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#Ist ein Lenin-Museum in Finnland noch zeitgemäß?

Als Wladimir Iljitsch Lenin nach Tampere fuhr, kam er zu Be­such zu Freunden. Finnland war damals ein autonomes Großfürstentum des russischen Reiches mit vergleichsweise großen Freiheiten. Es diente als Rückzugsort für Lenins in der Heimat verfolgte Bolschewisten. 1905 versammelten sie sich in Tampere in der Halle der Arbeiter. Auch Josef Stalin war dabei, den Lenin hier erstmals persönlich traf.

Julian Staib

Politischer Korrespondent für Norddeutschland und Skandinavien mit Sitz in Hamburg.

Heute befindet sich im Haus der Arbeiter ein Lenin-Museum. Das war 1946 von einem Verband für die finnisch-sowje­tische Freundschaft gegründet worden, mitten in der sehr schwierigen Zeit für das noch junge Finnland: Während des Zweiten Weltkriegs hatte es zweimal gegen die Sowjetunion gekämpft und verloren, der Frieden war brüchig, die Neutralität be­droht von dem großen unberechen­baren Nachbarn. Das Museum sei ein „Schaukasten“ für die Sowjetunion gewesen, sagt dazu Kalle Kallio, der Direktor des Lenin-Museums. Vor allem unter Finnlands langjährigem Präsidenten Urho Kekkonen habe es dazu gedient, die „gute Seite des Sowjetsystems“ zu zeigen. „Propaganda“, so Kallio. Damit sollten die ­Sowjetunion be­sänftigt und der finnische Weg der Neu­tralität gesichert werden. Gezeigt wurde in dem Museum etwa, dass doch schon unter Lenin 1917 die Unabhängigkeit Finnlands anerkannt wurde. „Außenpolitik gestützt auf Lenin-Verherrlichung“, sagt Kallio.

Aus der Sowjetunion kamen damals viele Besuchergruppen. Touristenbusse auf organisierten Touren stauten sich in der Straße vor der Halle der Arbeiter. Aber es kamen auch ranghohe Besucher, etwa der Kosmonaut Juri Gagarin und Staatschefs wie Leonid Breschnew oder Nikita ­Chruschtschow. Als die Sowjetunion zu­sammenbrach, hätten viele auch das Aus des Museums erwartet, sagt Kallio. Stattdessen sei die Ausstellung grund­legend überarbeitet worden. Die gemeinsame Vergangenheit bleibe schließlich. Und wenn man die finnische Geschichte verstehen wolle, müsse man die sowjetische Geschichte verstehen.

Die Beziehung der beiden Länder war wechselhaft

Finnland und Russland verbinden sehr wechselhafte Beziehungen. Das Land war lange Teil des russischen Reichs. In seiner kurzen Geschichte als unabhängiger Staat wurde es dann mehrfach von der Sowjetunion überfallen. Auf das Ende des Zweiten Weltkriegs folgten schwierige Jahre der Neutralität, geprägt von Kompromissen gegenüber dem mächtigen Nachbarn, mit dem das Land mehr als 1300 Kilo­meter Grenze verbinden. Nach 1990 machte sich der wirtschaftliche Niedergang auch jenseits der Grenze bemerkbar. Später profitierte Finnland wiederum vom Aufschwung in Russland. In den guten Jahren zogen dann viele Russen nach Finnland. Manche kamen zum Arbeiten, andere zum Heiraten, wieder andere, die zu­zogen, waren die Nachfahren von Finnen, die einst aus den Gebieten in Ka­relien vertrieben oder deportiert worden waren. Heute leben Schätzungen zufolge rund 150.000 russischsprachige Menschen im Land.

Seit Jahrhunderten gibt es auch eine or­thodoxe Kirche in Finnland. Sie ist autonom und gehört zum Patriarchat in Konstantinopel. In Tampere, nur einen kurzen Fußmarsch vom Lenin-Museum entfernt, steht eine ihrer Kirchen. Mit den vielen Zwiebeltürmchen erinnert sie an die Basilius-Kathedrale in Moskau. Nur dass in Tampere gleich daneben die silberne „No­kia-Arena“ glänzt, in der der örtliche Eishockeyverein spielt. An einem Sonntagmorgen trudeln nach und nach die Gläubigen in der Kirche ein, kaufen sich am Eingang ein paar dünne Bienenwachskerzen, die sie wie alles andere auch in Finnland mit der Bankkarte bezahlen. Dann stellen sich die Frauen links in das Kirchenschiff, die Männer rechts, der Priester schwenkt Weihrauch, und die Gemeinde singt, und zwar auf Finnisch.

In Finnland hat man sich keine Illusionen über Russland gemacht

Draußen vor der Kirche hängt ein Zettel auf Ukrainisch im Schaukasten, auf dem herzlich zum Gottesdienst eingeladen wird. Die unabhängige orthodoxe Kirche Finnlands hat früh deutlich gemacht, auf wessen Seite sie steht. Auch die finnische Regierung hat den russischen Einmarsch in der Ukraine von Anfang an deutlich verurteilt und sich vehement für eine Un­terstützung Kiews eingesetzt. In Finnland hat man sich auch in den nun im Rückblick so wenigen guten Jahren keine Illusionen über Russland gemacht und hielt stets die Militärausgaben hoch. Man blieb neutral, weniger aus Idealismus, wie die Schweden, sondern aus Realismus. Die Neutralität sicherte das eigene Überleben. Der Ukrainekrieg aber änderte die Rechnung; seit Anfang April ist Finnland nun NATO-Mitglied.

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