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#Auf Solotrip: Eine Liebeserklärung ans Alleinreisen

Nach dem Regenguss ist die Luft so feucht, dass man sie nahezu trinken kann. Aber zumindest auch so weit abgekühlt, dass ich nun ohne Schweißausbrüche allein durch die Straßen von Porto laufe. Ich bleibe vor einer Kreuzung stehen und beobachte, wie sich das Rot der Ampel und die Lichter der Häuser in den Pfützen spiegeln. Bevor es grün wird, nehme ich noch einen tiefen Atemzug. Ich schmecke nassen Asphalt, einen Hauch von meinem letzten Tremoços-Snack und auf der Zungenspitze noch etwas anderes. Freiheit.

Ich hatte großen Respekt davor, alleine zu reisen. Um nicht zu sagen, ich hatte Scheißangst.

Obwohl ich gerne alleine bin und mich bestens mit mir selbst beschäftigen kann, hatte ich bis vor wenigen Jahren großen Respekt davor, alleine zu reisen. Um nicht zu sagen, ich hatte eine Scheißangst. Es ist eben doch ein Unterschied, alleine im Bett zu netflixen oder sich alleine durch Bangkok zu lotsen. Dabei träumte ich schon immer davon, Orte wie Georgien, Bolivien und Kambodscha mit eigenen Augen zu sehen und auf eigene Faust zu erkunden.

Ich hatte sogar sehr spezifische Bilder von meinem furchtlosen Alter Ego im Kopf, wie es sich bewaffnet mit einem wagenradgroßen Sonnenhut (warum auch immer, ich hasse Hüte) durch unwegsames Dschungelgelände pflügt. Aber mir fehlte schlichtweg der Mumm, das auch in die Tat umzusetzen

Fühlt man sich nicht irgendwann einsam?

Eine Sorge war, mit der Organisation komplett alleine dazustehen. Reiserouten festlegen, Hotels, Flüge und Züge buchen, sich vor Ort navigieren oder gar nach dem Weg fragen – das hatte ich bei vorherigen Trips ehrlich gesagt gerne zu großen Teilen meinen Mitreisenden überlassen. Gerade wenn man, wie ich, mit einem beinahe nicht-existenten Orientierungssinn ausgestattet ist, ist es verlockend bequem, einfach im Fahrwasser von anderen zu schwimmen. Und bei allen Dingen, die schiefgehen können, ist eine bestenfalls weniger panische Begleitung eben doch ein emotionales Back-up, das gleich mehr Sicherheit gibt.

Nach (zu) gründlicher Lektüre der Reisehinweise vom Auswärtigen Amt klingt alleine Reisen als Frau außerdem schnell nach sexualisierter Gewalt auf Umwegen. Und dann ist da noch der mindestens genauso große Sorgenpunkt: Fühlt man sich nicht irgendwann einsam auf einem Solotrip?

Das Tolle am Reisen war für mich bisher, dass man gemeinsam etwas erlebt, gemeinsam etwas Neues entdeckt und schöne Erinnerungen schafft. Ich konnte mir kaum vorstellen, mich über den Traumstrand, den erklommenen Gipfel oder den grandiosen Meeresfrüchteteller alleine wirklich genauso freuen zu können. Aber ich fragte mich auch zusehends, ob etwas tatsächlich nur dann Wert bekommt, wenn man es zu zweit oder in einer Gruppe erlebt. Dieser Gedanke war wohl mit die größte Hürde zwischen mir und einem Urlaub alleine.

Mein Reisehunger wuchs sehr viel schneller als die Bereitschaft meiner Freund*innen, mitzukommen.

Letztendlich hat mir das Leben einen Schubs verpasst, indem immer mehr Leute in meinem Freund*innenkreis fest verpartnert waren und mit der Familienplanung begannen. Die Anzahl derjenigen mit frei verfügbarer Zeit und frei verfügbaren Finanzen wurde immer geringer. Mein Reisehunger wuchs indes sehr viel schneller als die Bereitschaft meiner Freund*innen, mitzukommen. Ich hatte aber schlichtweg keine Lust mehr, auf ein Go von anderen zu warten, ewig zu versuchen, sich auf ein Zeitfenster zu einigen und innerlich schon meine Koffer gepackt zu haben, nur um am Schluss doch alles abzublasen.

Natürlich erwartete ich nicht, dass meine Freundin sich ihr verdutztes Baby von der Brustwarze reißt, um stattdessen mit mir den Machu Picchu zu besteigen. Also gab ich mir einen letzten Ruck: lieber allein als gar nicht. Wie so oft erwies sich „einfach mal machen“ als der ebenso banalste wie beste Tipp in allen Lebenslagen.

In Babysteps von den Ängsten freireisen

Mein erstes Solo-Ziel war ein Wochenende in London. Das erschien mir als sicheres Terrain: eine nicht allzu weit entfernte Stadt, in der ich schon einmal gewesen war und in deren Sprache ich mich problemlos verständigen konnte. Damit ich gar nicht erst Zeit dazu hatte, mich einsam zu fühlen, hatte ich das ganze Wochenende generalstabsmäßig durchgeplant und hüpfte von der Free Walking Tour zum Museum, weiter zum Flohmarkt und danach direkt ins Theater.

Vielleicht gerade weil ich vorher so aufgeregt war, fühlte sich alles ein bisschen intensiver an. Aber kein bisschen weniger schön und spannend als beim vorangegangenen Besuch zu zweit. Vor allem kam diesmal noch ein unbändiger Stolz hinzu. Stolz darüber, dass ich mich endlich getraut habe und es dann auch noch richtig Spaß gemacht hat. Ich wollte am liebsten sofort wieder allein losziehen.

Auf das Wochenende in London folgten fünf Tage in Wien, drei Wochen auf Madeira und schließlich drei Monate remote Arbeiten in Spanien. Bis ich mich Stück für Stück von allen Ängsten freigereist hatte.

Ohne Kompromisse den eigenen Bedürfnissen folgen

Dabei gelangte ich rasch zu der Erkenntnis: Man bleibt nie lange allein. Eher im Gegenteil. Ich habe nie so viele Leute kennengelernt, wie wenn ich alleine unterwegs war. Verreist man als Paar, als Freund*innen oder als Gruppe, bildet man für Außenstehende bereits eine Entität, eine feste Gemeinschaft, in die Außenstehende nicht so schnell einbrechen. Ist man auf Touren, beim Essen oder auf Konzerten jedoch alleine unterwegs, erweckt das oft das Interesse einer anderen Person, die sich schnell dazugesellt. Meist sind das andere Alleinreisende, mit denen man häufig sofort eine gemeinsame Ebene hat. Menschen aus aller Welt, mit denen man Reisetipps austauscht, von Lebensmodellen in den jeweiligen Heimatländern erzählt und sich vielleicht noch für später verabredet.

So wie die New Yorkerin, die ich bei einer Radtour durch Kopenhagen kennenlernte und mit der ich danach noch zwei Stunden lang bei Smørrebrød über skandinavische Sozialsysteme diskutierte. 99 Prozent dieser Menschen trifft man im Leben niemals wieder. Und das ist vollkommen okay. Man hat einen Moment geteilt und sich temporär Gesellschaft geleistet, bevor jede*r wieder eigene Pläne verfolgt.

Wieviele Pläne man bei einem Solourlaub umsetzen kann, wenn man sich die Zeit frei einteilen kann und nur den eigenen Bedürfnissen folgt, ohne Kompromisse einzugehen, erstaunt mich ohnehin immer wieder. Nicht erst zu fragen, ob noch jemand jetzt schon Hunger hat, ob man links oder rechts weiterspazieren soll, ob man noch ein weiteres Kleid anprobieren darf. Ich kann in 20 Minuten durch eine Ausstellung pesen, wenn sie mich nicht genug anspricht. Oder drei Stunden lang hypnotisiert aufs Meer starren, wenn mir danach ist.

Nachteile beim Alleinreisen

Es gibt selbstverständlich auch Nachteile. Ohne geteilte Ausgaben zahlt man am Schluss als Alleinreisende*r definitiv immer drauf. Vor allem Unterkünfte sind als Einzelperson teurer, zumindest wenn man nicht in einem 16-Bett-Zimmer im Hostel pennen möchte. Alleine zu essen finde ich trotz aller Lobeshymnen auf das Solo-Reisen auch immer noch schwierig. In einem Café kann man Postkarten schreiben oder ein Buch lesen, aber in einem Restaurant schreit das Alleinsein gefühlt am lautesten heraus. Gerade dann, wenn der*die Kellner*in mit einem „Just you?“ demonstrativ das zweite Gedeck wegräumt. Gucken mich jetzt gerade alle Menschen im Raum an und fragen sich, wer diese armselige Katzenlady minus Katzen am Tisch ist, die offensichtlich keine Freund*innen hat?

Stundenlang noch stumm vorm leeren Teller sitzen zu bleiben (und denselben Platz für zwei zahlende Kund*innen zu blockieren) finde ich wenig spaßig und der beste Zeitvertreib „Leute beobachten“ wird auch irgendwann creepy, wenn man nur glotzt und nicht nebenbei noch ein Gespräch führt. Jeden Abend auf dem Handtuch im Hotelbett ein Drinnenpicknick aus Takeaway-Tüten anzurichten, kann es aber irgendwie auch nicht sein. Nicht zuletzt, weil Essen auch ein so ein großer Teil der Kultur eines Landes ist, das ich in so vielen Facetten wie möglich kennenlernen möchte. Deshalb ein Hoch auf Streetfood-Märkte, wo man einfach in loser Gemeinschaft auf Bänken zusammensitzt.

Jeder Panikmoment geht jetzt mit dem beruhigenden Wissen einher: You got this.

Und natürlich ist man auch nur mit sich selbst nicht immer im Reinen. Gerade am ersten Tag fühle ich mich oftmals ein bisschen verloren, aufgeschmissen und von mir selbst überfordert. Oder eher vom Anspruch an mich selbst, als strong independent woman sofort die Lage checken und mich auf Knopfdruck wohlfühlen zu müssen. Stattdessen irre ich ein bisschen umher und muss noch matschig von der Anreise erstmal tief in mich hineinhorchen, was ich gerade wirklich will. Was manchmal schwerer fällt als gedacht und Input aus fremden Gehirnwindungen plötzlich wünschenswert erscheint. Aber ich habe gelernt, dieses Gefühl auch einfach mal auszuhalten. Weil es früher oder später ohnehin abgelöst wird von purer Entdeckungsfreude.

Alleine reisen hat mir ein immenses Selbstvertrauen geschenkt. Es fällt mir viel leichter, auf andere Menschen zuzugehen – kann man sich nicht hinter dem breiten Rücken einer extrovertierten Posse verstecken, sitzt das Mundwerk plötzlich aus Notwendigkeit sehr viel lockerer. Vor allen Dingen habe ich mich aber aus allen schwierigen Situationen (Handy kaputt, Kreditkarte funktioniert nicht, Anschlussflug verpasst, Unterkunft gleicht Filmset von „Texas Chainsaw Massacre“) selbst wieder herausmanövriert. Seither habe ich auch eine weitaus höhere Stressresistenz. Jeder kurze Panikmoment geht nun stets mit dem beruhigenden Wissen einher, mich absolut auf mich selbst verlassen zu können: You got this.

Die Gewissheit zu haben, dass ich alleine klarkomme, heißt natürlich nicht, dass ich gar nicht mehr mit Freund*innen verreisen möchte. Wann immer unsere Doodle-Kalender auf magische Weise ein Match für einen gemeinsamen Urlaub erzielen, bin ich wochenlang im Vorfreude-Modus. Die gleiche Vorfreude, die ich auch vor jedem Solotrip verspüre.

Der Geschmack von Freiheit

Meine nächste Reise alleine wird mich nach Neapel führen. Ich möchte sowohl auf den Krater des Vesuvs kraxeln, als auch die durch die unterirdischen Katakomben von San Gennaro krabbeln – und natürlich mein Eigengewicht an neapolitanischer Pizza verdrücken. Dafür traue ich mich diesmal auch, mich ganz alleine ins Restaurant zu setzen. Vielleicht setzt sich wieder jemand mit dazu. Vielleicht bleibe ich aber auch alleine am Tisch, mit dem Geschmack von Basilikum und Knoblauch auf der Zunge. Und einer großen Prise Freiheit.

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