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#Ist der Zug abgefahren?

Ist der Zug abgefahren?

Wer schon eine Weile lebt, mag momentan meinen: Früher waren Krisen an­schau­licher. Folgten sie nicht meist dem einprägsamen Bild einer Einmal-Fieberkurve? Da fängt der Verdruss irgendwie an, wird dann mal steil, mal behäbig schlimmer, bis er ganz grässlich ist, und lässt schließlich jäh oder allmählich wieder nach, zur Not um den Preis ganzer Zivilisationen, die hinterher als Ruinen zu ihrem eigenen Gedenken (und der Nachwelt zur Belehrung) fortdauern.

Seit rund zwei Jahren allerdings zeigt etwas Unerfreuliches, das die Welt einerseits umtreibt und andererseits lähmt, ei­ne ganz andere Verlaufsform: Das Individuum, nach dem die Not greift, fühlt sich zunächst, als säße es in einem Zug, der auf einen Moment zurast, in dem er ex­plo­diert. Dann passiert das wirklich. Aber danach ist nicht etwa Schluss, sondern das soeben explodierte Individuum sitzt wieder in demselben Zug, der abermals in die Katastrophe rattert.

Sobald jetzt das Individuum, durch den erlittenen Schock zum Handeln (oder zu einer klugen Unterlassung) bewogen, sich selbst und andere an Bord zu retten versucht, wird ihm von einer politischen Autorität erklärt, dass der besagte Zug in einem sehr grundsätzlichen Sinn abgefahren sei und es gar nicht mehr darum gehe, die Katastrophe zu verhüten, sondern nur mehr darum, sie zu verstehen: also Daten zu erheben und zu interpretieren, die gebraucht werden, damit noch größeres Unheil vermieden werden könne. Die Autorität legt dabei, so teilt sie mit, die Worte eines Wissenschaftlers aus, der überdies empfiehlt, das Individuum möge lernen, sich in Modellen zu be­we­gen wie in tatsächlichen eigenen Er­fahr­ungen. Falls dieses Individuum sich, davon verstört, hiernach auf der Zugtoilette einschließt und in den Spiegel schaut, um den Stress wenigstens durch einen vertrauten Anblick abzudämpfen, guckt eine völlig fremde Person zurück.

Jake Gyllenhaal als unfreiwilliger Anti-Terror-Ermittler Colter Stevens mit Michelle Monaghan


Jake Gyllenhaal als unfreiwilliger Anti-Terror-Ermittler Colter Stevens mit Michelle Monaghan
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Bild: Allstar/Optimum Releasing

Das alles scheint uns völlig neu. Schon vor genau zehn Jahren aber hat der Schauspieler Jake Gyllenhaal als unfreiwilliger Anti-Terror-Ermittler Colter Stevens den geschilderten Horror erlitten, den jedes Hin und Her zwischen Selbstdisziplinierung und Selbstverlust unweigerlich mit sich bringt. Der Film, in dem Gyllenhaal unseren gegenwärtigen Ge­ge­ben­hei­ten so strapaziös vorausleidet, heißt „Source Code“. Inszeniert hat ihn Duncan Jones, Sohn des großen Außerirdischen David Bowie.

„Source Code“ hat allen, die sich heute durch die zermürbende Abfolge von Zumutungen und Anforderungen ans Verantwortungsdenken wursteln müssen, in der wir stecken, offenkundig viel zu sagen. Derzeit läuft er aber nicht im Kino, das man außerdem aus bekannten Gründen ohnehin gerade wieder meiden wollen könnte (hoffentlich nicht lange).

Aus diesen Gründen stellt die F.A.Z. den komplexen Thriller, in dem außer Gyllenhaal auch der raffinierte Jeffrey Wright (als undurchschaubarer Forscher), die hellwache Michelle Mona­ghan (als schicksalhafte Zufallsbekanntschaft des Helden) und die energische Vera Farmiga (als pragmatische Krisenbewältigungskraft) ihr Bestes geben, bei ihrem ersten Streaming-Filmabend vor. Dieses Format, das wir in Kooperation mit dem Streamingdienst Pantaflix entwickelt haben, wird in Zukunft regelmäßig einem Publikum mit F.A.Z.-Abonnement angeboten. Jeder Abend beginnt mit einer kurzen Einführung in den jeweiligen Film, dessen Auswahl bei der Redaktion liegt. Fragen oder Wortmeldungen für die anschließende Diskussion können nach Registrierung auf FAZ.NET während des Streams über die Kommentarfunktion geteilt werden.

Im Anschluss an jede Vorführung werden dann zwei Kolleginnen oder Kollegen aus der Redaktion (diesmal: Dietmar Dath und Maria Wiesner) mit dem Publikum und miteinander diskutieren. So soll ein Raum für den Gedankenaustausch entstehen, der über das übliche kritische Register (etwa einer Rezension) hinaus nach Anschlüssen und Urteilen sucht, die dem Reichtum des Spielfilmformats ge­recht werden, um das sich Menschen, die Kino lieben, gerade berechtigte Sorgen ma­chen. An diesem Dienstag beginnt der erste Filmabend der F.A.Z. ab 19 Uhr damit, dass wir „Source Code“ dabei zusehen, wie dieser Film die Idee unter Strom setzt, dass wissenschaftliche und technische Modelle, Mittel und Maßnahmen dem Individuum auch in Notlagen nicht als fremde, feindliche Mächte entgegentreten müssen, sondern sich als die effektivsten überhaupt denkbaren Waffen im Kampf gegen Krisen aneignen und ge­brauchen lassen.

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