#Missbrauch und Magie
„Missbrauch und Magie“
Die Auslieferung der deutschsprachigen Ausgabe von Dylan Farrows Debüt ist gestoppt, bevor sie überhaupt erschienen ist. Grund ist eine in den sozialen Medien vehement vorgetragene Kritik einiger Buchblogger an der Vermarktungsstrategie des Loewe Verlags. Dieser hatte den Roman als das Debüt der „Adoptivtochter Woody Allens“ groß rausbringen wollen und das neben dem Reizwort „MeToo“ skandalträchtig auf die Rückseite des Buchs drucken lassen.
Es folgte das bekannte, asymmetrische, semiöffentlich und semipersönlich geführte Wortgefecht auf Twitter, gekrönt durch eine doppelt unglückliche Entschuldigung der Presseabteilung: Man habe mit dem Namen Woody Allen lediglich eine „Suchmaschinenoptimierung“ betreiben wollen, „um ‚Hush‘ zwischen Tausenden von Neuerscheinungen auffindbar zu machen“.
An diesem durchsichtigen Marketing lässt sich erkennen, wie sehr Dylan Farrows Name mit dem ihres Adoptivvaters Woody Allen verbunden ist. Seit 1992 wirft sie dem damaligen Mann ihrer (nicht leiblichen) Mutter Mia Farrow vor, sie als Siebenjährige missbraucht zu haben, was Allen wiederholt dementiert hat. Es ist eine der vielleicht am längsten schwelenden, öffentlich verhandelten und nach wie vor unaufgeklärten Anklagen eines Missbrauchsfalls.
Sie geht zurück in eine Zeit, als Frauen kaum mit einer Welle von Solidarität rechnen konnten, wenn sie einen berühmten Mann in der Öffentlichkeit des psychischen oder physischen Missbrauchs bezichtigten. So erging es auch Dylan Farrow. Die Liste derjenigen, die ihr Glauben schenken, ist genauso lang wie die derer, die behaupten, sie sei ein Opfer ihrer angeblich manipulativen Mutter, die das eigene Kind im Feldzug gegen Allen einsetze.
Zuletzt provozierte Allen mit seiner 2020 veröffentlichten Autobiographie, die mit dem englischen Originaltitel „Apropos of Nothing“ schon den Kurs bestimmte: Gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen. Als Dylan Farrow bekanntgab, einen Vertrag bei St. Martin’s Press, einem der größten englischsprachigen Verlage, unterzeichnet zu haben, hätte man annehmen können, Allens süffisantem Dementi würde in Form eines Memoires eine konsequente Abfuhr erteilt.
Doch Farrows nun ins Deutsche übersetztes Debüt „Hush“ ist etwas anderes als das, es ist ein Fantasyroman. Eine Abenteuergeschichte, angesiedelt in Montane, einem fiktiven Land, das von Barden, Feudalherren und Bauern bewohnt wird. Eine Geschichte von Existenzkämpfen, vom Urmotiv des Guten gegen das Böse, eine Geschichte über despotische Machthaber und machtlose Untergebene. Weiter weg vom Upper-Class-Manhattan Woody Allens kann eine fiktive Welt nicht sein. Oder?
Falsch. Auch wenn es Dylan Farrows Vorhaben gewesen sein mag, sich von dem medial omnipräsenten und, was die soziale und materielle Kräfteverteilung angeht, omnipotenten Woody Allen zumindest literarisch freizuschwimmen, kommt man am Ende doch wieder bei dem prominenten Filmemacher an. Angesichts des Skandalcharakters der Ereignisse und der ungebrochenen Popularität Allens war zu erwarten, dass der Roman in den scheinbar unendlichen Resonanzraum der MeToo-Bewegung gestellt werden würde. Überraschend ist aber, dass Farrow selbst mit einem biographischen Nachwort, in dem von den zerstörerischen Absichten eines „mächtigen Menschen“ die Rede ist, diesen Kontext in ihren Text hineinspielt.
Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.
Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.
Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.