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#Absturz für alle

„Absturz für alle“

Die Bühnenfassung des Romans „Johann Holtrop“ von Rainald Goetz, die der Kölner Schauspielintendant Stefan Bachmann und seine Dramaturgin Lea Goebel hergestellt haben, fängt genauso an wie das Buch. Noch genauer gesagt: Stefan Bachmanns Inszenierung dieser Bearbeitung, eine Koproduktion der Schauspielhäuser von Köln und Düsseldorf, die jetzt in Köln Premiere feierte und vom 11. März an auch in Düsseldorf gezeigt wird, fängt genauso an, wie der Autor den Anfang des Buches in einem langen Interview beschrieben hat, das Ijoma Mangold und Moritz von Uslar für die „Zeit“ mit ihm führten: „Es geht mit einem märchenhaften Satz los, dann geht es mit der Beschreibung dieses Gebäudes los, und dann geht es über in eine klassische Suada, in eine Anklage-Suada.“ Es geht also gleich mehrfach los, mit einem Dreischritt von Beschwörung, Beschreibung und Verwünschung. Beschworen wird eine romantische Stimmung, beschrieben wird ein diese Stimmung verschluckendes hässliches Bürogebäude im Gewerbegebiet am Rand einer Kleinstadt in Ostdeutschland, verwünscht wird der Kapitalismus, der diese Hässlichkeit hervorgebracht hat. Mit einem „wie, wie, wie –“ gerät die Schimpfmaschine schnell ins Stottern; dem Erzähler fällt keine Vergleichsgröße ein, die scheußlich genug wäre. Und dann? Dann fängt er noch einmal an. In den Worten des Autors: „Und dann geht die Narration los.“ Also der eigentliche Roman, der Bericht über ein Nacheinander von Ereignissen. Am Anfang wirken sie noch wenig romanhaft. Nichts Besonderes ereignet sich, sondern das schiere Gegenteil. Es ist Nacht, auf dem Parkplatz vor dem Büroturm hält ein Subaru mit zu dieser Tageszeit zwecklos getönten Scheiben. Das Putzteam einer Firma namens Clean Impact steigt aus und verrichtet wie jede Nacht im Akkord seine Arbeit.

Patrick Bahners

Feuilletonkorrespondent in Köln und zuständig für „Geisteswissenschaften“.

Was geschieht im Theater? Die Putz­kolonne in blauen Overalls fegt über die Bühne. Der Clean-Impact-Faktor des Subunternehmens aus dem Firmenimperium des Titelhelden ist die Wirbelfrequenz der Beinarbeit. Jeder Taktzeitarbeiter darf sich kurz vorstellen; wie im typischen professionellen Ballettensemble ist der Anteil von Osteuropäern hoch. Die Tanztruppe schiebt gleichzeitig mit den bunten Putzkarren auch noch Dienst als Chor. Der Bericht über die monotonen Routinen der Papiermüllentsorgung kommt als Arbeitersprechgesang zum Vortrag. Die Narration ist also bei der Kürzung für die Bühne nicht im Papierkorb gelandet: Der Roman als Bühnentext bleibt Roman.

Zum Weitertanzen verdammt

Theodor W. Adorno schrieb über Honoré de Balzac: „Die Parole enrichissez-vous bringt die Figuren Balzacs zum Tanzen.“ In Adornos Bild liegt der Akzent darauf, dass das Tanzen eine Fertigkeit ist, die erlernt werden muss. Die an die industrielle Welt „noch nicht Adaptierten“ stellen das Personal von Balzacs Romanen; „zusätzlicher Energien der In­dividuen“ bedarf der „expansive Kapitalismus“ nach Adornos Vorstellung, „solange er nicht ganz eingespielt ist“. Der Roman von Goetz, der 2012 erschienen ist, spielt nach der jüngsten Jahrtausendwende, zwischen Neuwirtschaftswunder und Miss­kreditepidemie. Auch diejenigen, die sich nicht bereichern können, sondern froh sind, wenn sie mit dem Mindestlohn über die immergleichen Runden kommen, sind zum Weitertanzen verdammt, linksrum, rechtsrum, wie’s befohlen wird, eingespannt in „ein System universaler Ab­hängigkeiten und Kommunikationen“, wie Adorno den Kapitalismus Balzacs charakterisiert. Goetz bringt dieses System als räumliche Einheit zur An­schauung: das Büro. In den oberen Etagen bilden die vermeintlichen Solisten sich ein, ihre Adaption ans mechanische Bewegungsraster sei berufslebenslange Herausforderung, und der Kapitalismus werde solange weiter expandieren, wie er immer noch nicht ganz eingespielt sei.

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