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#Zu haarig und zu nackt

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Zu haarig und zu nackt



Zu haarig für die Auftraggeber: Die Entrückung der Heiligen Magdalena, der bei der Buße in der Wüste ein Haarfell wuchs, aus Tilman Riemenschneiders Münnerstädter Altar, 1490-92.

Bild: Bayerisches Nationalmuseum München

Der eine mit durchbohrten Wangen, der andere mit durch Folter verkrüppelter Hand: Was haben die Strafen, die Tilman Riemenschneider und Veit Stoß erleiden mussten, mit ihrem Meisterwerk, dem Münnerstädter Altar, zu tun? In München hat man sich auf ihre Spur begeben.

Höher konnte man als Künstler in seiner Zeit nicht steigen, tiefer fallen allerdings auch kaum. 1477 hatte der schwäbische, im fränkischen Nürnberg mit seiner florierenden Werkstatt ansässige Bildhauer Veit Stoß den Auftrag für den Marienaltar des Krakauer Doms erhalten. Im Jahr 1489 war dieser mit ursprünglich wohl um die sechzehn Meter höchste und prächtigste Schnitzaltar des damaligen Europas vollendet. Die 2808 Gulden Honorar entsprachen fast dem Jahresbudget der polnischen Hauptstadt Krakau. Es hätte für den Künstler eine goldene Zukunft sein können: Die lukrativen Folgeaufträge wären bis an sein Lebensende gewiss nicht mehr ausgeblieben, er hätte sogar frei auswählen können, was ihn künstlerisch erfüllt.

Stefan Trinks

Stoß jedoch war ein Getriebener. Quellen beschreiben ihn als jähzornig und streitsüchtig. Offene Rechnungen bezahlt er nur äußerst unwillig bis selten. 1503 begeht er den größten Fehler seines Lebens. Er fälscht eine Urkunde über einen angeblich bereits getilgten Wechsel. Es ist ein Kapitalverbrechen, insbesondere in einer Stadt wie Nürnberg, die als größte Handelsmetropole des Heiligen Römischen Reichs von der strikten Einhaltung von Verträgen lebt. Der Rat der Stadt kann nicht anders reagieren: Die eigentlich auf Urkundenfälschung stehende Todesstrafe wird für den Ausnahmekünstler zwar abgewendet, seine Wangen aber werden mit einem glühenden Eisen durchbohrt. Wie den sprichwörtlichen Schlitzohren damals die Ohrlappen für alle künftig sichtbar durchschnitten wurden, ist Stoß nun auf Lebenszeit ein Gebrandmarkter. Aufträge bleiben aus, die große Nürnberger Werkstatt ist nicht mehr zu unterhalten, er flieht.

Wer ohne Sünde ist: Maria Magdalena salbt Jesus im Haus des Simon die Füße. Der feiste Gastgeber auf Riemenschneiders Altar in der Münnerstädter Magdalenenkirche. Der feiste Gastgeber könnte ein Porträt sein. Insgesamt gibt es nur sehr wenige Kirchen in Deutschland mit dem Patrozinium der ehemaligen, von Christus bekehrten Prostituierten.


Wer ohne Sünde ist: Maria Magdalena salbt Jesus im Haus des Simon die Füße. Der feiste Gastgeber auf Riemenschneiders Altar in der Münnerstädter Magdalenenkirche. Der feiste Gastgeber könnte ein Porträt sein. Insgesamt gibt es nur sehr wenige Kirchen in Deutschland mit dem Patrozinium der ehemaligen, von Christus bekehrten Prostituierten.
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Bild: Matthias Weniger/Bayerisches Nationalmuseum

Malender Skulpteur auf der Flucht

Ein Jahr später erhält der Bildhauer einen mehr als überraschenden Auftrag: Er soll malen. Für die Magdalenenkirche des Deutschen Ordens im unterfränkischen Münnerstadt, etwa sechzig Kilometer nördlich von Würzburg am Rand des Mittelgebirges Rhön, soll er den dortigen Hauptaltar mit vier großen Bildtafeln für die Flügel und einer alle Figuren und Reliefs betreffenden Farbfassung versehen. Wie der wegen Totschlags in Italien verfolgte Caravaggio gut hundert Jahre später vom Malteserorden auf dessen Insel Malta aufgenommen und mit dem Hauptaltar der Kathedrale von Valletta beauftragt wurde, stützt also auch hier ein Ritterorden einen gefallenen Künstler mit einem Auftrag, etwas, was eine Stadt wie Nürnberg nicht hätte verantworten können.

Die Ironie im Fall dieses keinesfalls alltäglichen Auftrags ist groß: Der zu bemalende Münnerstädter Altar stammt von Veit Stoß’ Hauptkonkurrent Tilman Riemenschneider, und wenn der Stoß’sche Hauptaltar für Krakau mit seinen 2,70 Meter hohen Figuren der mächtigste ist, so bleibt der 1490–1492 entstandene Münnerstädter Altar Riemenschneiders doch der künstlerisch feinste seiner Zeit. Allein das „Noli me tangere“-Relief ist in der Zeit unerreicht. Riemenschneiders noch vor dem Altar entstandener heiliger Sebastian im Bamberger Dom kann sich in seiner atmenden Lebensnähe und den gespannt heraustretenden Sehnen und Adern mühelos mit den Renaissanceskulpturen Italiens messen – und deutsche Bildhauer galten durchaus als satisfaktionsfähig und wurden gemessen: Stoß’ heiliger Rochus für Florenz etwa wurde von Florentiner Kunstkritikern als ein Wunder mit Gewandfalten „dünn wie Papier“ gepriesen.

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