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#Man sollte niemals nach Angst riechen

Man sollte niemals nach Angst riechen

Die Annahme, gute Krimis müssten einen Bildungsmehrwert mitbringen und etwas über den Zustand der Gesellschaft verraten, ist weit verbreitet. Auch Eloísa Díaz, 1986 in Madrid geboren und von Beruf Anwältin, scheint der Idee anzuhängen, Literatur dürfe nicht allein unterhalten, sondern solle ebenso nützen. Deswegen verbindet sie in ihrem Roman „1981“ geschickt konstruierte Spannungsmomente mit einer Geschichtsstunde über die argentinische Militärdiktatur von 1976 bis 1983.

Nun spricht gar nichts gegen einen bewegten historischen Hintergrund. Solange die Story durch Handlungen und Dialoge vorangetrieben wird, nicht durch Einordnungen des Erzählers. Wäre Díaz, deren argentinische Eltern vor der Diktatur nach Spanien geflohen sind, ihren Figuren nie von der Seite gewichen, hätte sie ein glänzendes Debüt hingelegt. Leider beherzigt sie aber zu selten die Devise „Show, don’t tell“.

Wie man Menschen verschwinden lässt

Wunderbar schildert sie, wie der Polizeipräsident den Neulingen beibringt, worauf man beim Verhör achten muss: „,Angst verströmt einen Geruch‘, hatte er gesagt und jedes Wort genossen. ,Einen ganz charakteristischen. Und keinen, den Sie selbst jemals aussenden wollen. Sie müssen ihn einfach nur . . .‘ , er hatte die Nase gereckt, als durchschnüffelte er die Luft, ,wittern. Und dann herausfinden, was die Person dazu bringt, ihn zu verströmen.‘“

Eloísa Díaz: „1981“. Kriminalroman.


Eloísa Díaz: „1981“. Kriminalroman.
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Bild: Hoffmann und Campe Verlag

Solche Stellen kontert Díaz mit blutleerer Referatsprosa. Über die „Prozedur des Verschwindenlassens“ heißt es: „Als Erstes wurde die Polizeistation, die der Wohnung der Zielperson am nächsten lag, über einen bevorstehenden Eingriff informiert, mittels eines Telex, unterzeichnet von einem hochrangigen Marineoffizier. . . . Als Nächstes ließ der Kollege aus der Funkzentrale, der in die Sache eingeweiht war, einem Streifenwagen in der Nähe die zweifelhafte Ehre zuteilwerden, die Gegend im Vorfeld zu durchkämmen . . .“ So geht es Schritt für Schritt weiter.

Eine tote und eine vermisste Frau

Das Geschehen verteilt sich auf zwei Stränge. Der erste spielt im Jahr 1981. Inspektor Joaquín Alzada versucht während der Diktatur ein halbwegs beschauliches Leben zu führen. Als jedoch sein politisch aufmüpfiger Bruder Jorge verschwindet, ist es vorbei mit der Ruhe. Alzada macht sich auf die Suche nach ihm, kommt der Militärjunta dabei zu nahe und verbaut sich alle Karrierechancen.

Zwanzig Jahre später, wir befinden uns im zweiten Erzählstrang, kann er den Beginn seiner Rente kaum abwarten. Die Wirtschaft kriselt, und auf den Straßen von Buenos Aires konzentriert sich die Wut der Abgehängten. Dann wird der leblose Körper einer Frau in einem Müllcontainer gefunden. Zufällig meldet ein Ehepaar zur gleichen Zeit ein weibliches Familienmitglied als vermisst.

Von Karl zu Groucho Marx

Damit hätten wir zwei Fälle, die womöglich nur ein Fall sind. Was Díaz daraus macht, ist höchst interessant. Zu Beginn des Romans dient das Rätsel um die tote und die verschwundene Frau als Plotbeschleuniger. Im weiteren Verlauf spielt es allerdings eine immer geringere Rolle. Am Ende ist es sogar fast egal, weil die Charakterstudie des Protagonisten das eigentliche Herzstück der Handlung bildet. Damit der Leser keine innere Regung Alzadas verpasst, sind dessen Gedanken kursiv in den Text gestreut. Das funktioniert unterschiedlich gut, zuweilen bekommt man den Eindruck, der Mann sei ein Phrasenspender und fühle sich nirgends so zu Hause wie in der Geröllwüste abgenutzter Begriffe: „Wie sich die Zeiten geändert haben.“

Haben sie das wirklich? Oder wiederholen sie sich ständig? Die Frage, ob Geschichte in Zyklen verläuft, ob also die Unruhen von 2001 eine Neuauflage der Diktatur ankündigen, schwingt auf jeder Seite mit. Unabhängig von der Antwort, braucht es Jorge zufolge Menschen, die das Feuer des Idealismus am Lodern halten. Einmal bringt er folgendes Zitat: „Ich habe eiserne Prinzipien – wenn sie dir nicht gefallen, habe ich auch noch andere.“ Das sei gefährlich und stamme von Marx. „Karl?“, fragt Alzada. „Groucho“, antwortet Jorge. Revolutionär waren beide. Man erinnere sich an Jack Lemmon, der sagte, die Marx Brothers seien für den Humor das, was Karl Marx für die politische Philosophie darstelle. Dies aber wirklich nur am Rande, denn in Rezensionen sollte man, genau wie im Kriminalroman, sparsam mit Bildungsballast umgehen.

Eloísa Díaz: „1981“. Kriminalroman. Aus dem Englischen von Mayela Gerhardt. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2021. 320 S., geb., 23 Euro.

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