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#Jedes Leben beginnt mit einer Frau

„Jedes Leben beginnt mit einer Frau“

Es gibt Autorinnen, auf deren neues Werk man sich besonders freut, weil man ahnt und hofft, dass das, was man lesen wird, so kraftvoll sein wird, dass es uns einen neuen Blick auf die Welt eröffnet. Die italienische Schriftstellerin Giulia Caminito ist so eine Autorin.

Sie wurde 1988 in Rom geboren und hat bisher drei Romane, ein Märchen und einen Erzählband geschrieben. Vor zwei Jahren erschien unter dem Titel „Ein Tag wird kommen“ im Wagenbach Verlag zum ersten Mal ein Roman von ihr auf Deutsch. Jetzt folgt „Das Wasser des Sees ist niemals süß“. Man schlägt das Buch auf und verfällt ihm schon beim Lesen der ersten Sätze: „Jedes Leben beginnt mit einer Frau, so auch meins, es ist eine Frau mit rotem Haar, die ein Zimmer betritt, sie trägt ein Leinenkostüm, sie hat es zu dieser Gelegenheit aus dem Schrank hervorgeholt, sie hat es sich auf dem Markt bei der Porta Portese gekauft, an dem guten Stand mit den heruntergesetzten Markenklamotten, nicht an einem von denen mit dem Ramsch, sondern einem mit dem Schild VERSCHIEDENE PREISE. Die Frau ist meine Mutter, und sie hält eine Aktentasche aus schwarzem Leder fest in der linken Hand, sie hat sich die Haare selbst gelegt, hat Lockenwickler und Spray verwendet, den Pony mit der Bürste gebauscht, sie hat grüngelbe Augen und biedere Schuhe mit flachen Absätzen, sie tritt ein, und das Zimmer wird klein.“

Die Frau mit den roten Haaren, erfährt man, heißt Antonia Colombo und ist Mitte dreißig. Sie lebt mit ihrer Tochter, dem Sohn, den Baby-Zwillingen, die in Pappkartons schlafen, und ihrem Mann, der seit einem Sturz auf einer Baustelle, auf der er illegal arbeitete, querschnittsgelähmt ist, in Rom in einer 20-Quadratmeter-Kellerwohnung, die sie Ratten und Drogensüchtigen entrissen hat. Antonia ist am Ende ihrer Kräfte. Seit fünf Jahren schreibt sie Anträge, reicht Unterlagen bei den Behörden ein. Sie hat den Mann geheiratet, mit dem sie zusammenlebte, sie ist noch mal schwanger geworden, sie erfüllt alle Voraussetzungen – und trotzdem wird ihr keine Sozialwohnung zugewiesen.

„Dieser Rumpf von einer Frau, die meine Mutter ist“

Als falsche Anwältin – das Leinenkleid und die Aktentasche erfüllen ihren Zweck – verschafft sie sich Zutritt zum Amt für Wohnangelegenheiten. Und wird wieder abgewiesen. Da setzt Antonia sich im Schneidersitz auf den Boden, das Leinenkostüm rutscht dabei so weit hoch, dass man die Unterhose sieht. Sie grölt und schreit, es geht um ihre Familie und Zukunft, und mehrere Männer müssen kommen und sie hinaustragen – „diesen Rumpf von einer Frau, die meine Mutter ist“, so formuliert es die Erzählerin, die ihre Tochter ist. „Und mir ist, als stünde ich dort und sähe sie von der Ecke des Zimmers aus, ich richte über sie und vergebe ihr nicht.“

Wer ist diese Tochter, die so kalt und hart auf ihre Mutter blickt und der man sich insgeheim auch nah fühlt, weil sich wahrscheinlich jede und jeder schon einmal für einen Auftritt der eigenen Mutter geschämt hat? Die Bewohner des Viertels nennen sie, für die man sofort widersprüchliche Gefühle hat, „die Tochter der roten Frau“ oder „Antonias Tochter“. Ihre bittere Stimme führt als Ich-Erzählerin durch den gesamten Roman. Erst fast am Ende gibt sie – mittlerweile ist sie eine junge Frau und Studentin – ihren Namen preis. Sie heißt Gaia. Das bedeutet „die Glückliche“, und deshalb will sie nicht so genannt werden: Der Name beschreibt das genaue Gegenteil von ihr.

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