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Maischberger in der TV-Kritik: Merz, die Büroklammer

Die erste Regierungserklärung eines neuen Bundeskanzlers hat in dem Maße an Bedeutung verloren, in dem der Koalitionsvertrag an Bedeutung gewonnen hat. Seit den Neunzigerjahren fällt es der kanzlerischen Jungfernrede nicht mehr zu, erstmals die Leitlinien der neuen Regierung zu verkünden, sondern nur noch, die bereits verkündeten Vereinbarungen in ein Narrativ zu gießen.

Vielleicht ging es auch deswegen in der spätabendlichen Nachbereitung bei Maischberger weniger um Inhalte als um Tonalitäten. Statt noch einmal die Versprechen und Versprechungen, Feinheiten und Fehler des Koalitionsvertrags zu diskutieren, zeigten sich die Gäste überrascht, manche sogar explizit „positiv überrascht“, vom versöhnlichen Auftreten des neuen Kanzlers.

Merz wächst in neue Rolle hinein

Kristina Dunz vom Redaktionsnetzwerk Deutschland befand, Merz habe von Merkel gelernt und „den Schalter gegenüber Oppositionszeiten komplett umgelegt“. Für ihre Journalistenkollegin Bettina Böttinger war der Dank an seinen Vorgänger Scholz eine „starke demokratische Geste“. Und selbst Franziska Brantner von den Grünen konzedierte, nach den jüngsten „Chaostagen“ sei es heute „schon fast wohltuend langweilig“ gewesen.

Gewiss, „ein Regierungschef kann nicht andauernd alle vor ihm beschimpfen“, wie Armin Laschet (CDU) einwandte und Merz‘ veränderte Tonlage damit zur logischen Folge seines Rollenwechsels erklärte. Wer den Kanzler in spe in den vergangenen Wochen gesehen hat, etwa vor einem Monat bei Caren Miosga, konnte tatsächlich schon beobachten, wie er langsam in die neue Rolle hineinwuchs. Selbstverständlich ist diese Verwandlung aber dennoch nicht: Donald Trump verbringt seit seiner Wiederwahl fast ebenso viel Zeit mit der Diffamierung politischer Gegner wie zuvor.

Konservativ grundierter Pragmatismus

Den richtigen Ton hatte Merz nach allgemeiner Auffassung also getroffen, sich vielleicht sogar innerhalb einer Woche „vom Prügelknabe zum Weltpolitiker“ gemausert, wie WELT-Chefredakteur Jan Philipp Burgard meinte. Aber hatte er auch den einen großen Satz prägen können, durch den seine Regierungserklärung in Erinnerung bleiben wird? So wie Willy Brandt 1969 mit „Mehr Demokratie wagen“ und Helmut Schmidt mit der „Konzentration auf das Wesentliche“?

Der aussichtsreichste Kandidat, das schien allen klar, stammte vom Ende der Merz’schen Rede: „Der Staat, das sind wir alle: jeder Einzelne und alle zusammen als Gemeinschaft. Jede Forderung an den Staat richtet sich also zugleich an jeden Einzelnen, aber auch an denjenigen, der eine solche Forderung erhebt.“ Nicht nur Maischberger erkannte darin eine Anspielung auf John F. Kennedy. Der hatte einen ähnlichen Gedanken in seiner Antrittsrede 1961 freilich doch etwas griffiger formuliert: „Frag nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst.“

Einen „Kennedy-Moment“ wollten die Gäste Merz denn auch nicht zugestehen. Böttinger befand sogar, Merz habe in seiner Ausstrahlung „immer etwas von einer Büroklammer“. Das dürfte dem neuen Kanzler, der sich schließlich die Digitalisierung der Verwaltung zur Aufgabe gemacht hat, kaum gefallen haben. Doch nachdem die Ampelkoalition mit ihren Pathosformeln von Fortschritt und Vielfalt so krachend gescheitert ist, könnte etwas konservativ grundierter Pragmatismus gerade recht am Platz sein. Adenauer, nicht Kennedy, sollte Merz‘ Vorbild sein.

Trigema-Senior redet sich um Kopf und Kragen

Mit der Diskussion um den Kennedy-Moment hatte wohl auch die Sendung ihren Kennedy-Moment erreicht und faserte im weiteren Verlauf zunehmend aus. Das Zwiegespräch zwischen Brantner und Laschet gab immerhin eine Ahnung davon, wie schwierig für die Grünen die Rolle als verantwortungsvolle Opposition zwischen den Extremen werden könnte. Brantner war „erfreut zu sehen, wie viele Vorschläge“, die die Grünen vor Monaten schon gemacht hätten, „jetzt umgesetzt wurden“ – eine kluge Sprechweise, wenn man die Regierung einmal nicht angreifen möchte, eine Sprechweise freilich, die es im Kampf um Aufmerksamkeit gegenüber markiger Fundamentalkritik à la Alice Weidel oder Heidi Reichinnek nicht leicht haben dürfte.

Laschet wiederum sprach wie immer salbungsvoll, ist mit seiner neuen Nickelbrille mittlerweile aber vom Pfarrer zum Theologieprofessor aufgestiegen. Das sei erwähnt, um auch bei männlichen Politikern einmal über Äußerlichkeiten zu reden – denn dass dies bei Frauen zu häufig der Fall sei, war ebenfalls Thema in der Sendung.

Ganz zum Schluss musste Trigema-Chefin Bonita Grupp dann ihrem Vater und Senior-Chef Wolfgang Grupp dabei zusehen, wie er sich um Kopf und Kragen redete, erst Gespräche zwischen Union und AfD forderte, um gleich darauf vehement gegen die Abschiebung eines abgelehnten Asylbewerbers aus seinem Betrieb zu protestieren. Den neuen Kanzler findet er dennoch gut. Der aber dürfte, wenn er denn noch wach war, dabei vor allem gelernt haben, welche Art von gedankenloser Polarisierung er in seiner Regierungserklärung zum Glück vermieden hatte.

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