Da konnte Dobrindt schönfärben, so lange er wollte

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Warum das Drumherumgerede, fragte Maybrit Illner, er, Friedrich Merz, habe es doch selber gesagt, nämlich so auf dem FAZ-Kongress am 21. März: „Ich weiß, dass ich jetzt einen sehr hohen Preis in Anspruch genommen habe, auch was meine persönliche Glaubwürdigkeit (Pause) – betrifft.“ Er formuliere es selbst, meinte Illner, nachdem die Passage in der Sendung eingespielt worden war. Illner ging es um den landauf, landab sogenannten Wortbruch des möglichen Bald-Kanzlers, und sie fragte danach einmal, zweimal, dreimal, viermal, also mit bewunderswerter Hartnäckigkeit angesichts eines stiernackig schönfärbenden, nach vorne, immer nur nach vorne, dabei dauerfreundlich dreinblickenden Alexander Dobrinth, sie fragte: „Ist dieser Bundeskanzler ein beschädigter, ohne dass er schon im Amt ist?“
Na klar ist er das, war aus dieser rhetorischen Frage herauszuhören, das sieht und hört doch alle Welt, war ihr zu entnehmen, nachdem Dobrindt das Problem als quasi gar nicht existierend behauptet hatte, in immer neuen Anläufen wie von einem anderen Stern her gar nicht zu sehen vorgab, was denn nun eigentlich problematisch sein soll. Neue Lage, also ab nach vorn! Zukunft, aber bitte ohne Herkunft! Dobrindt, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag und einer der Chefkoalitionsverhandler, war genau die richtige Besetzung in dieser Sendung für den Part, der dem Zuschauer den Atem nehmen, ihm Hören und Sehen vergehen lassen sollte. Illner sehr genau wissend, was sie dramaturgisch an Dobrindt hatte, an seiner geschmeidigen Dreistigkeit, setzte eins nach dem anderen drauf, spielte verschiedentlich auf die jüngste Umfrage des ZDF-Politbarometers auf, wonach 73 Prozent der Befragten – darunter 44 Prozent der CDU/CSU-Anhänger – der Meinung sind, die Union und ihr Kanzlerkandidat hätten die Wähler getäuscht. Illner sagte, die Kritik an diesem Wortbruch höre nicht auf, auch in den Reihen der CDU nicht, es meldeten sich, sagte sie, Ministerpräsidenten, nicht nur die Junge Union, es meldeten sich Stadtverbände, die aus der CDU austreten möchten – um dann spitz zu fragen, Dobrindts ungerührtes Weglächeln an ihrer Seite wissend: „Warum ist das so, Robin Alexander?“.
Bitte kein X für ein U vormachen!
Na ja, sagte der in Talkshows meisteingeladene Journalist Deutschlands, na ja, mit der Vokabel Wortbruch wäre er zwar vorsichtig, „aber man muss ja feststellen, dass die CDU vor der Wahl etwas anderes gesagt hat als was sie jetzt macht. Das ist ja nicht zu leugnen.“ Und näherhin sei es so, dass die Union jetzt ziemlich genau das tue, was die SPD zuvor gesagt habe, tun zu wollen. Es sind, so verstand man, also nicht nur Stimmen gefangen worden für Positionen, welche sich nach Abgabe dieser Stimmen in ihr Gegenteil verkehrten. Es hat zudem auch diese krasse Anverwandlung an den gesetzten Koalitionspartner gegeben. Der Journalist Alexander hielt Dobrindt wie einem Begriffsstutzigen vor, den dieser spielte, er und seine Leute hätten seinerzeit doch gesagt, die in puncto Schuldenverweigerung hart gebliebene FDP habe Recht in diesem Falle. Er, Alexander, habe damals positive Leitartikel darüber geschrieben – „also ich weiß, was passiert ist. Und man muss doch sagen: Jetzt passiert etwas anderes.“
Und weil Illner ausdrücklich auch Ministerpräsidenten erwähnte, die sich am Schönfärben, Übergehen, Surrealisieren der Vorher-nachher-Kluft nicht beteiligen wollten, dachte man sogleich an Hendrik Wüst, der wenige Tage zuvor bei Maischberger darum gebeten hatte, den Leuten in diesem Zusammenhang „kein X für ein U vorzumachen, die Leute sind ja nicht blöd“. Und ganz und gar basisphänomenologisch bleibend, nach dem beinahe therapeutisch angehauchten Motto: lasst uns schwarz schwarz und rot rot nennen, also ohne jede Abstraktion moralischer Wertungen, wie sie schon der Wortbruch-Begriff mit sich führt, hatte Wüst festgehalten: „Wenn viele Leute das Gefühl haben, dass durch diese Beschlüsse zu Schuldenbremse und Sondervermögen eine andere Positionierung vorgenommen worden ist, dann ist das ja nachvollziehbar, das ist schlicht die Wahrheit: Es ist eine andere Position als man vorher gesagt hat.“
Illner bewies journalistische Tugend
Wüst kam somit das Verdienst zu, etwas festhalten und gewichten zu wollen, was die Dobrindt-Dekonstruktivisten als solches einfach unterpflügen möchten. Wegen neuer Lagen und hehrer Absichten, wie begründet diese auch immer sein mögen, soll der empirische Vorgang der genannten Umpositionierung als gegenstandslos und die Debatte über ihn als Phantomdebatte erscheinen. Als würde solch ein politisches zum Verschwinden bringen von Missliebigem nicht gerade das Systemvertrauen hintertreiben, um welches mit dem Slogan „Demokratie der Mitte“ geworben wird. Wird das Vertrauen in die Wahrheitsfähigkeit der politischen Sprache bezweifelt, schadet das der Mitte und nutzt den Rändern. Es zählt eben nicht nur, was am Ende rauskommt, sondern auch, mit welchen (sprachlichen) Mitteln es erreicht werden soll. Illners nachgerade penetrantes Bestehen auf dieser Fragestellung bewies journalistische Tugend gegen das politische Kalkül, das sich ohnehin alles versende und es nur darum gehe, den passenden Spin durchzusetzen.
Dobrindt versuchte es mit der zurechtgelegten, mehrfach zitierten Formel, es gehe schließlich darum, das Land „in Ordnung“ und „nach vorne“ zu bringen. Und dieser Formel habe sich die Union und Friedrich Merz ja auch schon vor der Wahl bedient – als stecke in der futuristisch schwafelnden Aussage, die Verhältnisse nach vorne und in Ordnung bringen zu wollen, bereits die Vorläufigkeit jedweder Positionierung auf dem Weg dorthin. Genau das legte Dobrinth dann tatsächlich nahe, die Wählertäuschung gleichsam methodisch absichernd.
Sei die Ampel nicht daran zugrunde gegangen, dass sie nicht mehr in der Lage war, sich auf neue Lagen einzustellen? Sei es nicht ein Auftrag an die kommende Regierung, neue Mehrheiten zu finden? Je unverschämter Dobrindts Rabulistik wurde, desto fragwürdiger erschien sein Realitätsbezug. Robin Alexander, fast schon resignierend: „Ich finde, Sie machen es sich zu leicht.“ Im Gegenteil, gab Dobrindt so spitzfindig wie scheinheilig zurück, er mache es sich „verdammt schwer“, müssten nun doch all die „Nachfragen“ (sein Schminkbegriff für vernichtende Kritik) beantwortet werden, die es „berechtigterweise“ gebe. Selten machte eine Talkshow so baff wie diesmal.
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