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#Keine Zeugen, keine Hoffnung

Keine Zeugen, keine Hoffnung

Habu sähe seine Familie gerne auf der Liste. Auf der Liste derjenigen, die eine Chance haben, mit einem der letzten Rettungsflüge, den die Bundeswehr leistet, aus Kabul fortzukommen. Doch die Aussichten sind gleich null. Von 2007 bis 2013 hat Habu als Dolmetscher für die Bundeswehr gearbeitet. In Kunduz, seiner Heimatstadt, in der die Bundeswehr stationiert war, hat er von 2007 bis 2013 gearbeitet. Für die Bundeswehr, für die NATO war er bei zahlreichen brenzligen Einsätzen dabei. Ihm und seiner Frau wurde die Ausreise gewährt, seit 2014 lebt und arbeitet er in Frankfurt. Seine Familie ist noch immer in Afghanistan.

Michael Hanfeld

verantwortlicher Redakteur für Feuilleton Online und „Medien“.

Seine Mutter, seine Schwester und seine Brüder haben sich, wie er erzählt, nach Kabul durchgeschlagen. In Kunduz war für sie kein Bleiben. Das Haus der Familie sei niedergebrannt worden, als die Taliban Kunduz einnahmen. Sobald die Soldaten der Alliierten weg waren, sagt Habu, habe sich die Situation geändert. Die Taliban, die sich nach außen hin geläutert geben, hätten diejenigen, die für die Alliierten arbeiteten, gewarnt: Wenn wir an der Regierung sind, wird das für euch Konsequenzen haben. „Das Haus ist weg, alles ist weg“, sagt Habu. „Meine Familie hat nichts mehr.“ Seine Mutter und seine Geschwister halten sich in Kabul bei Verwandten versteckt, sie gehen nicht vor die Tür, die Kinder werden losgeschickt, um Essen aufzutreiben. Sich auf den Weg zum Flughafen zu machen, den die Taliban abgeriegelt haben, ohne Passierschein, ohne Dokument aus einem Aufnahmeland, ist aussichtslos. So wie Habu geht es unzähligen ehemaligen Ortskräften der Alliierten. Soldaten der Bundeswehr, die in Afghanistan waren, erhalten Hilferufe ihrer früheren Kameraden, für die sie nichts tun können, außer ihr Anliegen weiterzuvermitteln. Sie wissen um die Dimension des Elends, in dem der Westen jene Afghanen zurücklässt, die auf einen demokratischen Staat gehofft haben, in dem Demokratie und Menschenrechte herrschen – nicht die Scharia, nicht die Willkür der Taliban.

Reporter werden von amerikanischen Soldaten abgewiesen

Was da vor sich geht, drückt sich in den Bildern vom Kabuler Flughafen, die um die Welt gegangen sind und gehen, nicht ansatzweise aus. Was ist eine mit 800 Menschen besetzte Militärmaschine? Ein Bild des Jammers, denn die vielen, die auch noch mitwollten und in Gefahr sind, sehen wir nicht. Das knappe Dutzend Reporter, das darüber berichten wollte und in Kabul landete, haben die Amerikaner umgehend ausgewiesen. „Unter Androhung von Militärpolizei“, teilte der stellvertretende Chefredakteur der Bild-Zeitung, Paul Ronzheimer, am Mittwoch auf Twitter mit, hätten die Amerikaner ihn und zehn weitere Journalisten gezwungen, ein Flugzeug nach Qatar zu nehmen. Das sei ein „krasser Angriff auf die Pressefreiheit“. Zuvor habe das amerikanische Außenministerium beraten, ob man die Journalisten auf eigene Gefahr in die Stadt gehen lasse. „Aber die US-Regierung fürchtet angesichts der Schande, die in Afghanistan angerichtet wurde, ganz offensichtlich kritische Presse und will keine Zeugen.“

Die freie Reporterin Stefanie Glinski, die für den englischen Guardian und für verschiedene deutsche Medien (darunter auch die F.A.Z.) berichtet hat, schrieb auf Twitter, die Amerikaner hätten die elf Journalisten am Flughafen festgehalten. Ohne einen sicheren, von den Qataris organisierten Konvoi hätten die Amerikaner den Journalisten nicht erlauben wollen, den Flughafen zu verlassen. Fortwährend änderten sich die Vorgaben, schließlich seien die Journalisten zur Abreise gezwungen worden. Man habe ihr nicht einmal erlaubt, sich von einem lieben Freund zu verabschieden. „Die Presse wird zensiert“, schreibt Stefanie Glinski.

Keine Journalisten, keine Zeugen, keine Nachrichten, nicht jetzt und schon gar nicht in Zukunft: Wenn die Amerikaner abgezogen sind, wird die Weltöffentlichkeit wahrscheinlich nur bruchstückhaft erfahren, welche Taten die Taliban ihren hehren Worten folgen lassen. Die aus Afghanistan stammende Journalistin Zahra Joya hat im vergangenen November, finanziert mit eigenem Geld, die Plattform Rukhshana Media ins Leben gerufen, um vor allem über die Lage der Frauen in Afghanistan zu berichten. Benannt ist das Projekt nach einer jungen Frau, der neunzehn Jahre alten Rukhshana aus der Provinz Ghor, die Ende 2015 vor der Zwangsverheiratung floh, wegen Ehebruchs angeklagt und gesteinigt wurde. Die grausame Tötung der jungen Frau wurde auf einem Video festgehalten. „Ich erwarte das Schlimmste“, sagte Zahra Joya dieser Tage in einem Interview mit dem Guardian und dem Reuters Institute for the Study of Journalism mit Blick auf die Herrschaft der Taliban. Doch will sie die Hoffnung nicht aufgeben, dass deren Herrschaft nicht jene Formen wie in den Neunzigerjahren bis 2001 annimmt. In den vergangenen zwanzig Jahren habe sich viel zum Positiven verändert, auch für die Frauen. Sie hoffe, dies lasse sich bewahren. Wie sich die Lage in Afghanistan verändert, kann man bei Rukhshana Media nachlesen: Von Bestrafungen, welche die Taliban vornehmen, wird berichtet und der allgemeinen Furcht vor dem, was kommen mag. Die Familie von Habu steckt mittendrin und findet keinen Weg hinaus.

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