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#Im Tal der Vorahnungsvollen

„Im Tal der Vorahnungsvollen“

Was zwischen den Buchdeckeln eines Romans steht, darf Anspruch auf Autonomie erheben – gegenüber der Wirklichkeit und auch gegenüber der Persönlichkeit seines Verfassers. Das ist eine Binse moderner Texttheorie: Ein Roman muss nicht schlauer sein als sein Autor, aber das, was er erzählt, ist mit dessen Überzeugungen auch nicht gleichzusetzen.

Im Falle der Bücher Uwe Tellkamps ist oft gegen diese Selbstverständlichkeit verstoßen worden. Man verzeiht dem dreiundfünfzigjährigen Schriftsteller seine skeptischen Meinungen über Zuwanderung, Me­dienmacht und Ausgrenzung Andersdenkender in der Bundesrepublik nicht, und jeder rezensorische Kurzschluss vom Denken aufs Werk bekräftigt für Tellkamp zumindest wieder den dritten Kritikpunkt der Trias. Bei Erscheinen des neuen Romans „Der Schlaf in den Uhren“, mit dem Tellkamp nach vierzehn Jahren Motive und Personal des immens erfolgreichen Vorgängers „Der Turm“ literarisch wieder aufnimmt, ist nun genau das wieder passiert.

Um Literatur geht es nicht, sondern um Weltanschauung

Wobei Tellkamp diesmal selbst in Vorlage gegangen ist, als er der Idee von Andreas Gräfenstein zustimmte, dem Filmemacher über zwei Jahre hinweg für eine anderthalbstündige Do­kumentation, die nun pünktlich zum Erscheinen des neuen Romans auf 3sat läuft (und am 12. Juni nach Mitternacht und in halbierter Länge auch im ZDF), Rede und Antwort zu stehen. Geht es darin um ästhetische Fragen? Kaum; auf „Der Schlaf in den Uhren“ wird in den letzten zwei Minuten eingegangen: mit einer knappen Inhaltsangabe aus Tellkamps Mund, die mehr erzählt, als der Roman enthält, und einer sardonischen Antwort auf die Frage zur Vergleichbarkeit von Hauptfigur und Autor. Da betreibt Tellkamp selbst das Spiel, das er sonst so wortreich kritisiert. Sic tacuisses, scriptor mansisses.


Trailer
:

„Der Fall Uwe Tellkamp – Streit um die Meinungsfreiheit“

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Video: ZDF, Bild: ZDF und Ulf Behrens

Aber der Titel des Films verkündet ja auch, dass es gar nicht um Literatur gehen soll: „Der Fall Tellkamp – Streit um die Meinungsfreiheit“. Wobei Gräfensteins völlig meinungsfreie Machart im Gegenüber der Streitenden – Tellkamp und die mit ihm befreundete (und ihn in ihrer viel geschmähten Buchreihe „Exil“ auch ver­legende) Buchhändlerin Susanne Dagen auf der einen, der Schriftsteller Ingo Schulze, der Kurator Paul Kaiser, der „Zeit“-Ressortchef Martin Machowecz und der F.A.Z.-Korrespondent in Sachsen, Stefan Locke, auf der anderen Seite – einen ebenso faszinierenden wie desillusionierenden Einblick in die Verfahrenheit der Diskussion er­möglicht. Alle Porträtierten mahnen an, dass man doch miteinander ins Gespräch kommen müsse. Alle halten aber auch die jeweils andere Seite für mittlerweile gesprächsunfähig. Man sieht es den wenigen Szenen an, in denen einige von ihnen realiter auf­ein­andergetroffen sind: So gut wie nie schauen sie sich dabei an.

Das wahre Thema des Films ist die lokale Denkungsart

Viel mehr als ein Film über Meinungsfreiheit ist Gräfensteins Werk eines über den intellektuellen Mikrokosmos Dresden, dem alle sechs Protagonisten entstammen. Es ist bezeichnend, dass Dagens Ehemann und Ge­schäftspartner Michael Bormann sich so gut wie nie öffentlich artikuliert hat; auch in Gräfensteins Film gerät er nur ein paar Mal mit ins Bild. Würde er als „zugezogener Westdeutscher“, von denen „ich mich ungern belehren lasse“ (Tellkamp), überhaupt ernst genommen von den Ureinwohnern im Tal der Vorahnungsvollen? Zu Beginn läuft Uwe Tellkamp tagsüber die Plattleite vom Weißen Hirsch hinab zur Elbe (und zu Dagens Buchhaus Loschwitz), am Schluss nachts wieder hin­auf. Will Andreas Gräfenstein damit einen Wiederaufstieg symbolisieren oder eine Verfinsterung? Beide Seiten im „Fall Tellkamp“ werden dazu ihre Meinung haben. Sie wird sich nicht entsprechen.

Der Fall Tellkamp – Streit um die ­Meinungsfreiheit läuft am Mittwochabend um 20.15 Uhr auf 3sat und am 12. Juni drastisch gekürzt um 0.35 Uhr im ZDF..

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