#Kleine Dinge waren seine Sache nicht
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„Kleine Dinge waren seine Sache nicht“
Führe man unbedarft durch den südlichen Schwarzwald, wäre man wohl auch heute noch überrascht vom Anblick des urplötzlich vor einem aufragenden Klosters St. Blasien. Wie ein Ufo erhebt sich inmitten tiefer Wälder eine barocke Riesenklosteranlage, und innerhalb dieses Escorials des Schwarzwaldes steigt wiederum die zweitgrößte Kuppel nördlich der Alpen über der schlossartigen Anlage empor. Der sicher bedeutendste Abt dieses „Schwarzwald-Vatikans auf der grünen Wiese“ war Martin Gerbert, der es nach einem verheerenden Brand ab 1768 größer und schöner als zuvor wieder aufbauen ließ, sowie in den gut dreißig Jahren seiner Ägide den ebenfalls verbrannten beträchtlichen Buchbestand ersetzte und zu einer der wichtigsten Forschungsbibliotheken des achtzehnten Jahrhunderts ausbaute. Gerbert, der 1720 geboren wurde, ist heutzutage – wenn überhaupt – nur noch als Begründer der Brauerei Rothaus mit dem Bier „Tannenzäpfle“ bekannt, die wie nahezu aller Besitz des Klosters 1806 verstaatlicht wurde.
Pfundig: Das im ausgehenden elften Jahrhundert entstandene und mehrfach umgestaltete Adelheid-Kreuz aus dem Schatz von St. Blasien ist mit seinen insgesamt 176 Edelsteinen das größte Gemmenkreuz des Mittelalters.
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Bild: Gerfried Sitar
Bildungsschatz im tiefen Wald
Spricht man von Klöstern als Schatzkammern des Geistes und Bewahrern wie Vermittlern von Wissen, sind fast immer die mittelalterlichen Klosterbibliotheken mit ihren teils noch antiken Buchschätzen gemeint. Im späten achtzehnten Jahrhundert denkt kaum jemand an Äbte als Mitträger der Aufklärung. Dass aber Gerbert bewusst war, dass die Kirche ohne Reform und vor allem die absolute Priorisierung guter Bildung nicht weiter würde bestehen können und dass er die 26 000 beim Brand von 1768 verlorenen Bücher durch annähernd 30 000 mittels eines ausgedehnten Korrespondenznetzes quer durch Europa zu ersetzen vermochte, ist nahezu unbekannt. Dieser immense „Schatz der Mönche“ von St. Blasien, dem sich eine bereits aufgebaute Ausstellung im Freiburger Augustinermuseum und ein überdurchschnittlich informatives Katalogbuch widmen („Der Schatz der Mönche. Leben und Forschen im Kloster St. Blasien,“ 29,80 Euro; die hoffentlich bald eröffnende Schau ist bis zum 19. September zu sehen), befindet sich seit der Säkularisierung nicht mehr vor Ort, vielmehr in Sankt Paul im Kärntner Lavanttal.
Dennoch sind Freiburgs Städtische Museen der logische Ort für die Ausstellung, blieben doch etliche Teile des Schatzes beim erzwungenen Umzug 1806 im Umfeld der Stadt hängen und ist das Historische Museum im ehemaligen Augustinerkloster der größte kulturhistorische Sammelpunkt für den Schwarzwald.
Und das war nur der Kasten um ein Buch herum: Wohl um 1260/70 in Straßburg ziselierte der mittelalterliche Goldschmied ein prächtiges Kirchengebäude en miniature für eine Heilige Schrift.
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Bild: Erzbischöfliches Ordinariat Freiburg
Die drei dort gezeigten kunsthistorischen Hauptschätze allein lohnen jede Anfahrt: Mit dem wohl 1083 dem Kloster gestifteten Adelheid-Kreuz ist das größte mittelalterliche Gemmenkreuz überhaupt mit den zugleich größten Holzpartikeln des Kreuzes Christi zu sehen. Der gotische Buchkasten aus Gold, etwa 1260 in Straßburg entstanden, spiegelt en miniature eine komplette Kirchenfassade der Zeit mit all ihrem Skulpturenschmuck wider – dies „nur“ als äußere Schutzhülle eines Buches. So ziert auch das besonders prächtige Himmelfahrtsrelief aus Elfenbein von 870 der karolingischen Hofschule von Reims nur den Deckel des ebenso kostbar illuminierten Reichenauer Sakramentars darunter. Nie aber würde man erwarten, vor einer Vitrine mit gleich drei fast 1600 Jahre alten Büchern zu stehen: Von Abt Gerbert angekauft liegen dort zwei Abschriften des Alten Testaments aus dem fünften Jahrhundert, die zu den ältesten weltweit gehören. Daneben findet sich aufgeschlagen ein unscheinbares Büchlein mit blau eingefärbten Pergamentseiten. Es handelt sich um die am vollständigsten erhaltene Fassung von Plinius’ antiker Naturgeschichte, ebenfalls aus dem fünften Jahrhundert. Die römische Handschrift liegt unter einem Hieronymus-Kommentar zum Buch Kohelet, ein Palimpsest, der Kostbarkeit des Pergaments wegen im Mittelalter erneut überschrieben, konnte aber im Jahr 1853 durch Einfärbung mit einer Chemikalie wieder sichtbar gemacht werden, wobei sich die Seiten allerdings irreparabel blau verfärbten.
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