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#Neuroprothese hilft Parkinson-Patient beim Gehen

Wer an Parkinson erkrankt ist, entwickelt im fortgeschrittenen Stadium oft Probleme beim Gehen. Bisher verfügbare Therapien sind gegen die Gehstörungen weitgehend unwirksam. Eine Machbarkeitsstudie mit einem 62-jährigen Patienten zeigt nun, dass Betroffene von einer Neuroprothese profitieren können, die das Rückenmark gezielt stimuliert. Mit Hilfe von drahtlosen Sensoren erkennt die Prothese Bewegungsabsichten. Ins Rückenmark implantierte Elektroden modulieren daraufhin die Aktivität der Neuronen, die für diese Bewegungen zuständig sind. Bei der Versuchsperson glich diese Technik Geh- und Gleichgewichtsdefizite aus und führte zu einer Verbesserung der Lebensqualität. Studien mit weiteren Betroffenen sollen folgen.

Parkinson ist nach Alzheimer die zweithäufigste neurodegenerative Krankheit in Deutschland. Dabei sterben im Bereich des Hirnstamms Neuronen ab, die den Botenstoff Dopamin produzieren. Der dadurch entstehende Mangel an Dopamin führt zu den typischen Symptomen der Erkrankung: Die Bewegungsfähigkeiten und der Gleichgewichtssinn lassen nach, die Muskeln zittern und versteifen sich, Bewegungen werden kleiner und langsamer. Rund 90 Prozent der Betroffenen entwickeln im fortgeschrittenen Stadium Gehstörungen. Während das Zittern und die Steifheit meist gut durch eine Dopamin-Ersatz-Therapie oder durch tiefe Hirnstimulation behandelbar sind, bleiben Gehstörungen oft trotz verschiedener Therapieversuche bestehen.

Stimulation im Rückenmark

Ein Team um Tomislav Milekovic von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne hat nun in einer Machbarkeitsstudie eine Neuroprothese als potenziellen Lösungsansatz getestet. „Während sich frühere Therapien auf die Regionen des Gehirns konzentrierten, die direkt vom Verlust der Dopamin produzierenden Zellen betroffen sind, zielt unsere Neuroprothese auf eine Region des Rückenmarks, die letztlich das Gehen ermöglicht und selbst nicht direkt von Morbus Parkinson betroffen ist“, erklärt das Forschungsteam.

Zum Einsatz kommt dabei eine Technik namens epidurale Elektrostimulation (EES). Dabei werden die Nerven im Rückenmark, die die Bewegung der Beine steuern, mit Hilfe von implantierten Elektroden stimuliert. Bei Menschen, die aufgrund von Rückenmarksverletzungen gelähmt sind, hat sich diese Methode bereits als vielversprechend erwiesen. Um herauszufinden, ob auch Menschen mit Parkinson von dieser Form der Elektrostimulation profitieren können, führten Milekovic und sein Team zunächst umfangreiche Versuche an Makaken durch. Durch Injektionen des Nervengifts MPTP verursachten sie bei den Affen Parkinson-Symptome und testeten im Anschluss, ob eine Neuroprothese ihre Bewegungsfähigkeiten wiederherstellen kann.

Neuroprothese lindert Gehstörungen

Nachdem sich die Prothese bei den Makaken als erfolgreich erwiesen hatte, starteten die Forschenden einen Pilotversuch mit dem ersten menschlichen Patienten, einem 62-Jährigen Mann, der seit seinem 36. Lebensjahr an Parkinson erkrankt ist. Trotz Dopamin-Therapie und tiefer Hirnstimulation hatte er eine schwere Gehstörung entwickelt, die seine Lebensqualität erheblich beeinträchtigte. „Ich konnte praktisch nicht mehr gehen, ohne zu stürzen, und das mehrmals am Tag“, berichtet er. „In manchen Situationen, zum Beispiel beim Betreten eines Fahrstuhls, trampelte ich auf der Stelle, als wäre ich sozusagen eingefroren.“

Um die optimale Position für die Elektroden zu finden, erstellten Milekovic und sein Team eine personalisierte anatomische Karte der relevanten Rückenmarksregionen des Patienten und implantierten ihm die Elektroden so, dass sie genau die fürs Gehen wichtigen Nervenfasern ansteuern. Drahtlose Sensoren an den Beinen des Patienten erkennen, wenn er zu einer Bewegung ansetzt, und senden ein Signal an die Neuroprothese, die daraufhin die Nerven im Rückenmark so stimuliert, dass der Patient die gewünschte Bewegung tatsächlich ausführen kann. „Nicht-invasive, tragbare Sensoren sind die bevorzugte Lösung, solange die Erkennung zuverlässig und die Sensoren im täglichen Leben praktisch einsetzbar sind“, erklärt das Forschungsteam. Bei Patienten, bei denen solche Sensoren nicht ausreichen, wäre es jedoch auch denkbar, mit Hilfe von zusätzlichen Elektroden im Gehirn die Bewegungsabsichten direkt aus dem motorischen Kortex abzuleiten.

Breite Anwendbarkeit noch unklar

Bei dem 62-jährigen Testpatienten genügten die Sensoren an seinen Beinen, um zuverlässig zu erkennen, wann er welche Bewegung anstrebt. Nach einer mehrwöchigen Trainingsphase gelang es ihm, bei eingeschalteter Neuroprothese wieder einen stabileren Gang zu entwickeln, nicht mehr im Gehen einzufrieren und kaum noch zu stürzen. Inzwischen trägt er die Prothese seit zwei Jahren und schaltet sie nur aus, wenn er schläft oder längere Zeit sitzt. „Es ist beeindruckend zu sehen, wie wir durch eine gezielte elektrische Stimulation des Rückenmarks, so wie wir es bei Querschnittsgelähmten gemacht haben, die durch die Parkinson-Krankheit verursachten Gehstörungen korrigieren können“, sagt Milekovics Kollegin Jocelyne Bloch.

In zukünftigen Studien möchte das Forschungsteam die Neuroprothese an weiteren Probanden testen, um herauszufinden, welche Patientengruppen unter welchen Bedingungen davon profitieren können. „Morbus Parkinson führt zu einem breiten Spektrum an neurologischen Profilen, die mit unterschiedlichen Defiziten im Bewegungsapparat einhergehen“, erklären die Forschenden. „Daher bleibt unklar, ob die Neuroprothese bei allen Menschen mit Morbus Parkinson zur Linderung von Gangstörungen, zur Verbesserung des Gleichgewichts und zur Verringerung des Einfrierens des Gangs wirksam ist. Künftige Studien müssen daher die Personen ermitteln, die auf diese Therapie ansprechen.“

Quelle: Tomislav Milekovic (Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL), Genf) et al., Nature Medicine, doi: 10.1038/s41591-023-02584-1

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