#Jetzt kommt alles wieder hoch
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„Jetzt kommt alles wieder hoch“
Deutschland schaut auf die Ukraine – und ist schockiert. Der sonst so beherrschte Familienvater ringt vorm Fernseher mit der Fassung, während seine Frau das erste Mal seit der Schulzeit wieder auf eine Demonstration geht. Die Viertklässlerin fragt sich, was sie wohl mitnehmen würde auf die Flucht. Und ihr deutlich älterer Bruder diskutiert mit seinen Kumpels, ob sie bereit wären, ihr Land zu verteidigen. Auf einmal stellen wir uns Fragen, haben wir Bilder im Kopf, die uns bislang fremd waren.
Anders geht es denen, die den Zweiten Weltkrieg als Kinder oder Jugendliche erlebt haben. Sie kennen ganz viele der Szenen, die uns nun erreichen, aus eigener Anschauung. Sie wissen, wie es in Luftschutzkellern aussieht und wie es sich anfühlt, dort für Stunden zu kauern. Sie brauchen keine Schwarz-Weiß-Aufnahmen, um sich den Anblick zerstörter Städte vor Augen zu führen. Sie standen selbst an Bahnhöfen und sagten ihren Müttern Lebewohl, als sie per „Kinderlandverschickung“ in Sicherheit gebracht wurden. Die über 80-Jährigen sind anders betroffen von den Bildern aus der Ukraine und aus den Nachbarländern als die Nachgeborenen. Denn bei ihnen werden Erinnerungen hervorgerufen.
Es sind Erinnerungen, die sich manchmal geradezu körperlich äußern. Clara Engel, geboren 1937, stellt das gerade am eigenen Leibe fest. „Als ich am ersten Tag des Kriegs den Fernseher angeschaltet und eine Sirene in der Ukraine gehört habe, das war fast wie ein Schmerz. Und dann kamen mir die Tränen“, sagt die 84-Jährige.
Viele Nächte verbrachten sie im Keller
Heute ist sie, die sich scheut, ihren richtigen Namen in der Zeitung zu lesen, im Taunus zu Hause, als Kind lebte sie im Großraum Hannover. Ihr Wohnort blieb die gesamte Kriegsdauer von Bombeneinschlägen verschont. Doch durch die Nähe zu den Städten Hameln und Hannover verbrachte die kleine Clara ab 1943 viele Nächte im Keller des Mehrfamilienhauses, in dem sie mit der Mutter und dem ein Jahr jüngeren Bruder lebte. Der Vater war direkt 1939 eingezogen worden, die zwei Jahre ältere Schwester bei den Großeltern im Taunus untergebracht. 1943 kam – nach einem Heimaturlaub des Vaters – noch ein kleiner Bruder hinzu.
Zu Fuß oder mit Pferdekarren flüchteten gegen Ende des Zweiten Weltkriegs und in den Monaten danach viele Menschen aus den östlichen Gebieten in Richtung Westen.
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Bild: dpa
Geweckt wurden sie in den Bombennächten durch die sogenannte Vorwarnung, eine Sirene, an die sich der Hauptalarm anschloss. „Dann sind wir in den Keller. Das war eingeübt. Wir haben immer in Kleidern geschlafen, mussten im Tran nur unsere Schuhe anziehen, und jeder hatte ein Köfferchen neben dem Bett, das wir uns gegriffen haben. Eine Nachbarin, die keine Kinder hatte, trug den Jüngsten im geflochtenen Wäschekorb in den Keller“, erzählt Clara Engel.
Die Stunden, manchmal waren es auch ganze Nächte, die die rund zehn Frauen und Kinder im Keller verbrachten, hat Engel als sehr ruhig und sehr dunkel in Erinnerung. Das Geräusch der Bomber – „ein unvorstellbar tiefes Brummen, ganz gleichmäßig“ – hat sie noch immer im Ohr. Angsteinflößend waren aber auch die Tiefflieger, die am Tag kamen. „Die hörte man erst, wenn sie schon da waren“, sagt Clara Engel, der eingebläut wurde, sich in einem solchen Fall flach auf die Straße zu werfen. „Wenn ich mich morgens vor der Schule von der Mutter verabschiedet habe, habe ich gedacht, ich weiß überhaupt nicht, ob ich noch mal nach Hause zurückkomme.“ Die Gefahren habe sie als Kind klar realisiert. „Das Leben bestand zum größten Teil aus Angst.“
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