsten, der sich dorthin zurückzog, um sich eingehend mit historischen, künstlerischen und philosophischen Fragen zu beschäftigen.“

Bevor das museale Sammeln systematisch wurde: Sanduhren.



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Wunderkammern
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Im Riesenkoffer steckt die Welt

Was bedeutet, man versammelte da „archäologische Fundstücke, seltene Metalle, Edel- und Halbedelsteine, Goldschmiedearbeiten, Bücher, wissenschaftliche Geräte, Gemälde und Skulpturen, Exotica und Naturalia“. So zog sich der Condottiere Federico da Montefeltro in seinem Palast ins Studierzimmer zur Lektüre zurück wie es auch Isabella d’Este tat oder der Kardinal Alessandro Farnese.

Wie unterschiedlichen Ausdruck solche Neigung zu Einsicht und Wissen fand, zeigen die Beispiele der Wunderkammern im Buch. Der Streifzug beginnt mit der glitzernden Wucht des Grünen Gewölbes in Dresden, in dessen barockem Gesamtkunstwerk sich August der Starke gespiegelt sehen wollte. Der Weg führt über Österreich, Dänemark und Schweden nach Italien, Frankreich und England, dabei an manche Orte, die abseits der üblichen Besichtigungsroutinen liegen.

Im Kunsthistorischen Museum in Wien ist bewahrt, was nach Dreißigjährigem Krieg und Zerstreuung von den Schätzen übrigblieb, die einst der Habsburger Rudolf II. für die berühmte Wunderkammer seiner Residenz in Prag angesammelt hatte. Und wer einmal im Schloss Ambras in Tirol war, wo die „Sammelwut“ von Erzherzog Ferdinand II. von Habsburg „fast wahnhafte Züge“ annahm, so schreibt es Paolucci, der wird nie vergessen, dass auch Mirabilia und Artficialia zur Systematik des Inventars gehören konnten. Am finsteren Ort erscheinen Bildnisse katzenköpfiger Menschen oder das Porträt von Vlad III. Dracula. Korallenstöcke bäumen sich langfingrig, erst die Nahsicht erlaubt zu erkennen, dass sie von unbekannter Hand zu einer Kreuzigungsszene feinst beschnitzt wurden. Ein grade zwanzig Zentimeter hohes Tödlein aus Birnbaum tanzt in Lumpen um seine Knochen. Ein anderes Skelett aus Kalkstein steht mit lächelndem Schädel und lässig gekreuzten Beinen da, verträumt mit Überresten seinesgleichen spielend, von einem Schrein mit bunten Steinen eingefasst. Eleganter nicht könnte jenes „Media vita in morte sumus“ inszeniert sein.

Verwirrspiel zwischen Natur und Künstlichkeit

Am Ende will sich ja all dieses menschliche Anhäufen gegen das Wissen um die Vergänglichkeit stemmen. So steht, ganz anders, in Schweden „Det Augsburgska konstskapet“ aus Ebenholz, der überreich verzierte Kunstschrank im Museum Gustavianum in Uppsala. Es ist eine Art Riesenkoffer, den einst Gustav II. Adolf von der Stadt Augsburg geschenkt bekam. Das Kabinett enthält in seinen Schubladen und Geheimfächern Tausende von Objekten aus Elfenbein, Emaille und Stein, „ein Abbild der gesamten Welt in einem einzigen Möbelstück“, so Antonio Paolucci. Die Fotografien im Buch zeigen aus nächster Nähe die Details eines spektakulären Prunkmöbels, samt seinen Miniaturmalereien auf den Intarsien aus Alabaster oder Pietra dura.

Es ist immer wieder das abenteuernde Verwirrspiel zwischen Natur und Künstlichkeit, zumal in ihren hybriden Formen, zwischen forscherischem Streben und blanker Zurschaustellung, das in den einstigen Kunst- und Wunderkammern auf die Spitze getrieben ist. Nicht erst seit heute sind diese Zeugnisse in kostbaren Vitrinen und Schaukästen weggesperrt, der direkten Ansicht schützend entzogen. Im Buch holt sie der Fotograf Massimo Listri aus ihren Schränken heraus. Mit eindrucksvoller Lichtregie führt er sie vor Augen, als wären sie zum Greifen nah.

Massimo Listri: „Cabinet of Curiosities. Das Buch der Wunderkammern. Cabinets des Merveilles“. Einleitung von Antonio Paolucci, Katalog Giulia Carciotto.Taschen Verlag, Köln 2020. 356 S., geb., 100,– €.

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