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#Mein Wille wird Ihr Wille sein

Mein Wille wird Ihr Wille sein

Im Dezember haben wir auf der Krimiseite der F.A.Z. aufgelistet, was wir in Detektivstorys und Thrillern nicht mehr lesen wollen. Zu den großen Sünden zählen etwa Anbiederungen an die Hochkultur, eine schablonenhafte Figurenpsyche, Analogien zwischen dem Wetter und der Stimmung des Ermittlers oder arme Typen, die von ihrer Vergangenheit eingeholt werden. Glücklicherweise sind seriöse Autoren meistens darauf bedacht, ihre Bücher nicht mit zu vielen Klischees zu kontaminieren. Betonung auf „meistens“.

Kai Spanke

Giancarlo de Cataldo, 1956 im italienischen Tarent geboren und Autor von mehr als fünfzehn Romanen, hat für den Plot seines Thrillers „Alba Nera“ ein Gerüst von Stereotypen errichtet, das zwar tragfähig ist, häufig jedoch wirkt, als handle es sich um den Versuch einer Parodie – oder um ein Best-of der von uns beanstandeten Fauxpas. Die Geschichte setzt mit einer widerwärtigen Gewaltszene ein, um im zweiten Kapitel direkt beim Therapeuten zu landen. Seine Patientin ist Alba Doria, Hauptkommissarin der Staatspolizei in Rom, geübt im Umgang mit Waffen, cleverer als die Kollegen. Kürzlich hat sie einen Serienmörder zur Strecke gebracht und anschließend posttraumatischen Stress entwickelt.

Tell, don’t show

Der Psychologe glaubt nach zwölf Sitzungen zu wissen, dass Alba unter Wahnsinn leidet: „Die Frau ist gefährlich.“ Zudem wäre er gerne „schon vor geraumer Zeit über sie hergefallen“. Das hat sie natürlich sofort bemerkt: „Er ist ein gutaussehender Mann, wahrscheinlich ein guter Liebhaber.“ Im Übrigen existiert bereits eine Diagnose für sie – dunkle Triade, eine Mischung aus Narzissmus, Soziopathie und Manipulationsdrang.

Diesen heiklen Persönlichkeitscocktail bringt De Cataldo immer wieder zur Sprache, ohne daraus Spannungskapital zu schlagen. Er spart es sich nämlich, Dinge an den Figuren zu zeigen, und zieht es vor, Dinge über die Figuren zu behaupten. Seine Devise lautet „tell, don’t show“. So lernen wir beispielsweise auch, dass Albas Kollege Biondo dröge und voraussehbar ist, weil dies über ihn gesagt wird, nicht weil er sich entsprechend verhält.

Schafherz auf Topinamburbett in Lakritzsoße

Die beiden Polizisten bilden gemeinsam mit Dr. Sax, dessen Schwiegervater eine hohe Position im Geheimdienst besetzt, das Ermittlerteam des Romans. Sie hatten vor vielen Jahren mit der Leiche einer jungen Frau zu tun, die nach japanischem Shibari-Vorbild verschnürt wurde. Bei dieser Fesselkunst geht es gleichermaßen um erotischen und ästhetischen Kitzel. Nun taucht abermals eine gefesselte Frau auf. Shibari lässt grüßen. Alles wie damals, „die Vergangenheit kehrt zurück“.

Bei den Recherchen machen die Kommissare Abstecher in Folterkerker und ins Darknet, rumänische Zuhälter haben ebenso ihren Auftritt wie korrupte Politiker und kriminelle Latinos. Sobald es für die Protagonisten brenzlig wird, helfen meteorologische Indikatoren dem Leser auf die Sprünge: „Ein Blitz zuckt über den Himmel, gefolgt von einem viel zu nahen Donner. Die Erde zittert.“ Steuert die Handlung hingegen in Richtung Entspannungszone, wird aufgetischt: Schafherz auf Topinamburbett in Lakritzsoße. Oder Thunfisch mit Kartoffeln, Büffelmozzarella und Zitronenkuchen. Oder Paccheri alla Nerano mit gebratenen Zucchini und Provolone.

Schusswechsel mit zwei nervösen Jungs

Kulinaristik verträgt sich nur selten mit Kriminalistik (Hannibal Lecter ist die Ausnahme, welche diese Regel bestätigt), und zu viel Kulturbeflissenheit gefährdet bei unsachgemäßer Handhabung schnell den Charme von Genreliteratur (Hannibal ist auch hier die Ausnahme). De Cataldo kümmert sich nicht darum und schöpft aus dem Vollen. Man schaut sich „Schwanensee“ an, sinniert über Duke Ellington oder Billie Holiday und zitiert ganze Passagen von Sacher-Masoch: „Ich akzeptiere Sie als Sklave und toleriere Sie unter folgenden Bedingungen an meiner Seite. Sie müssen völlig auf Ihr Ich verzichten . . .“, sagt Alba zu ihrem Endgegner. Der ist gebildet genug, um zu erwidern: „Mein Wille wird Ihr Wille sein. Sie sind ein passives Werkzeug in meinen Händen und führen widerstandslos alle meine Befehle aus.“

Die Figuren sind so kommunikationsfreudig, dass sie sich sogar Sachen erzählen, die sie längst wissen: „Du beginnst einen Schusswechsel mit zwei nervösen Jungs, einer haut ab, der andere ergibt sich und singt wie ein Vogel.“ Hier geht es nur darum, den Leser zu informieren. Der ist aber schon sehr früh sehr erschöpft und hat mehr Lust auf gebratene Zucchini und Zitronenkuchen als auf diesen Roman.

Giancarlo de Cataldo: „Alba Nera“. Thriller. Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl. Folio Verlag, Bozen / Wien 2021. 256 S., geb., 22,– €.

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