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#Kein Terror im Paradies

„Kein Terror im Paradies“

Als standhaft und mutig wird der Kangal beschrieben, als sehr intelligent, als selbst­sicher. Dieser anatolische Hütehund kann Herden und Besitztümer notfalls allein vor Angreifern und Eindringlingen verteidigen, er nimmt es dabei selbst mit Bären und Wölfen auf. Die Schriftstellerin Anna Yeliz Schentke hat ihren Debütroman nach diesem wohl stärksten aller Hunde benannt, ihre Heldin Dilek, die das Buch auf der Flucht aus der Türkei und in ihrer Anfangszeit in Frankfurt begleitet, bevor sie ein weiteres Mal verschwindet, hat sich im Netz den Namen Kangal1210 gegeben.

„Ich bin in Deutschland, weil ich sonst im Gefängnis säße“, sagt Dilek, als sie endlich den Mut hat, sich ihrer schon lange in Deutschland lebenden Cousine wenigstens in groben Zügen anzuvertrauen. Die Rückfrage bestätigt Dileks Sorge, Ayla sei zumindest ahnungslos, wenn nicht gar gefährlich: „Was hast du gemacht?“ In Istanbul gehörte Dilek zur Redaktion der Universitätszeitung, die in den Jahren vor dem Putschversuch von 2016 sechs der dreißig Professoren interviewt hatte, die später verhaftet worden waren. Im Netz veröffentlicht sie Botschaften, die viral gehen und der Polizei aufgefallen sind.

Es gebe Material über Dilek, aber keine Akte, erfährt ihr Freund Tekin von Sinem, einer Anwältin, die seit Kindheitstagen mit Dileks verstorbener Mutter befreundet war. Tekin ist in Istanbul geblieben. Was ihm bleibt, ist nicht viel: Baran zu fragen, was der weiß und was er der Polizei gesagt hat. Mit Sinem zu sprechen. Auf den hellen Fleck über dem Küchentisch zu starren, über dem das Foto hing, das Dilek mitgenommen hat auf ihre Flucht – und immer wieder auf den Bildschirm seines Handys: „The number you’ve called is temporarily not available. Lütfen daha sonra tekrar deneyin.“

Anna Yeliz Schentke: „Kangal“. Roman. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2022. 208 S., geb., 21,– €.


Anna Yeliz Schentke: „Kangal“. Roman. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2022. 208 S., geb., 21,– €.
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Bild: S. Fischer

Aus drei Perspektiven erzählt die 1990 in Frankfurt geborene Autorin die Geschichte von Dileks Flucht. Und noch mehr: Mit den Schilderungen von Dilek, Tekin und Ayla, die meist mit einer neuen Episode ansetzen, mitunter aber auch direkt weitererzählen, wo die andere Figur aufgehört hat, entwickelt sie ein Spektrum unterschied­licher Sichtweisen auf ein zum Zerreißen gespanntes Land, auf türkisches Leben in Istanbul und in Deutschland zwischen liberalen Werten und Tradition, zwischen Aufbegehren und Arrangement mit den Erwartungen. Das Kunststück, das Anna Yeliz Schentke im ebenso unaufgeregten wie eindringlichen Ton ihrer Erzähler gelingt: Sowenig ihre Figuren einander auch verstehen – wer liest, was sie zu sagen haben, kann sie alle verstehen, ihren Widersprüchen zum Trotz.

Als Hilal einmal vorbeikommt, sagt Tekin ihr, Dilek sei wohl „durchgedreht und nach Deutschland geflogen“. Vermutlich habe Sina etwas in ihr ausgelöst, als sie von Barans neuerlicher Verhaftung erzählt hatte. Da wird Hilal ärgerlich: „Tekin, mach nicht diesen Fehler“, sagt sie ihm, „das ist genau das, was sie wollen. Dass wir uns gegenseitig verantwortlich machen. Dafür, dass wir eingesperrt werden, dass Leute verschwinden. Wenn Dilek geht, dann hat sie einen Grund dafür.“ Hilal studiert Kunst in Istanbul und lebt mit Soraya zusammen – nach außen soll es wirken wie eine WG, tatsächlich sind die beiden jungen Frauen ein Paar. Als ein Mann in einer Bar Verdacht schöpft, wird Hilal verprügelt, sie verliert ein Auge. Später landet Soraya im Gefängnis. „Wir haben auf Ihrem Handy insgesamt sechs Kontakte gefunden, die nachweislich terroristisch aktiv sind“, wird ihr beim Verhör vorgehalten. Sie solle Namen nennen.

Von Zufällen geführt

Mehr als zweitausend Kilometer entfernt ärgert sich Melek über Leute, die so tun, „als ob man drüben direkt eingeknastet wird, wenn man mal was sagt“. Sie war es, die Ayla abgeholt und in ihrer WG aufgenommen hat, als Aylas Verlobter sie geschlagen und sie beschlossen hatte, nicht länger in der gemeinsamen Wohnung bleiben zu können. Aber Melek sagt auch: „Die Leute hier, die sich Türken nennen, die sind konservativer als der Staat persönlich.“ Das könnte auf Aylas Vater gemünzt sein, der seiner Tochter über die Proteste in der Türkei nur sagte, das habe nichts mit ihr, nichts mit ihnen zu tun. Die Menschen dort hätten alle die Nähe zu Allah vergessen.

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