Wissenschaft

Körperteile von Axolotl haben eigene „Postleitzahlen“

Axolotl (Ambystoma mexicanum)

Axolotl (Ambystoma mexicanum)

Bild von

Der Axolotl (Ambystoma mexicanum) ist ein im Wasser lebender Schwanzlurch. Das Tier ist ein wichtiger Modellorganismus zur Erforschung der Regeneration verlorener Gliedmaßen. © Tibor Kulcsar, IMBA

Forschende haben herausgefunden, warum Axolotl-Gliedmaßen an der richtigen Stelle nachwachsen. Demnach wächst bei einem verlorenen Arm deshalb ein Arm nach, weil jede Körperzelle eine Art genetische Postleitzahl besitzt. Im Verletzungsfall greifen die verbliebenen Zellen auf dieses genetische Positionsgedächtnis zurück und informieren die nachwachsenden Zellen in ihrer Umgebung mithilfe von Proteinsignalen über die „richtige“ Postleitzahl der Gliedmaße. Indem man diese Gene und Proteine gezielt anschaltet, könnten künftig im Labor oder im menschlichen Körper neue Gewebe jeder Art gezüchtet werden, so die Forschenden.

Die in Mexiko heimischen Axolotl (Ambystoma mexicanum) sind dafür bekannt, dass ihnen verlorene Körperteile und innere Organe innerhalb von wenigen Wochen vollständig nachwachsen. Das ist auch nötig, denn die etwa 25 Zentimeter langen Lurche sind aggressive Kannibalen und knabbern ihren Artgenossen regelmäßig Gliedmaßen ab. Doch woher wissen die nachwachsenden Zellen, zu welcher Art von Körperteil und Gewebestruktur sie sich entwickeln sollen? Schließlich sieht eine Hand anders aus als ein Bein und ein Daumen anders als ein kleiner Finger.

Aus früheren Studien ist bekannt, dass Stammzellen auf der Daumenseite eines Arms das Signalprotein Fgf8 freisetzen und Stammzellen auf der Armvorderseite des kleinen Fingers das Protein Shh. Zusammen informieren diese beiden Signale umliegende Zellen darüber, dass hier ein Arm samt Hand nachwachsen soll. „Was wir nicht wussten, war, welche Mechanismen dafür sorgen, dass FGF8 und Shh während der Regeneration an beiden Seiten des Arms eingeschaltet werden“, erklärt Leo Otsuki vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) in Wien.

„Hand2“-Gen signalisiert Position auf der Fingerseite

Ein Team um Otsuki hat nun näher untersucht, woher Zellen ihre Position im Axolotl-Körper kennen. Die Forschenden suchten im Erbgut und Körper der Axolotl nach dem Hauptmechanismus, der der Positionsinformation zugrunde liegt. Dabei stellten die Forschenden fest, dass jede Körperzelle auch ohne Verletzung eine Art genetische Postleitzahl besitzt, die ihre derzeitige Position im Körper wie auf einer molekularen Karte angibt. Geht ein Körperteil verloren, senden die benachbarten Zellen ein Signal aus, dass ihre Postleitzahl-Information an nachwachsende Zellen weitergibt. Diese interpretieren daraus ihre eigene künftige Postleitzahl und bilden daraufhin die entsprechenden Gewebestrukturen aus.

In den Zellen auf der hinteren Armseite des kleinen Fingers besteht diese Postleitzahl beispielsweise aus dem Gen „Hand2“, wie Otsuki und seine Kollegen feststellten. Dieses Gen ist im gesunden Körper ständig schwach aktiv und erinnert die Zellen so an ihre Position im Arm. Im Verletzungsfall steigt die Genaktivität jedoch und sorgt für die Freisetzung des Shh-Signals. Umliegende Zellen, die dieses Protein erreicht, entwickeln sich daraufhin zu Armzellen der Fingerseite. Weiter entfernte Zellen, bis zu denen das Shh-Signal nicht durchdringt, wachsen hingegen zu Armzellen der Daumen- oder Vorderseite. Sobald der Arm komplett nachgewachsen ist, sinkt die Genaktivität von „Hand2“ wieder auf das Ausgangslevel und es wird kein Shh mehr produziert.

Demnach wird beim Axolotl nach einer Verletzung ein bereits vorhandenes Positionsgedächtnis aktiviert und dessen molekulares Signal verstärkt, um eine korrekte Gewebebildung anzustoßen. Für die Regenrationsforschung ist diese Erkenntnis ein echter Durchbruch. „Wir haben ein flexibleres Regenerationsmodell entdeckt, als wir erwartet hatten“, sagt Otsuki.

Bild von einer genetisch veränderten Axolotlhand mit Farbmarkierung der Armvorder- und rückseite
Genetisch veränderte Axolotlhand zeigt den Positionscode: vordere Zellen und Fingerspitzen leuchten in Magenta, hintere Zellen in Grün. ©Leo Otsuki/IMBA.

Nachwachsende Körperteile beim Menschen?

Der entdeckte Postleitzahl- und Signal-Code lässt sich auch praktisch nutzen. Denn wie Otsuki und seine Kollegen demonstrierten, lassen sich Axolotl-Zellen umprogrammieren, indem man sie in den Signalbereich einer fremden Postleitzahl platziert. Aus einer Armzelle der Vorderseite wird demnach ein Armzelle der Rückseite, wenn sie das Shh-Signal erhält. Mit dieser Umprogrammierungs-Technik könnten sich künftig ganze Gewebe und Organoide mit gewünschter Zellidentität im Labor züchten lassen, hofft das Team.

Möglicherweise lassen sich so künftig auch Gewebe direkt im menschlichen Körper verändern: „Die Fähigkeit, nach einer Verletzung verbleibende Zellen umzuwandeln und ihre Funktion zu verändern, ist für Anwendungen in regenerativen Therapien von entscheidender Bedeutung“, sagt Otsuki. Die Technik könnte demnach medizinische Innovationen hervorbringen, bei denen menschliche Körperzellen bei Bedarf in Zelltypen mit anderer Postleitzahl verwandelt werden. „Dieselben Hand2- und Shh-Gene sind auch bei Menschen vorhanden. Wenn ein ähnliches Positionsgedächtnis wie beim Axolotl in menschlichen Gliedmaßen vorhanden ist, könnten Wissenschaftler es eines Tages gezielt nutzen, um neue regenerative Fähigkeiten freizusetzen“, sagt Seniorautorin Elly Tanaka vom IMBA. „Durch die Verwendung der Hand2-Expression zusammen mit anderen Erkenntnissen aus dem Axolotl-Modell könnten wir schließlich in der Lage sein, Gliedmaßen bei Säugetieren nachwachsen zu lassen.“

Quelle: Leo Otsuki (IMBA) et al.; Nature, doi: 10.1038/s41586-025-09036-5




Entdecken Sie den „Blutwerte-Code“ von Thiemo Osterhaus und lernen Sie, wie Sie Ihre Blutwerte entschlüsseln, um Ihre Gesundheit zu optimieren. Mit gezielten Tipps zur Ernährung un

€ 22,00

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Wissenschaft kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!