Nachrichten

#In welchem Teil Deutschlands willst du leben?

Inhaltsverzeichnis

In welchem Teil Deutschlands willst du leben?

Wie Gott im Himmel hat auch die Redaktion der ARD Degeto „alles geordnet nach Maß, Zahl und Gewicht“. Geschlechter, Hautfarben, Altersgruppen, sexuelle Vorlieben müssen unter den Figuren der Spielfilme im konsensfähigen Proporz abgebildet werden. Da sticht die Drehbuchautoren ein kreativer Stachel, wider den zu löcken große Kunst ist. Robert Krause und Beate Fraunholz haben es in ihrer Vorlage für Ed Herzogs Film „3 ½ Stunden“ geschafft, dass etwas halbwegs Plausibles dabei herauskommt, auch wenn man die politische Dienstanweisung zur Repräsentationsgerechtigkeit deutlich bemerkt.

In dem Interzonenzug D 151, der sich am Sonntagmorgen des 13. Augusts 1961 von München Hauptbahnhof auf den Weg nach Berlin Ostbahnhof macht, gibt es das alte Rentner-Ehepaar aus der DDR, das die Urne des verstorbenen Bruders der Frau aus München abholt, aber den geflohenen Sohn in Garmisch-Partenkirchen nicht besucht. Es gibt das „Mädchen aus dem Osten“ – so nennt der wettergegerbte Martin Feifel als Kriminalkommissar Koch die kleine Sabine (Hannah Schiller) anerkennend, weil er weiß, was sich für Lebensleistungen gehört – als gesamtdeutsche Meisterin im Turnen. Es gibt aber auch die Brautleute Rudolf Hoffmann und Ingrid Born samt dem kleinen Sohn Hans Born, dem man deutlich ansieht, dass er wohl von einem schwarzen Besatzungssoldaten der Amerikaner hinterlassen wurde. Jedenfalls freut er sich schon, dass er bald „einen neuen Papa“ bekommt, nicht ahnend, dass der neue Papa gleich von seiner verbrecherischen Vergangenheit im Nationalsozialismus eingeholt werden wird.

Die Belegschaft ist sortiert

Das Ehepaar Kügler, er Flugzeugingenieur, sie – ja, was eigentlich? – zumindest Volkspolizistentochter und überzeugte Kommunistin, ist gendersymmetrisch gesegnet worden mit einem gewitzten Sohn und einer ehrgeizigen Tochter. Und die verwegene Vierer-Band, der wir gleich im ersten Bild beim Kuscheln im Bett begegnen, setzt sich – als wäre die Welt ein Musterkatalog – ebenso präferenzsymmetrisch aus einem Liebespaar von Mann und Frau wie einem von Mann und Mann zusammen. Damit nicht genug: Die Frau wird von dem sie liebenden Mann als Spitzel der Stasi enttarnt, was ihn aber nicht stört, weil er – als jüdischer Überlebender des Holocausts – gelernt habe, dass es wahre Freiheit nur im Innern des eigenen Herzens gebe. Da bleiben keine Wünsche offen.

Getrennte Wege: Familie Kügler (Kolja Rashed, Susanne Bormann, Jan Krauter und Klara Metten, von links).


Getrennte Wege: Familie Kügler (Kolja Rashed, Susanne Bormann, Jan Krauter und Klara Metten, von links).
:


Bild: ARD Degeto/REAL FILM/AMALIA Film

So artig also die Belegschaft des Zuges von den Richtlinienkommissionen der ARD vorsortiert worden ist, so ernsthaft werden die Fragen, denen sie sich im Film stellen muss: Über ein Kofferradio erfahren die Fahrgäste, dass die DDR-Führung in Berlin eine Mauer bauen lässt und die Teilung Deutschlands betoniert wird. Dreieinhalb Stunden bis zur Zonengrenze bleiben ihnen, sich für ihre künftige Heimat zu entscheiden. Wer über Ludwigstadt hinaus weiterfährt, nimmt – ohne es genau wissen zu können – bis zu achtundzwanzig Jahre Wohnhaft in der DDR in Kauf.

Was nun in den Dialogen verhandelt wird, hat einiges Gewicht, weil die Entscheidung so leicht nicht ist. Die Kommunistin Marlis Kügler (Susanne Bormann) konstatiert, dass die Frauen in der Bundesrepublik „emanzipatorisch im Dritten Reich stecken geblieben“ seien. Wie zum Beweis dazu sieht man in der Parallelerzählung Luisa-Céline Gaffron als Dampflokführerin Edith Salzmann in der DDR, wo Vollbeschäftigung und finanzielle Selbstbestimmung für Frauen längst die Norm waren, als im Westen die Gattinen noch ihre Ehemänner um Arbeitserlaubnis bitten mussten.

Wenn Siggi Tremper (Karl Schaper) seinem Liebsten Peter Laschke (Johannes Meister) herzhaft auf den Hintern klatscht, erschrickt dieser: „Mann, wir sind noch im Westen.“ Der Paragraph zur Strafverfolgung homosexueller Handlungen zwischen Männern war in der BRD noch in der von den Nazis verschärften Form in Kraft, während die DDR die Strafverfolgung längst ausgesetzt hatte. Und noch etwas: „Im Westen kannst du nicht von fünf Mark am Tag leben“, gibt der Band-Gitarrist Sasha Goldberg (Jeff Wilbusch) der Sängerin Carla Engel (Alli Neumann) zu bedenken.

In diesem Abwägen einer Schicksalsentscheidung ist ein neuer Ton in der Auseinandersetzung mit der DDR im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu bemerken, der sich schon in der dritten Staffel der Serie „Charité“ Gehör verschafft hatte: Wer sich, vor die Wahl gestellt, entscheiden konnte, in welchem Teil Deutschlands er oder sie leben möchte und sich für die DDR entschied, war nicht automatisch dumm, feige oder ideologisch verblendet. Es gab Gründe, den Freiheitsversprechungen des Westens die Bindung an Menschen und Landschaften im Osten vorzuziehen. Eine Garantie für gelingendes Leben – auch das spricht Martin Feifel aus – war mit keiner Entscheidung verbunden.

Ein wenig misstraut der Film dem Gewicht der Fragen, die er verhandelt. Das ausnahmslos exzellente Schauspiel würde genug Spannung herstellen, um auf die bewegliche Kamera, den ständigen Taumel der Bilder, aber auch die – grundsätzlich gute und stimmungsvolle – Musik von Stefan Will zu verzichten. Alli Neumann, die Darstellerin der Sängerin Carla, hat zusammen mit Jonathan Kluth einige Songs zum Film geschrieben. Sie allein hätten den Film gut getragen, obwohl sie stilistisch nicht in die Zeit passen und die Band eher an jene von Veronika Fischer aus den Siebzigerjahren in der DDR erinnert. Der Redakteur Christoph Pellander ist überzeugt davon, dass der Film „seinen Weg in den Geschichtsunterricht an den Schulen finden wird“. Ehrlicher gesagt: Er ist mit dieser Absicht gedreht worden.

3 ½ Stunden läuft an diesem Samstag um 20.15 Uhr im Ersten.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!