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#Intimität bindet niemanden mehr

Intimität bindet niemanden mehr

Dass es wenigstens vollends gleichgültig ist, wo sich die Partner tatsächlich aufhalten, ist einer der großen Vorteile der Online-Zusammenarbeit. So machte es eigentlich nichts, dass zwischen dem griechischen Choreographen Andonis Foniadakis und dem amerikanischen Musiker Patrick Grossi aka Active Child 9000 Kilometer lagen, während sie die Uraufführung „Palmos“ für das in Antwerpen arbeitende Opera Ballet Vlaanderen vorbereiteten. Dabei ging es zunächst um eine Auswahl von Songs aus den drei Alben, die der 37 Jahre alte Sänger und Komponist bisher veröffentlicht hat: „You Are All I See“ von 2011, „Mercy“ von 2015 und „In Another Life“ aus dem vergangenen Jahr. Immer schwebt die Falsett-Stimme des Sängers über elektronischen Klängen aus Harfe, Gitarre und Synthesizer, elegisch, schön, dahinfließend. Zwei Songs, „Untouch“ und „Wake Me When It’s Over“, produzierte Active Child im Dialog mit dem Choreographen eigens für das 68 Minuten lange Stück.

Aber auch in anderer als musikalischer Hinsicht ist das für fünfzehn Tänzer geschaffene „Palmos“ gleichzeitig Ausdruck der Umstände und Antwort auf sie. Was etwa hat es zu bedeuten, fragt man sich, leicht verzweifelt am Bildschirm ein ständig einfrierendes Bild betrachtend, was heißt es, dass einen der so sehr gefühlsbetonte Gestus der Choreographie nach wenigen Minuten nicht mehr befremdet? Die technischen Störungen halten die gesamte Übertragung auf Youtube hindurch an. Nach dem Ende des Live-Streams sendet das Ballett aber einen neuen Link, mit dem sich die Aufzeichnung der Generalprobe störungslos verfolgen lässt. Auch das ist an den Online-Premieren wunderbar. Manche erlauben einem das mehrfache Anschauen.

Wie ein fesselndes Naturschauspiel

„Palmos“ bewegt, umso mehr man sich in seine Details vertieft. Was es über unsere derzeitige emotionale Ausnahmesituation aussagt, nämlich wie dünn unser Nervenkostüm sich manchmal anfühlt und wie sehr eine Umarmung, ein Händedruck, ein Kuss – oder ihr Fehlen – einen Tag verändern können, das erzeugt den Sog eines Stücks voller Umarmungen. Glücklicherweise geht „Palmos“ darin nicht auf, sondern hat viele interessante Schichten unter der gegenwartsbezogenen ästhetischen Oberfläche.

Gleich der einzelne Tänzer, mit dessen bewegtem Schattenriss vor einem sonnenaufgangshaften und doch leicht giftigen Gelb auf dem Bühnenhintergrund das Stück beginnt, holt weit aus mit den im Handgelenk oft abgeknickten Armen, lässt den Oberkörper kreisen über einem geerdeten Becken und geöffneten, gebeugten Knien, wirft den Kopf wie in Auflehnung in den Nacken. Selbst die Beine greifen nach hinten aus oder schwingen über die Seite nach vorne in großen, auf inneren Aufruhr verweisenden Bewegungen.

In einem hautfarbenen Trikot und mit nackten Beinen ringt der Tänzer um Fassung, um Orientierung, um eine Haltung zu der Einsamkeit, die ihn umgibt. Foniadakis, der als Hauschoreograph an der Athener Oper arbeitet, nimmt eine Bewegung häufig mit der nächsten wieder zurück, es entsteht ein Hin und Her, als wäre der Tänzer voller Energie, aber uneins mit sich selbst, wohin sie zu lenken wäre. Durch die Wiederholung wirkt das fast meditativ, wie ein fesselndes Naturschauspiel, etwa wie Wellen, die auf den Strand auftreffend brechen und wieder zurücklaufen.

In der Schlacht oder im Bett

Foniadakis mag schlichte Übergänge. Duette lässt er einfach beginnen und enden, Gruppen, in denen sich Einzelne mit Armen und Beinen umschlingen, einander Impulse geben, heben oder tragen, lösen sich genauso unvermittelt wieder auf. Das dramaturgische, musikalische Prinzip, einem Popsong den nächsten folgen zu lassen, ist am Bildschirm womöglich schwerer hinzunehmen als in Anwesenheit in einem Theater. Sehr bald ist klar, dass es nur Variationen unterschiedlich intimer Beziehungen sind, die Foniadakis schildert, dass es keine Entwicklung in einem konventionelleren Sinne geben wird, kein wiedererkennbares Paar, keinen, der wiederholt im Mittelpunkt des Geschehens stünde. Mit den tänzerischen Begegnungen ist es wie mit der Kollaboration von Musik und Tanz, sie wirken letztlich web-zufällig und endlich wie ein Chat. Ebenso phantastisch, wie es ist, dass online Verbindungen entstehen, die das Offline-Leben vielleicht nicht hervorgebracht hätte, die ebenso austauschbar, leicht aufzulösen und durch neue abzulösen sind.

Selbstbewusst und umstandslos präsentiert der Choreograph ein Bild unseres Lebens, wie es derzeit ist, ein Bild, das zugleich aus der genauen Selbstbeobachtung wie aus dem verbindenden Austausch mit anderen über diese Erfahrungen genährt scheint, zugleich persönlich und unpersönlich. Durch die schlichten Trikots von Anastasios Sofroniou und die antike Skulpturenformationen heraufbeschwörenden Haufenbildungen der Tänzer erinnert das Stück abstrakt an die mythologischen Urerzählungen körperlicher Begegnungen in der Schlacht oder im Bett. So spektakulär Sakis Birbilis mit der Beleuchtung Kälte und Wärme der Farben, Enge oder Weite des Spielfelds sekundengenau definiert, so konsequent dekonstruiert die Choreographie Schönheit und Intimität.

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