Wissenschaft

#Wie das Schwein seine flache Schnauze bekam

Kurze Schnauzen und ein flaches Profil: Das deutsche Hausschwein sieht heute ganz anders aus als noch vor 100 Jahren. Quasi im Zeitraffer hat sich seine Schädelform verändert. Ursache für diese beschleunigte Evolution ist offenbar der Mensch, wie Forschende herausgefunden haben. Demnach ist die heutige Schnauzenform des Schweins ein unbeabsichtigter Nebeneffekt der industriegetriebenen Züchtung seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Eine Ursache für die kurze Gesichtspartie könnte die Umstellung des Futters sein.

Seit mehreren Jahrtausenden halten wir Menschen uns Hausschweine als Fleischlieferant. Doch die Nutztiere sahen nicht schon immer so aus, wie wir sie heute kennen. Zu Beginn der Domestizierung – und bei einigen europäischen Rassen, die nicht mit Rassen aus Asien gekreuzt wurden, auch noch viel später – ähnelten die Hausschweine eher den Wildschweinen. Mit der Zeit wurden die Schweine dann größer, verloren ihre schwarzbraunen Borsten und entwickelten eine hellere Haut.

Einige Eigenschaften wurden im Zuge der Globalisierung und dem Streben nach Effizienz auch gezielt durch Selektion angezüchtet: „Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stieg die Nachfrage nach Schweinefleisch in Deutschland deutlich. Züchter waren angehalten, ihre Tiere zu optimieren: Sie sollten schnell wachsen, gutes Fleisch haben und fruchtbar sein“, erklärt Seniorautorin Renate Schafberg von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU). Doch welche Auswirkungen hatten diese Zuchtziele auf den Körperbau der Schweine, insbesondere den Kopf? Und wie schnell erfolgten die Veränderungen?

Schweineschädel wurden kürzer und flacher

Diesen Fragen ist ein Team um Schafberg und ihre Kollegin Ashleigh Haruda nachgegangen. Dafür scannten die Forschenden die Schädelform von 135 Schweinen aus drei Rassen: Deutsches Edelschwein und Deutsches (veredeltes) Landschwein sowie Wildschwein als Vergleichsgruppe. Anschließend rekonstruierte das Team anhand der Scans die Kopfform der Schweine und berechnete geometrische Unterschiede. Die Schädel stammten von Tieren, die entweder im frühen 20. Jahrhundert oder vor wenigen Jahren in Deutschland lebten. Sie wurden in der Haustiersammlung der MLU und dem Museum für Naturkunde in Berlin aufbewahrt.

Dabei zeigte sich: Die Schnauzen der heutigen Hausschweine sind deutlich kürzer und flacher als beim Wildschwein und älteren Nutztieren. Zudem ist ihre Stirn flach und nicht mehr leicht nach außen gewölbt wie beim Wildschwein – wodurch die Nase nun eher nach vorn als wie früher nach oben zeigt. Insgesamt ist das Gesicht kleiner und komprimierter. „Dass sich diese Unterschiede bereits in einem Zeitraum von 100 Jahren so deutlich zeigen, hatten wir nicht erwartet“, sagt Schafberg. Der Zeitraum entspricht etwa 100 Züchtungsgenerationen.

Auffällig dabei: Bei beiden Hausschweinrassen hat sich die Schädelform auf dieselbe Weise verändert. Zwar ist der Effekt beim Deutschen Edelschwein etwas größer, doch das Prinzip ist dasselbe – obwohl die zwei Rassen jahrzehntelang getrennt voneinander gehalten wurden und obwohl die Schädelmerkmale für die Züchtung von großen, fleischreichen Tieren unwichtig waren. „Die Veränderungen scheinen vielmehr ein unbeabsichtigtes Nebenprodukt der Auswahl der gewünschten Eigenschaften zu sein“, schließt Schafberg. Obwohl für die Züchter vor allem Größe, Muskel- und Fettanteil zählten, entwickelten beide Schweinerassen demnach eine kürzere Gesichtspartie. Doch wie kam es dazu?

Futter als Evolutionstreiber?

Die Forschenden vermuten, dass die kurze und flache Schädelform eine Folge der Ernährung sein könnte. Da das Futter beeinflusst, wie stark und schnell die Tiere wachsen, erhalten Nutzschweine eine ganz andere Ernährung als ihre wildlebenden Verwandten. Während Wildschweine weiterhin Allesfresser sind und dadurch eine eher lange Schnauze entwickelten, erhalten Hausschweine heute vor allem proteinreiche Kraftfutter-Pellets aus Getreide und Ölsaaten. Vor 100 Jahren hingegen lebten Hausschweine noch nicht in Ställen und erhielten Abfälle von menschlichen Lebensmitteln als Futter. Die Umstellung auf Tröge und Kraftfutter könnte eine lange Schnauze zum Kauen, zur Futtersuche und zum Wühlen in der Erde überflüssig gemacht haben, vermuten Haruda und ihre Kollegen. Beweisen ließ sich das aber bislang nicht.

Die Ergebnisse zeigen, wie stark der Mensch die Evolution von Tieren beeinflussen kann. „Charles Darwin ging davon aus, dass große Veränderungen nur über sehr lange Zeiträume ablaufen können – über Millionen von Jahren. Unsere Arbeit ist ein weiterer Beleg dafür, dass der Mensch diesen Prozess durch gezielte Zucht extrem beschleunigen kann“, sagt Co-Autor Frank Steinheimer von der MLU.

Quelle: Ashleigh Haruda (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) et al.; Royal Society Open Science, doi: 10.1098/rsos.241039

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