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#Klimaschutz zwischen Anspruch und Wirklichkeit – Astrodicticum Simplex

Klimaschutz zwischen Anspruch und Wirklichkeit – Astrodicticum Simplex

Österreich ist ein umweltbewusstes Land. 75 Prozent der Menschen hier tragen mit ihrem Verhalten aktiv zum Klimaschutz bei. Mehr als 80 Prozent sind bereit, das zu tun. 70 Prozent richten ihr Konsumverhalten am Klimschutz aus, zwei Drittel planen ihren Urlaub klimafreundlich. 74 Prozent wollen, dass die Regierung mehr Gesetze erlässt, damit auch Unternehmen klimafreundlicher agieren und 63 Prozent wollen entsprechende politische Maßnahmen, die auch Privatpersonen zu mehr Klimaschutz verpflichten. Das klingt alles sehr vielversprechend – ist aber doch nur die Selbsteinschätzung der Menschen in diesem Land, die in einer repräsentativen Befragung Anfang Juni 2021 erhoben wurde. Denn wenn es dann wirklich einmal politische Maßnahmen gibt, stellen wir offensichtlich sehr schnell fest, dass das mit dem Klimaschutz und so ja schon prinzipiell eine gute Sache ist – aber doch bitte nicht auf diese Weise und schon gar nicht so, dass es uns selbst trifft. Die Welt muss sich ändern, aber nur, wenn wir so weiter machen dürfen wie bisher!

Dass zwischen Anspruch und Wirklichkeit in Sachen Klimaschutz eine große Lücke klafft, ist keine neue Erkenntnis. Aber sie zeigt sich immer wieder – zum Beispiel bei dem, was gerade an meinem derzeitigen Wohnort passiert. Baden bei Wien ist eine Kleinstadt in Niederösterreich. Knapp mehr als 25.000 Einwohner, ein Kurort mit Thermalbädern, jeder Menge Natur und Kultur, einem Casino, einem Theater, und so weiter. Mit dem Zug ist man in 20 Minuten in der Hauptstadt Wien. Regiert wird Baden derzeit von einer Koalition aus konservativer ÖVP und den Grünen. Diese Stadtregierung hat nun etwas gemacht, was die Badenerinnen und Badener offensichtlich sehr verstört: Nämlich ein neues Konzept für die Parkplätze in der Innenstadt beschlossen!

Hier kurz die Fakten: Wer direkt in der Innenstadt parken will, muss dafür bezahlen (werktags). Das war auch früher schon so. So wie früher wird man auch jetzt maximal zwei Stunden parken dürfen. Die einzige Neuerung: Nach 20 Jahren wurden die Kosten angepasst. Die ersten 15 Minuten parken sind gratis, danach zahlt man einen Euro pro halber Stunde. Zusätzlich wurde aber auch eine neue Parkzone um die Innenstadt herum eingeführt. Dort konnte man bisher parken, ohne zu bezahlen. Jetzt kostet es – nach den kostenlosen ersten 15 Minuten – auch hier etwas (zumindest von Montag bis Freitag zwischen 8 und 16 Uhr). Und zwar 50 Cent pro halber Stunde oder 5 Euro pro Tag. Wer in dieser Zone seinen Hauptwohnsitz hat, kann eine Jahreskarte für 125 Euro kaufen.

Parken ist kontrovers… (Bild: Ikar.us, CC-BY 3.0)

Das wars auch schon; eine übliche lokalpolitische Entscheidung eben. Das, was Städte eben so machen. Aber wenn man sich so ansieht, wie die Reaktion der Badenerinnen und Badener (vor allem in den sozialen Medien) ausfällt, könnte man meinen, die Stadtregierung würde uns zwingen, unsere Erstgeborenen zu opfern…

Ich besitze seit knapp 20 Jahren kein Auto, mir als Individuum kann es also sehr egal sein, ob und wie viel man irgendwo zahlen muss, um sein Kraftfahrzeug abzustellen. Mir, als Mensch, der gerne an einem lebenswerten Ort leben möchte und als jemand, der sich über den Klimaschutz Gedanken macht, ist es aber definitiv nicht egal. Ich kann durchaus nachvollziehen, dass man sich ärgert, wenn man plötzlich für etwas bezahlen soll, was bisher kostenlos war. Nur dass “kostenloser” Parkraum eben alles andere als kostenlos ist. Irgendwer muss die Errichtung der Parkplätze bezahlen und das sind allgemeinen alle, die Steuern bezahlen. Egal ob jemand ein Auto hat oder nicht: Man zahlt für die Straßen, Parkplätze, etc. Das ist an sich nicht weiter schlimm, denn genau so funktioniert ein Gemeinwesen ja. Kosten tut so ein Parkplatz aber auch indirekt: In Österreich sind die Treibhausgasemissionen aus dem Verkehr seit 1990 um fast 75 Prozent gestiegen! Ja, da sind auch Schiffe und Flugzeuge dabei. Aber den überwiegenden Teil machen die Emissionen von PKWs aus. Der Verkehr hat einen Anteil an den gesamten Treibhausgasemissionen von 30 Prozent. Österreich hat in der EU den dritthöchsten Pro-Kopf-Austoß von CO2 beim Kfz-Verkehr. Die CO2-Emissionen im Verkehr waren 2019 größer als 2018. Und 2018 größer als 2017. Die Emissionen sind in den letzten 5 Jahren immer gestiegen. Wir sind jetzt ungefähr auf dem Stand von 2005 und sehr deutlich über dem, was laut österreichischem Klimaziel für 2030 erreicht werden soll.

Die Kleinstadt Baden wird die Klimakrise natürlich icht im Alleingang lösen können. Schon gar nicht mit diesem Parkraumkonzept der Stadtregierung, das auch weniger vom Klimaschutz motiviert war, sondern der Versuch ist, die überlastete Parkplatzsituation zu entschärfen. Aber es ist dennoch eine Tatsache, dass die vielen Autos ein großes Problem für das Klima sind. Die von den CO2-Emissionen des Verkehrs mitverursachte Klimakrise erzeugt Kosten. Wir werden viel Geld brauchen, um die Folgen des Klimawandels in den Griff zu kriegen. Geld, dass ebenfalls von uns allen aufgebracht werden muss und die Summe wird umso größer, je länger wir mit effektiven Klimaschutzmaßnahmen warten. “Kostenlose” Parkplätze sind also eine Illusion.

Der Theaterplatz in Baden wäre ohne Autos sicher nicht hässlicher (Bild: Earnest B CC-BY-SA 3.0 AT)

Ein weiteres Argument der Stadtregierung für das neue Parkraumkonzept war die Erhaltung der “besonderen Lebensqualität” in Baden. Wenn man keine Parkplätze mehr findet; wenn der Parkplatz weit weg vom Ziel liegt: Dann ist das anscheinend keine gute “Lebensqualität”. Ich sehe das anders und ich hätte mir gewünscht, dass diese andere Sicht auch als Argument verwendet worden wäre. Wirklich lebenswert wäre, zumindest meiner Meinung nach, nämlich eine Stadt, die nicht voller Autos ist. Wir haben uns so sehr an die Anwesenheit der Fahrzeuge gewöhnt, dass wir sie kaum noch registrieren. Man muss sich bewusst zwingen, sie wahrzunehmen. Aber wenn man das tut, dann ist der Anblick eigentlich erschreckend. Jede Straße ist gesäumt mit parkenden Autos. Viele Plätze überall in der Stadt bestehen eigentlich aus nichts anderem als einer betonierten Fläche auf der Autos stehen können. Menschen, für die die Stadt ja eigentlich da sein sollte, werden an die Ränder der Straßen gedrängt und der restliche Raum gehört den Fahrzeugen. In Wien etwa sind 65 Prozent der Fläche entweder Parkplätze oder Straßen. Das ist absurd. Man kann gerne mal das Experiment machen, durch die Straßen einer Stadt gehen, und sich dabei alle Autos wegdenken. Dann wird plötzlich enorm viel Raum frei; Raum, der genutzt werden könnte, um eine Stadt erst so richtig lebenswert zu machen. Raum für Grünflächen, Raum für Aktivitäten, Raum für Menschen anstatt für Fahrzeuge.

Ich weiß, das klingt nach naiver Utopie. Das ist in gewissen Sinne auch eine naive Utopie. Natürlich wird man nicht von heute auf morgen alle Autos abschaffen und überall Bäume pflanzen und Kinderspielplätze bauen können. Aber man kann doch bitte darüber nachdenken, ob es immer noch eine so gute Idee ist, Städte so zu behandeln, wie wir es vor 50 Jahren getan haben. Man muss sogar darüber nachdenken. Es wird in Zukunft schlicht und einfach nicht mehr möglich sein, dass jeder von uns ein 1,5 Tonnen schweres Trumm aus Metall und Plastik besitzt und durch die Gegend steuert. Selbst wenn es mit Strom angetrieben wird und nicht mit fossilen Brennstoffen. Denn ein sehr relevanter Teil der Treibhausgase stammt nicht vom Treibstoff, sondern von den Ressourcen, die für den Bau und die Entsorgung der Fahrzeuge verbraucht werden. Ebensowenig können wir erwarten, dass wir diese Fahrzeuge weiterhin kostenlos überall hinstellen können, wo wir gerade wollen. Das wird sich ändern müssen und noch haben wir die Chance, diesen Wandel mitzugestalten, anstatt ihn uns irgendwann von den Folgen der Klimakrise aufzwingen zu lassen.

Jetzt wird mit Sicherheit der eine oder die andere (wahrscheinlich schon etwas wütend) einwenden: Ja, aber ich brauche doch mein Auto! Das kann gut sein. Es gibt Situationen, wo man – leider – wirklich nicht ohne privates Fortbewegungsmittel auskommt. Weil man irgendwo am Land wohnt, irgendwo ganz anders arbeitet und dazwischen keine andere Beförderungsmöglichkeit existiert (das Problem, warum so viele von uns an ganz anderen Orten wohnen als sie arbeiten, ignorieren wir jetzt einmal). Das ist so, aber das ist kein gottgegebener Zustand, an dem sich niemals etwas ändern kann. Es ist durchaus möglich, das Angebot der öffentlichen Verkehrsmittel so zu gestalten, dass es attraktiver, komfortabler und billiger ist, NICHT mit dem Auto zu fahren. In vielen Fällen ist das heute sogar schon der Fall. Was man aber nur dann mitkriegt, wenn man diese Angebote auch nutzt. Ansonsten kennt man tatsächlich nur das eigene Auto, kann sich gar nicht vorstellen, wie angenehm es ist, nicht am Steuer eines Fahrzeugs sitzen zu müssen, Parkplätze suchen zu müssen, immer nur die Autokolonnen auf den Autobahnen sehen zu müssen, usw – und kommt dann eben zu dem (Trug)Schluss, dass man das Auto dringend “braucht”.

Muss man auch parken, braucht aber weniger viel Platz (Bild: Adrián Cerón, CC-BY-SA 4.0)

Mit der Situation in Baden hat das aber eigentlich nicht viel zu tun; hier geht es ja um eine Parkzone in der Innenstadt und selbst vom äußersten Ende dieser Zone sind es weniger als 1000 Meter bis zum nächsten Bahnhof (und die Stationen des Stadtbusses liegen noch näher). Und ja, natürlich: Nicht alle sind gut zu Fuß; nicht alle können mit dem Fahrrad fahren; man muss ständig schwere Getränkekisten durch die Gegend transportieren oder Arbeitsmaterial (oder was auch immer es sonst noch für Standardargumente gegen den Verzicht auf das eigene Auto gibt). Das sind auch alles im Einzelfall durchaus berechtigte Einwände. Aber genau genommen kein Grund dafür, dass man zwingenderweise ein eigenes Auto besitzen und damit kostenlos parken dürfen muss. Ich kann die Menschen verstehen, die ihren Wocheneinkauf lieber mit dem Auto nach Hause transportieren wollen anstatt sich vollbeladen damit in eine Straßebahn zwängen wollen. Das geht mir nicht anders. Aber man muss die Sache umgekehrt sehen: Wenn der Verzicht auf das Auto zu Problemen führt, dann muss das Ziel darin bestehen, diese Probleme zu lösen, anstatt einfach im Status Quo zu verharren!

Es gibt jede Menge unterschiedliche Mobilitätskonzepte: Car-Sharing, Bikesharing, Lieferdienste, Park&Ride. Man kann Radwege so bauen und anlegen, dass man nicht auf jedem Meter Gefahr läuft, von einem Auto erfasst zu werden oder enorme Umwege fahren muss, um ans Ziel zu gelangen. Man kann öffentliche Verkehrsmittel so organisieren, dass man ausreichend Platz hat, pünktlich ans Ziel kommt und dabei deutlich weniger bezahlen muss als für ein eigenes Auto. Und so weiter: Dass es für viele Menschen heute immer noch unpraktisch ist, auf ein Auto zu verzichten, ist ein Problem der Politik. Die könnte nämlich durchaus dafür sorgen, dass es nicht so ist. Und wenn man sich klar macht, dass es erstens tatsächlich die Lebensqualität steigern würde, in einer Stadt zu wohnen, die nicht voller Autos ist und wir zweitens in Zukunft so oder so die Sache mit dem “Jeder Mensch besitzt sein eigenes Auto” aufgeben müssen: Dann ist eigentlich klar, dass es mehr als nur sinnvoll ist, sich für eine entsprechende Politik einzusetzen.

Baden ist hübsch! Wär schön, wenn das so bleibt. (Bild: Uoaei1, CC-BY-SA 4.0)

Womit ich jetzt gegen Ende dieses Textes auch ein wenig Kritik an der Parkraumentscheidung der Stadtregierung von Baden üben kann. Das alles war nicht mutig genug! Anstatt die leichtere Parkplatzsuche als Steigerung der Lebensqualität zu verkaufen, hätte man sich dafür entscheiden sollen, den Menschen zu zeigen, wie lebenswert es wirklich sein kann, eine Stadt für Menschen zu gestalten anstatt für Fahrzeuge. Anderswo auf der Welt ist so etwas ja mittlerweile durchaus schon üblich; mit so einem Konzept kann man sogar Wahlen gewinnen, wie etwa Anne Hidalgo, die (wiedergewählte) Bürgermeisterin von Paris und ihr Projekt einer autofreien Innenstadt zeigt. Neben einem Parkraumkonzept könnte sich Baden auch endlich einmal Gedanken über ein vernünftiges Radwegenetz machen, das sich nicht nur auf den touristischen Durchgangsradverkehr konzentriert, sondern auf die alltäglichen Radfahrten in der Stadt. Vor allem kann und muss man den Menschen zeigen, was man mit dem durch solche Konzepte gewonnen Platz anstellen könnte. Man muss demonstrieren, wie der öffentliche Raum wirklich öffentlich sein kann; Raum für Menschen sein kann und nicht nur Abstellfläche für Fahrzeuge.

Baden ist nur eine Kleinstadt im Süden von Wien. Aber diese lokale Diskussion steht stellvertretend für das, was auch überall anders dringend diskutiert werden muss. Es reicht nicht, wenn wir uns nur ändern wollen. Wir müssen es auch tatsächlich tun!

P.S. In der Eingangs erwähnten Umfrage erklären 79 Prozent der Österreicher*innen, sie würden sich beim Kauf von Autos selbstverständlich Gedanken über den Treibstoffverbrauch machen. Der tatsächlich beliebteste Fahrzeugtyp mit einem Anteil von fast zwei Dritteln an den Neuzulassungen ist der SUV. Tja.

Österreich ist ein umweltbewusstes Land. 75 Prozent der Menschen hier tragen mit ihrem Verhalten aktiv zum Klimaschutz bei. Mehr als 80 Prozent sind bereit, das zu tun. 70 Prozent richten…

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