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#Links, zwei, drei, rechts, zwei, drei

Links, zwei, drei, rechts, zwei, drei

Ist ja gut, wir haben es begriffen: Wichte sind die Menschen, auch wo sie sich groß dünken. Angeleint trapsen sie durchs Leben wie Kleinkinder im Laufställchen an ihrem Geschirr. Was immer sie tun, hängt an den Fäden des Schicksals. Ananke, wie die Griechen sagten, hält sie gebunden. Mit der Einsicht des Alters lässt die Last der Bindung nach, zugleich schrumpft die Länge der Leine: „Dem harten Muss bequemt sich Will und Grille. So sind wir scheinfrei denn nach manchen Jahren, nur enger dran, als wir am Anfang waren“, reimte Goethe vergrätzt.

Beim Regisseur Ulrich Rasche, der jetzt am Grand Théâtre in Genf zum ersten Mal eine Oper inszeniert hat, nämlich „Elektra“ von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal, ist das alles nach dreißig Sekunden klar. Und dann kommt auch nichts mehr. Der Abend wird zu einer Bestätigung des Vorab-Gewussten.

Aus München, wo Rasche Hofmannsthals Tragödie, noch ohne die Musik von Strauss, vor drei Jahren am Residenztheater inszeniert hatte, hat man in Genf das Bühnenbild Rasches übernommen und noch etwas erweitert: Um einen Zylinder mit zart perforierter Außenhaut (eine Art monumentaler Papierkorb), der schräg in den Bühnenboden gerammt zu sein scheint, ist außen ein Umgang gelegt, dessen Boden aus einem Laufband besteht. Im Innern des Zylinders, dessen Oberteil abnehmbar ist, befindet sich eine runde Plattform, die sich unablässig dreht. Auf dem Laufband marschieren – gegen die Drehrichtung und doch angeleint – die Mägde am Hof von Klytämnestra und ihrem Geliebten Ägisth, der deren Mann Agamemnon erschlagen hatte. Sie marschieren dort auf den Laufbändern ein wenig wie das Industrieproletariat auf den Gemälden des frühsowjetischen Futurismus, dazu tragen sie allesamt Schwarzhemden und Schwarzhosen. Einzig Gesicht und Stimme markieren die Reste – oder Masken? – einer Individualität. Bei den Hauptfiguren Elektra, Chrysothemis, Klytämnestra sieht es nicht viel anders aus. Nur dass ihnen die Drehscheibe vorbehalten bleibt.

Die Menschen tauchen hier nur auf als Exponate des Schicksals, das heißt der ewigen Wiederkehr des Immergleichen. Subjekt des Dramas ist die Mechanik der Bühne. Die Bühne selbst macht Eindruck. Das Licht von Michael Bauer gliedert den Raum ganz großartig immer wieder neu, schafft Kanten, Durchblicke, Wände und schreibt mit virtuoser Genüsslichkeit die Tradition erhabener Lichtdome von Albert Speer über Gert Hof bis zu Rammstein fort.

Nun lebt das Sprechtheater von Ulrich Rasche nicht nur vom Bühnenbild, sondern auch von einer genau rhythmisierten Sprache und der Wucht des Chorischen. Es ist ein Theater, das Friedrich Nietzsches Prophetie vom Ende des Menschen wie dieser selbst auf den Ursprung der antiken Tragödie zurückbezieht, dieser Posthumanität dann aber ein mechanisch-technoides Design verpasst.

Zwar wollte auch Hofmannsthal der „verteufelt humanen“ Atmosphäre von Goethes „Iphigenie“ und von winckelmannschen Römerkopien etwas entgegensetzen, aber die humane Perspektive, zu glauben, man handele selbst und messe Spielräume aus, ist bei ihm nicht verloren, vor allem nicht bei Strauss. Rasche kämpft in Genf spürbar damit, dass Strauss die Sprache Hofmannsthals schon geprägt hat: in deren Zeitgestalt des Gesungenwerdens wie im Tonfall, der Motivationen, Begierden, Hoffnungen anklingen lässt, die eben mehr sind als das Bewegungsprogramm von Laufbändern und Drehscheiben.

Schon der erste Dialog zwischen Elek­tra mit ihrer verhassten Mutter Klytäm­nestra lässt bei Strauss die Möglichkeit einer freundlichen Annäherung zu, was Unvorhersehbarkeit in der Geschichte schafft. Strauss’ Drama als Prozess kollidiert mit Rasches Bühne gewordenem Weltbild als Installation. Diese drängende Unvorhersehbarkeit schafft aber die Voraussetzung dafür, dass der Moment, da Elektra und Orest – Bruder und Schwester – sich wiedererkennen, zu ei­nem Höhepunkt wird, auf dem nur das Orchester spielt und die Zeit stillzustehen scheint. Dieser Moment der ge­schwisterlichen Liebe ist eine Utopie des Lebens, das vom Drang des Handelns be­freit wäre. Bei Rasche wird er lächerlich, weil die Drehscheibe sich weiterbewegt und Elektra, angeseilt, ständig auf ihre Schrittfolge achten muss, um nicht zu stolpern oder weggedreht zu werden.

Die Schwedin Ingela Brimberg singt eine jauchzend helle, stimmlich absolut nicht verwahrloste Elektra mit echtem Heldensopran. Für Tanja Ariane Baumgartner ist die Klytämnestra – die letzten zwei Jahre in Salzburg – längst zu einer Paraderolle geworden, aus der sie mit gurrender Tiefe und sicher fokussierter Höhe keine Scheuche macht, sondern sie mit ganzer vokaler Sinnlichkeit als eine erotisch immer noch attraktive Frau zeichnet. Sara Jakubiak nimmt als Chrysothemis durch ihr lyrisch-warmes Tim­bre sehr für sich ein und hat zudem Kraft und Atem für Strauss’ lange Phrasen, die ja wiederum Freiräume der Seele eröffnen. Auch Károly Szemerédy als Orest und Michael Laurenz als Ägisth hinterlassen, trotz der Kürze ihrer Auftritte, einen prägnanten, überaus angenehmen Eindruck.

Jonathan Nott am Pult des Orchestre de la Suisse Romande verwandelt Hitze und Trieb in dieser Musik zu einem fili­granen Spiel der Linien. Das geht zwar auf Kosten des Dramas, ist aber trotzdem faszinierend, weil man hört, wie stark sich Strauss’ eigentliche Begabung – die des perlenden Konversationsstücks – schon in „Elektra“ ankündigt. Der letzte Dialog zwischen Ägisth und Elektra klingt in Genf durchaus nach „Rosenkavalier“: Die antike Tragödie wird zur Farce voller Ironie und Schmäh. Darin steckt mehr, als man beim ersten Hören begreift.

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