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#Jade aus dem Drachenofen

Jade aus dem Drachenofen

Die chinesischen Seladone des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts mit ihren jadegleichen, blaugrünen Glasuren sind ein Meilenstein der Keramikgeschichte. Aufgrund ihrer extremen Seltenheit machten gerade die Ru-Keramiken in den letzten Jahren Furore und erzielen Millionenerlöse bei Auktionen. Kaum weniger ikonisch sind die Longquan-Seladone, die zur Zeit der südlichen Song-Dynastie (1127–1279) in der Provinz Zhejiang entstanden. Bis heute haben diese Stücke, deren dick liegende Glasuren überraschende Effekte ermöglichen, nichts von ihrer Faszination und ihrem Anregungspotential verloren. Selbst der Laie staunt über Farbnuancen wie „Blau des Himmels nach dem Regen“ oder „Essigpflaumengrün“ und die malerischen Krakelees.

In den Gründungsjahren der Volksrepublik China kam es zu einer vom Westen weitgehend unbemerkten Wiederbelebung der alten Handwerkstechnik. Die berühmten kaiserlichen Öfen wurden archäologisch erschlossen. In Longquan entstanden ab 1956 neun Drachenöfen nach historischem Vorbild und eine moderne Seladonfabrik. Ein Innovationsschub, aber auch ein Moment der Krise war der Umstieg von diesen holzverschlingenden Riesen auf kleinere, gut regulierbare Gasöfen in den Achtzigerjahren, verbunden mit der Privatisierung der Produktion im Rahmen wirtschaftlicher Reformen. Heute ist die traditionelle Brenntechnik des Seladons von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe der Menschheit anerkannt; darüber hinaus sind die Meister von Longquan mit nationalen und regionalen Ehrentiteln hoch dekoriert.

Die Pole des künstlerischen Kosmos

Eine zentrale Figur dieser – auch familiär – eng vernetzten Community ist der „Großmeister der Porzellankunst“ und „lebende Staatsschatz“ Mao Zhengcong (geb. 1940), der die Entwicklung in Longquan seit Jahrzehnten aktiv prägt. Inzwischen sind mehrere Generationen an Keramikern nachgerückt und suchen mit ihrer Kunst zunehmend internationale Anerkennung. Nach ersten Präsentationen in der Forum Factory Berlin (2015) und im Keramikmuseum Westerwald (2017) hat die Kuratorin Anette Mertens zusammen mit der Ethnologin Mareile Flitsch eine größere Ausstellung über zeitgenössische Seladone aus Longquan erarbeitet. Zweite Station nach dem Völkerkundemuseum der Universität Zürich ist nun das Münchner Museum Fünf Kontinente.

Kunstwerk: Das Seladon Shenqi yuziwen („Kraftvolles Fischschuppen-Krakelee“) von Mao Weijie.


Kunstwerk: Das Seladon Shenqi yuziwen („Kraftvolles Fischschuppen-Krakelee“) von Mao Weijie.
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Bild: Franca Wohlt, 2018

Zu sehen sind mehr als fünfzig ausgeprägte Gefäßpersönlichkeiten, die besonders den Kenner zur Kontemplation einladen. Die Auswahl und das Arrangement der Stücke folgen dem Beurteilungsschema, mit dem die Meister selbst ihre Werke taxieren und dessen Vermittlung ein Anliegen der Ausstellung ist. Der solchermaßen belehrte Besucher erkennt nach und nach die Pole dieses künstlerischen Kosmos: Glasur und Scherben, gedrehte und frei gestaltete Formen, malerische Effekte und plastische Applikationen, abstrakte Ornamente und figürliche Reliefs, Krakelees in großen Linien oder in feinsten, schuppigen Netzen sowie eine Palette, die neben Blau und Grün das oft vergessene Reisgelb umfasst.

Ein Dialog mit der Vergangenheit

Wer das Klassische liebt, verweilt bei der Dose „Mondschein in klarem Wasser“ in ihrer fast bauhausartigen Schlichtheit (Xu Jianxin) oder bei der Flaschenvase mit Phönixhenkeln, die ein songzeitliches Vorbild beinahe wörtlich wiederholt (Jiang Xiaohong). Narrativen Witz und jugendliche Frische beweist die Schale „Äffchen betrachten den Vollmond“ (Jiang Feiyi). Wie eine seltsam versteinerte Melone, doch voll gesetzter Gravitas, dominiert die Deckelvase „Kraftvolles Fischschuppen-Krakelee“ den Raum (Mao Weijie).

Kritikwürdig in dieser sinnlichen Fülle sind allenfalls die coronabedingten Abstriche: Das Licht hätte man, wie in Zürich, unter Mitwirkung der Meister noch besser einrichten können. Die im Konzept vorgesehene Materialprobe zum Anfassen und damit die haptische Dimension des Seladons insgesamt fiel dem Infektionsschutz zum Opfer. Immerhin aber erläutert Meister Li Zhen in einem Video die Bedeutung der bei den alten Öfen gefundenen Scherbenfragmente, die für Experten „lesbar“ sind und einen Dialog mit der Vergangenheit erlauben, wie ihn Edmund de Waal in „Die weiße Straße“ beschrieben hat. Dabei wird der Wert der lokalen Ressourcen deutlich, zu denen neben den archäologischen Stätten vor allem die Rohstoffe, vulgo Erden, und die Landschaft als ästhetischer Resonanzraum gehören.

Die Münchner Ausstellung ist dabei keine harmlose Leistungsschau, sondern eminent politisch. Schon im Vorwort zum Katalog verweist Mao Zhengcong auf die „Neue Seidenstraße“. Auch die vor zwei Jahren im Palastmuseum Peking gezeigte Präsentation historischer Seladone stand unter dem Leitgedanken der Globalisierung. Die Spannung zwischen welterbewürdiger Meisterschaft und global vernetzten Produktionsverhältnissen verweist auf ein generelles Problem: Welche tradierten Kompetenzen wollen wir als Kulturgut erhalten – und warum? Mao Zhengcongs Enkelin, die nach einem zukunftsträchtigen Bachelor in 3-D-Animation an die traditionelle Töpferscheibe zurückgekehrt ist, resümiert selbstbewusst: „Es ist mir ein inneres Anliegen, von den Vorfahren zu lernen, um das Longquan-Seladon abermals zur Perfektion zu führen.“

Seladon im Augenmerk. Jadegleiche Porzellane und ihre Meister in Longquan. Im Museum Fünf Kontinente, München; bis Ende März 2022. Vom 17. bis zum 19. September findet ein Themenwochenende mit der Kuratorin ­Anette Mertens statt. Der Katalog kostet 48 Euro.

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