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#Kultur ist kein Sahnehäubchen

Kultur ist kein Sahnehäubchen

Das Virus hält die Welt in Atem. Die Politik reagiert fast überall mit Kontaktbeschränkungen, um die Infektionsketten zu unterbrechen. Deutschland befindet sich seit Monaten im zweiten Lockdown. Der Staat ist bemüht, die daraus entstandenen Schäden, so gut es geht, zu kompensieren. Der Blick liegt dabei ausnahmslos auf ökonomischen Schäden.

Das ist auch sehr wichtig für das Überleben aller Branchen und damit natürlich auch für die Existenz der Menschen, deren finanzielle Existenzgrundlage zum Teil vollständig entzogen wird. Auch die Kultur wird massiv finanziell unterstützt. Kulturschaffende sehen das auch als Anerkennung der Bedeutung dessen, was sie für die Gesellschaft leisten. Diese Unterstützung haben wir in Deutschland Wirtschaftsminister Peter Altmaier, Finanzminister Olaf Scholz, aber und vor allem Kulturstaatsministerin Monika Grütters zu verdanken. Sie kämpft wie eine Löwin für den ihr anvertrauten Kulturbereich.

Alles lahmgelegt

Diese Anerkennung der Arbeit der Kulturschaffenden schwindet aber sofort, wenn es um die Frage der Systemrelevanz geht. Da hat man zwar weiterhin Verständnis für die Existenznot im Kulturbereich, aber nach wie vor scheint die Politik der Kultur mehr die Funktion eines Ornaments oder eines Sahnehäubchens in der Gesellschaft beizumessen. Denn systemrelevant ist sie offensichtlich nicht, da mit dem Lockdown die gesamte Kulturlandschaft Deutschlands lahmgelegt wird. Museen, Theater, Konzertsäle, Galerien, Buchhandlungen sind geschlossen. In der Krise zeigt sich, welchen Stellenwert Kultur in unserer Gesellschaft wirklich hat. Sicher sind Lebensmittel systemrelevant und müssen selbstverständlich erworben werden können. Aber was ist mit der Kultur?

Als Buchbranche haben wir den Anspruch, mit dem, was wir tun, einen wesentlichen Beitrag für das Gelingen einer freien, vielfältigen und demokratischen Gesellschaft zu leisten. Das breite Feld der Literatur gibt den Menschen nicht nur zuverlässige Informationen, sondern Halt, regt zur Reflexion an und gibt Unterstützung zur Bewältigung des Lebens. Alle Kulturschaffenden befassen sich mit dem Sein des Menschen, mit seinem Ort in der Ordnung der Welt, und mit der Frage nach dem Warum und geben damit den Menschen wichtige Impulse. Dass dies einem tiefen inneren menschlichen Bedürfnis entspricht, zeigt etwa die verstärkte Nachfrage nach Büchern während der Pandemie.

Eine Sehnsucht bricht auf

Dieses konnte nur zum Teil durch Online-Bestellungen und click & collect aufgefangen werden. Denn Buchhandlungen, die Orte des kulturellen Austausches, der Inspiration, der Beratung, der Vermittlung von Inhalten sind, haben geschlossen. Die wichtige Funktion von Buchhandlungen zeigte sich, als nach der Beendigung des ersten Lockdowns in Deutschland, aber auch nach Beendigung des Lockdowns vor zwei Wochen in Österreich die Menschen gewissermaßen die Buchhandlungen gestürmt haben. Da brach eine Sehnsucht, ein tiefes Bedürfnis nach der Beschäftigung mit Buchkultur hervor. Dieser Druck, diese Sehnsucht nach Auseinandersetzung mit Kultur betrifft alle Bereiche des Kulturbetriebes. Deshalb sind geschlossene Museen, Theater, Konzertsäle und Galerien ebenso Sehnsuchtsorte und demnach in gefährlicher Weise außerstande, ein Angebot auf kulturelle Auseinandersetzung zu machen.

Gefährlich deshalb, weil unsere Gesellschaft mit der jetzt ein Jahr währenden Pandemie eine verletzte Gesellschaft, eine mental in große Bedrängnis geratene Gesellschaft ist. In dieser Krise zeigt sich immer mehr, wie wichtig Kultur für das Wohlergehen einer Gesellschaft ist.

Die Stimmung scheint jetzt zu kippen: Viele Menschen wollen die Situation nicht mehr akzeptieren. Denn hält sie weiter an, drohen kaum zu kalkulierende Konsequenzen für das Zusammenleben der Menschen und für den sozialen Frieden.

Es geht um Katharsis

Kultur ist eine essenzielle Notwendigkeit einer Gesellschaft. Oder, wie es Aristoteles in der Poetik über die Definition der Tragödie gesagt hat, erfüllt sie die Funktion der Katharsis der Menschen. Die Befreiung von Affekten durch Spiegelung von Lebensverhältnissen. Dabei erfüllt die Kultur im Allgemeinen diese Funktion auch im Sinne einer Erweiterung der Perspektive auf das eigene Leben. Diese so verstandene Katharsis wird der Gesellschaft durch die Schließung so gut wie aller Kultureinrichtungen vorenthalten und führt unweigerlich zur weiteren mentalen Beschädigung der Gesellschaft. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass durch die Schließung der kulturellen Institutionen auch der Kulturschaffensprozess größtenteils unterbrochen wird. Das wird auch weit nach Wiedereröffnung aller Institutionen verheerende Spuren hinterlassen.

Vor diesem Hintergrund müssen wir jetzt in Anerkennung der wichtigen Funktion der kulturellen Einrichtungen in unserer Gesellschaft fordern, dass diese Institutionen – natürlich unter Beachtung der Hygieneregeln – sofort geöffnet werden. Kultur ist systemrelevant!

Alexander Skipis ist Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.

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