Nachrichten

#In eine zerstörte Ordnung geboren

Inhaltsverzeichnis

In eine zerstörte Ordnung geboren

Mit Etiketten wie Provokateur, Nonkonformist oder Wütender lässt sich Georg Baselitz längst nicht mehr fassen. In sechs Jahrzehnten einer vielseitigen, fast herkulischen Schaffenskraft ist der Maler und Bildhauer vom jungen Aufrührer der deutschen Kunstszene längst zu einem anerkannten Alten Meister geworden. Geehrt durch zahlreiche Museumsausstellungen – die letzte große Werkschau fand 2018 zum achtzigsten Geburtstag in der Schweizer Fondation Beyeler statt –, gehört Baselitz zum international gesammelten Establishment. Frankreich gab dem Deutschen kürzlich auch noch die letzte künstlerische Adelung und erteilte dem frankophilen Baselitz einen Sitz in der hehren Akademie der Schönen Künste unter der Kuppel des Institut de France.

Diese Auszeichnung ist von einer umfassenden Retrospektive begleitet, die vom Kurator Bernard Blistène, in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler selbst, ausgerichtet wurde. Sie zeigt in etwa hundert Exponaten einen kompletten Überblick mit Schlüsselwerken aller Schaffensperioden, vornehmlich Gemälde, aber auch Skulpturen, Zeichnungen und Lithographien. Im Pompidou lässt sich Baselitz’ langer Weg mit immer neuen Werkphasen und Zyklen von den Sechzigern bis ins Heute abschreiten. Es ist der Weg eines Künstlers, der sich in der Kunstgeschichte, auf die er immer wieder Bezug nimmt, verankert hat und aus dieser Position heraus intensiv mit der Materialität, mit der physischen Dimension seines Schaffens, auseinandergesetzt hat.

Aus der Wunde der eigenen und kollektiven Er­fahrung: „B.j.M.C. – Bonjour Monsieur Courbet“, 1965


Aus der Wunde der eigenen und kollektiven Er­fahrung: „B.j.M.C. – Bonjour Monsieur Courbet“, 1965
:


Bild: Centre Pompidou

Am Anfang steht die wutgeladene Provokation der künstlerischen Geste, die aus der Wunde der eigenen und kollektiven Er­fahrung entsprang. Georg Baselitz wurde 1938 mit dem eigentlichen Namen Hans-Georg Kern im sächsischen Deutschbaselitz geboren. Sein Vater war überzeugter Nationalsozialist. Ein der Ausstellung vor­angestelltes Zitat gibt den Schlüssel zu Baselitz’ Werk: „Ich bin in eine zerstörte Ordnung hineingeboren worden, in eine zerstörte Landschaft, in eine zerstörte Gesellschaft. Und ich wollte keine neue Ordnung einführen (…). Ich war gezwungen, alles in Frage zu stellen (…).“ 1957 lief der junge Maler in den Westen über und entdeckte Künstler wie Jean Dubuffet und Antonin Artaud oder die extreme Bildsprache der Werke des Art Brut, die seinem Empfinden entsprachen und neue Wege im künstlerischen Ausdruck aufzeigten.

Hitler-Abarbeitungen

Im Pompidou erlebt man den ersten Ausstellungssaal auch heute noch wie einen Schlag in die Magengrube. Hier hängen die Gemälde der frühen Sechzigerjahre in ihren bräunlich, gräulich, grünlich oder fleischhaft-rötlichen Tonlagen, die in einer zornig unsauberen Malgeste auf die Leinwand geworfen wurden. Wie ein aufgewühlter Körper liegt „Der nackte Mann“ onanierend auf einer rotbraunen Bettstatt. Das bekannte Skandalbild „Die große Nacht im Eimer“ zeigt ein Hitler ähnelndes Männchen mit verzerrtem Gesicht, das sich an seinem überdimensionierten Penis abarbeitet. Bei seiner Schau 1963 wurde das Gemälde von der Sittenpolizei konfisziert, und es kam zum Prozess. Der Weg zum Ruhm ist bei ihm mit Kampfansagen an das verdrängende Nachkriegsdeutschland und den vornehmlich abstrakten künstlerischen Mainstream gepflastert. 1969 brachte das Auf-den-Kopf-Stellen seiner Gemälde neuerliche Aufmerksamkeit. Wieder entstand eine heftige Debatte, als er 1980 auf der Biennale von Venedig den deutschen Pavillon mit seiner Naziarchitektur mit dem grob behauenen „Modell für eine Skulptur“ bestückte, das einen liegenden Mann mit erhobenem Arm zeigte. Die Position war der afrikanischen Stammeskunst abgeschaut – sie hat großen Einfluss auf sein Werk –, bekam aber im Kontext eine unmissverständliche Aussage.

Ziemlich bestdemolierte Freunde: Georg Baselitz´ „Die großen Freunde“ von 1965.


Ziemlich bestdemolierte Freunde: Georg Baselitz´ „Die großen Freunde“ von 1965.
:


Bild: Centre Pompidou

Zu allen Zeiten, das macht die Pariser Ausstellung erfahrbar, haben seine Werke in ihrem ausgefeilten, nur scheinbar rohen Zustand eine bestrickende Energie und Präsenz und stellen den Körper in den Mittelpunkt: Nicht als Versuch einer realistischen Darstellung, sondern als in die Malerei oder Skulptur übertragene Erfahrung einer physischen und emotionalen Realität. Baselitz’ Körper sind Menetekel einer katastrophalen Welt. Schon in den Sechzigern, noch bevor er seine Bilder methodisch auf den Kopf stellte, malte er klobige, zerfetzte „Helden“, die im Großformat des Historienbildes ein Desaster verkörpern. Eines seiner „Heldenbilder“ ist dem künstlerisch verwandten Gustave Courbet ge­widmet. Courbet ist auch in den kopfübergedrehten Landschaftsbildern bis hin zu manchen Fingermalereien, die die Schau zeigt, des Meisters Meister. Baselitz arbeitete ein Leben lang jenseits aller Strömungen seiner Zeit, ob Abstraktion, Pop-Art oder Konzeptkunst. Mit dem Geniestreich, mit dem er 1969 zum ersten Mal ein Gemälde umdrehte und dadurch radikal nicht nur den Blick auf das Dargestellte, sondern auch auf die Pinselführung entfremdete, entkam er den Konventionen wie auch der künstlerischen Sackgasse. Er öffnete eine Bresche im Grabenkampf zwischen Figuration und Abstraktion.

Vom jungen Aufrührer der deutschen Kunstszene zu einem anerkannten Alten Meister: Baselitz im Centre Pompidou


Vom jungen Aufrührer der deutschen Kunstszene zu einem anerkannten Alten Meister: Baselitz im Centre Pompidou
:


Bild: AFP

Ein eigener Raum führt erstmalig eine faszinierende Werkgruppe der Achtziger zusammen, die sich mit Munchs Selbstporträts und seinem „Schrei“ auseinandersetzt. In einem anderen Raum werden drei der hieratischen, schwefelgelben Köpfe der Skulpturenreihe „Dresdener Frauen“ (1990), die die Zerstörungserfahrung in malträtierenden Kerbungen materialisieren, von fast abstrakten Großformaten der „Bildübereins“-Serie umgeben, in denen sich die Malschichten wie physisch gewordene Erinnerungs­kumulationen überlagern. Im vergangenen Jahrzehnt sind es vornehmlich alternde Leiber, die kopfunter, zitternd fast, in einem tiefen Bildraum schweben. In erstaunlichen Farbgebungen sind diese Figuren – der Künstler malt sich und die Frau seines Lebens, Elke – auf ihre schutzlose Körperlichkeit zurückgeworfen und transzendieren zugleich ihre Existenz.

Georg Baselitz. Die Retrospektive. Im Centre Pompidou, Paris; bis zum 7. März. Der Katalog kostet 45 Euro.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!