Wissenschaft

#Steinzeit-Gemeinschaft gibt Geheimnisse preis

Welche Regeln und Gebräuche prägten die Lebenswelt der jungsteinzeitlichen Gemeinschaften in Europa? Einblicke in diese Frage hat nun DNA von Menschen geliefert, die vor rund 7000 Jahren in einem Gräberfeld im heutigen Frankreich bestattet wurden. In Kombination mit weiteren Befunden konnten die Forscher Abstammungsverhältnisse rekonstruieren, in denen sich soziologische Strukturen widerspiegeln. Demnach scheinen in der Gemeinschaft stabile Väterlinien, weibliche Außenheirat und Monogamie üblich gewesen zu sein. Außerdem kamen die Wissenschaftler einem möglicherweise verehrten „Gründungsvater“ auf die Spur.

Es war eine Epoche, die die Menschheitsgeschichte nachhaltig prägte: In der Jungsteinzeit breitete sich die bäuerliche Lebensweise in Europa aus und ersetzte die Jäger- und Sammlerkulturen. Dieser Wandel war auch mit Veränderungen im Zusammenleben der Menschen verbunden: Das Bevölkerungswachstum, die sesshafte Lebensweise und die Bedeutung von Landbesitz führten zu komplexeren Gesellschaftsstrukturen und kulturellen Entwicklungen. Doch was genau prägte die Lebenswelt der frühen Bauern Europas?

Ein Gräberfeld im paläogenetischen Spiegel

In der aktuellen Studie hat ein internationales Team nun das Verfahren der Paläogenetik mit weiteren Untersuchungsmethoden kombiniert, um Informationen über eine Gemeinschaft zu gewinnen, die vor etwa 7000 Jahren ihre Toten im Gräberfeld von Gurgy ‘Les Noisats’ im Pariser Becken bestattet hat. Es gelang den Forschern, den Überresten von 94 Individuen alte DNA zu entlocken, die umfangreiche genetische Informationen lieferte. Diese Daten konnten sie mit dem archäologischen Kontext sowie mit Informationen zum Sterbealter und dem Geschlecht verbinden. Außerdem lieferten Ergebnisse von Strontium-Isotopenanalysen Hinweise darauf, ob die untersuchten Individuen aus der Fundregion stammten oder aber an einem entfernten Ort aufgewachsen waren.

Wie das Team berichtet, konnten sie in den Daten zwei Gruppen bei den Toten des Gräberfeldes identifizieren, die teils untereinander verknüpft waren. In den beiden rekonstruierten Stammbäumen zeichnete sich ab, wer mit wem auf welche Weise verwandt war, woraus sich wiederum weitere Hinweise auf bestimmte Aspekte der Gemeinschaft ergaben. „Es zeichnete sich bereits grundsätzlich ab, dass der Bestattungsplatz sehr bewusst belegt wurde: Es gibt kaum überlappende Gräber, was bedeutet, dass die Nekropole von engen Verwandten verwaltet wurde, die wohl gut wussten, wer wo bestattet war“, sagt Co-Autor Stéphane Rottier von der Universität Bordeaux. Dies spiegelte sich auch in den neuen Informationen wider, berichten die Forscher: Sie stellten eine deutliche Verknüpfung zwischen räumlicher Distanz und biologischem Verwandtschaftsgrad der Individuen fest.

Einblick in Sozialstrukturen

In den Stammbäumen zeichneten sich zudem stabile Väterlinien ab – eine von sogenannter Patrilinearität geprägte Kultur, berichten die Wissenschaftler: Die Generationen sind über zwei Y-chromosomale Linien verknüpft, die rein väterlich vererbt werden. Gleichzeitig gibt es eine starke Vielfalt bei der mitochondrialen DNA, die nur mütterlicherseits vererbt wird. Das weist darauf hin, dass die Frauen nicht aus der eigenen Gruppe stammten. Mit anderen Worten: Die Söhne blieben in der Gemeinschaft und bekamen Partnerinnen von außerhalb. Für diesen Brauch der Virilokalität und weiblichen Exogamie sprechen zudem nicht-lokale Strontium-Isotopen-Signaturen bei den Frauen. Interessanterweise waren einige von ihnen entfernt miteinander verwandt, was darauf hindeutet, dass Gurgy mit einigen wenigen benachbarten Gemeinschaften in Kontakt beim „Heiratsmarkt“ stand.

Den Wissenschaftlern zufolge zeichnen sich außerdem monogame Beziehungsstrukturen ab. Darauf verweist das Fehlen von Halbgeschwistern unter den Toten des Gräberfeldes. Möglicherweise wurden sie aufgrund bestimmter Ansichten, die mit ehelichen Verbindungen zu tun hatten, nicht dort bestattet. Auch Rückschlüsse auf die Reproduktionsraten in der Gemeinschaft sind möglich, sagen die Forscher: “Wir sehen eine große Anzahl an Vollgeschwistern, die allesamt das Reproduktionsalter erreicht hatten. Wenn wir dann noch eine hypothetische Anzahl an Individuen für ein ausgleichendes Geschlechterverhältnis und eine gewisse Kindersterblichkeit dazurechnen, kommen wir auf ziemlich große Familien und eine hohe Fortpflanzungsfähigkeit oder Fruchtbarkeitsrate. Dies deutet auf einen insgesamt sehr guten Ernährungs- und Gesundheitszustand der Gruppe hin“, sagt Erst-Autorin Maïté Rivollat von der Universität Bordeaux.

Ein verehrter „Gründungsvater“?

Die Forscher sind auch auf die Spur eines Mannes gekommen, der offenbar eine besondere Bedeutung besaß: Er stand am Anfang der größeren Abstammungslinie – es handelte sich somit möglicherweise um eine Art Gründungsvater. Neben den genetischen Daten spricht dafür auch der archäologische Befund: Von ihm wurden nur Langknochen in der Form einer Sekundärbestattung im Grab einer Frau gefunden, von der leider keine genetischen Daten gewonnen werden konnten. Die Forscher vermuten, dass die Gebeine dieses „Gründervaters“ von einem ursprünglichen Siedlungs- oder Bestattungsort der Gruppe mitgebracht worden waren. “Als Ahne war er möglicherweise von großer Bedeutung für die Gemeinschaft und so wurde deshalb von seinen Verwandten nach Gurgy umgebettet“, erklärt Co-Seniorautorin Marie-France Deguilloux von der Universität Bordeaux.

In Kombination mit weiteren Informationen, können die Studienergebnisse nun in vielfältiger Weise zum Verständnis der Sozialstrukturen der vorgeschichtlichen Gesellschaften beitragen, resümieren die Wissenschaftler. Dazu sagt Co-Seniorautor Wolfgang Haak vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig abschließend: “Die großen methodischen Fortschritte der letzten Jahre haben es erst möglich gemacht, Studien von dieser Größenordnung durchzuführen. Damit wird die Tür zu weiteren Erkenntnissen zur Menschheitsgeschichte weit aufgestoßen“, so der Anthropologe.

Quelle: Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Fachartikel: Nature, doi: 10.1038/s41586-023-06350-8

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