Wissenschaft

#Männlich ohne Y-Chromosom

„Männlich ohne Y-Chromosom

Bei Säugetieren unterscheiden sich die Geschlechter üblicherweise dadurch, dass männliche Individuen ein Y-Chromosom haben, das unter anderem die Bildung der Hoden auslöst. Das geschlechtsbestimmende Chromosom ist jedoch im Laufe der Evolution immer kürzer geworden. Bei manchen sehr seltenen Arten wie der Amami-Stachelratte ist es sogar ganz verschwunden. Dennoch gibt es bei diesem Nagetier Männchen und Weibchen. Eine Genomanalyse zeigt nun, dass eine verdoppelte Region auf einem anderen Chromosom bei der Amami-Stachelratte die Rolle des Y-Chromosoms übernommen hat. Fügten sie die entsprechende Region in das Genom weiblicher Mausembryonen ein, entwickelten diese Hoden.

Weibchen haben zwei X-Chromosomen, Männchen ein X- und ein Y-Chromosom: Diese Regel gilt für nahezu alle Säugetiere. Auf dem Y-Chromosom befindet sich das Sry-Gen. Um die Bildung der Hoden auszulösen, aktiviert Sry ein Gen namens Sox9, das nicht auf einem Geschlechtschromosom sondern auf einem Autosom liegt. Sry und Sox9 bilden somit gemeinsam die Grundlage für das männliche Geschlecht. Bei einzelnen, sehr seltenen Nagetierarten allerdings ist das Y-Chromosom vollständig degeneriert und damit auch das Sry-Gen verschwunden. Zu diesen Arten zählt die Amami-Stachelratte (Tokudaia Osimensis), ein vom Aussterben bedrohtes Nagetier, das nur auf der Insel Amami Oshima in Japan vorkommt. Dennoch gibt es auch von diesen Tieren Männchen und Weibchen.

Rätsel um Hodenentstehung

„Das bedeutet, dass die Hodendifferenzierung ohne Sry ablaufen muss und wirft die Frage nach dem genetischen Auslöser auf, der die Sox9-Expression hochregulieren kann“, erklärt ein Team um Miho Terao vom japanischen Nationalen Forschungsinstitut für Kindergesundheit und -entwicklung in Tokio. „Die Suche nach diesem Auslöser ist seit drei Jahrzehnten erfolglos geblieben“, so das Team. „Die Amami-Stachelratte stellt eine einzigartige Möglichkeit dar, die Evolution der Geschlechtschromosomen bei Säugetieren zu erforschen.“

Forschungen an den vom Aussterben bedrohten Tieren unterliegen allerdings starken Beschränkungen, da sie als Naturdenkmal eingestuft werden und unter Artenschutz stehen. Dennoch gelang es Terao und seinem Team, Material für eine Genomanalyse der seltenen Tiere zu gewinnen: Mit Genehmigung des japanischen Umweltministeriums fingen sie drei männliche und drei weibliche Tiere auf Amami Oshima ein, entnahmen eine kleine Gewebeprobe vom Schwanz der Tiere und entließen sie danach wieder in ihrem natürlichen Lebensraum in die Freiheit.

Verdoppelte DNA-Sequenz

Die Genomanalyse enthüllte, dass bei den Männchen eine DNA-Sequenzverdopplung auf Chromosom 3 oberhalb des Sox9-Gens vorlag. Den Forschern zufolge stellt diese verdoppelte DNA-Sequenz ein neues regulatorisches Element dar, das Sox9 in Abwesenheit von Sry hochreguliert. Weitere Analysen zeigten, dass dieser Abschnitt im Erbgut der Amami-Stachelratten einer DNA-Sequenz bei Mäusen ähnelt, die als Enh14 bezeichnet wird und ebenfalls mit der Regulation von Sox9 in Verbindung gebracht wurde. Ausgehend von diesen Informationen vermuteten Terao und sein Team, dass der Genomabschnitt auf dem dritten Chromosom der Nagetiere möglicherweise als Ersatz für das fehlende Y-Chromosom diente.

Um ihre These zu überprüfen, fügten die Wissenschaftler die doppelte Sequenz mit Hilfe eine Gene-Editing-Technologie in das Genom von Mäusen ein. Und tatsächlich: Auch weibliche Mäuseembryonen, also solche mit zwei X-Chromosomen, zeigten Ansätze einer Hodenentwicklung. Das Geschlecht der Mäuse veränderte sich dadurch allerdings nicht. „Das liegt wahrscheinlich daran, dass die Geschlechtsentwicklung bei Mäusen anders als bei Amami-Stachelratten von Sry abhängig ist“, so die Forscher. Grundlegend bestätigen die Ergebnisse aber, dass die bei Amami-Stachelratten identifizierte DNA-Sequenz in der Lage ist, unabhängig vom Y-Chromosom und dem Sry-Gen das Geschlecht zu regulieren.

„Diese Ergebnisse liefern einen direkten Beweis für die Umstellung des Geschlechtschromosoms bei Säugetieren, bei der die geschlechtsbestimmende Region auf ein Autosom verlagert wurde“, schreiben die Autoren. In zukünftigen Studien wollen sie die genauen Mechanismen sowie die spezifischen genetischen und epigenetischen Veränderungen untersuchen, die die Geschlechtsentwicklung ohne Y-Chromosom möglich machen.

Quelle: Miho Terao (Nationales Forschungsinstitut für Kindergesundheit und -entwicklung, Tokio) et al., Proceedings of the National Academy of Sciences, doi: 10.1073/pnas.2211574119

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Wissenschaft kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!