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#Mit den Waffen eines Görs

„Mit den Waffen eines Görs“

Selten wurde das Geheimnis einer Geheimagentin so schnell gelüftet wie zu Anfang der neuen Netflix-Serie „Kleo“: Ein Trabi fährt vor, im Hintergrund schimmert die Mauer im Scheinwerferlicht, eine junge Frau im blauen Trainingsanzug steigt aus. Kurz dreht sie sich noch in die Kamera, sagt zackig „Immer bereit“, dann verschwindet sie in einem Tunnel. Dort findet sie in einem Versteck ein Bündel Deutschmark, ein Rasiermesser und eine Perücke. Und als sie in weißem Kleid und schwarzen Pumps im Westen wieder auftaucht, in der berühmten Disco „Big Eden“ an der Bar, dauert es nicht lange, bis sie einen Mann angetanzt hat. Und so schnell, wie die beiden auf der Toilette gelandet sind, ist er schon tot. Das Koks, das sie ihm angeboten hat, war leider Gift.

Harald Staun

Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

Kleo, die Enkelin eines Stasi-Generals, versteht sich als stolze Tschekistin, die sich dermaßen mit den Idealen ihres Landes identifiziert, dass sie nicht nur mit aufrichtiger Hingabe im Westen als Auftragsmörderin unterwegs ist, sondern danach zum Runterkommen auch noch brav Silly hört und „Pittiplatsch“ guckt. Doch plötzlich wird sie von ihren Vorgesetzten fallen gelassen, verhaftet und lebenslänglich ins Gefängnis geworfen. Was in ihrem Fall heißt: drei Jahre, bis zum Fall der Mauer. Nachdem sie im Rahmen der Generalamnestie für politische Häftlinge entlassen wird, beginnt eine schrille Tour de Force durch den Witz der deutsch-deutschen Wendejahre. Kleo will wissen, warum ihr schönes Killerleben damals so ominös beendet wurde, und rächt sich acht Folgen lang die ganze Befehlskette hindurch.

Die Kill-Bill-Braut aus Pankow

So außergewöhnlich die Tragik dieses Schicksals aber ist (in der Haft hat sie bei einer Schlägerei auch noch ihr ungeborenes Kind verloren), so wenig interessieren sich Hanno Hackfort, Richard Kropf und Bob Konrad – die haben die Serie zusammen mit Elena Senft geschrieben – dafür, sie zum Polit- oder Psychothriller zu machen. Die Serie, merkt der Vorspann mit stolzer Ironie an, beruhe auf einer wahren Geschichte, und doch sei nichts davon wirklich passiert. So wird schon von der ersten Minute an klar, dass es weniger um das Drama geht, sondern vor allem darum, dem deutschen Fernsehen eine neue Figur zu schenken: ein Postwende-Riot-Girlie mit realsozialistischen Superkräften, so was wie die Tochter von Nina Hagen und Uma Thurman, eine Art Kill-Bill-Braut aus Pankow. Doch so viel Potential die Figur auch hat und so erkennbar die Ambitionen der Autoren sind, ihre Geschichte mit angemessener Überdrehtheit zu erzählen, so spröde bleibt ihr Charme und so träge sind oft ihre Gags.

Jella Haase gibt sich alle Mühe, Kleo als skrupellose Göre darzustellen, der jede Empathie für ihre Opfer abtrainiert worden ist und die, obwohl sie von ihren Genossen so bitter verraten wurde, auf ihrer von der Zeitgeschichte überholten Stasi-Programmierung hängen geblieben ist und unbeirrt wie ein Bot durchs Leben geht. Beim Giftmischen sagt sie unschuldig Rumpelstilzchen-Reime auf („Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Kleo Straubi heiß“), wenn ihr Ex-Freund und alter Stasi-Kumpel sie daran erinnert, dass es keinen Staat mehr gebe, der sie schützen kann, entgegnet sie unbekümmert: „Mach dich mal locker“ – und auch, als er sie vor dem KGB warnt, holt sie ihre Lieblingswaffe raus, den kecken Spruch: „KGB, was ist das? Köstritzer Getränke-Betreiber?“ Während Kleos alter Oberst schnell gelernt hat, dass sich Hybris und Klüngelei auch im Westen lohnen und mit neuer Identität auf Mallorca als Wendegewinner vom Bau einer Skihalle auf Rügen träumt, fühlt sie sich nun gar keiner Ordnung mehr verpflichtet, nur der eigenen Moral.

Wie sie sich so als trotziges Kind durch die Ruinen ihrer Lebenswelt bewegt, ist szenenweise auch ganz amüsant, auf Dauer aber so rasant wie eine Sightseeingtour im Trabi. Als Motor für eine furiose Agentenkomödie sind Schrulligkeit und auffällige Perücken am Ende doch zu wenig. Und als sich die Geschichte schließlich doch noch die Zeit nimmt, etwas tiefer in die Abgründe von Kleos Vergangenheit einzutauchen, hat die sich schon zu sehr als Comicfigur etabliert, als dass sich aus ihrem Trauma noch eine Spannung ergeben könnte.

So hängen auch die meisten der schönen Nebenfiguren in der Luft: der Westberliner Polizist Sven (Dimitrij Schaad) etwa, der Kleos Rachefeldzug auf der Spur ist und sich vor allem durch Durchschnittlichkeit auszeichnet, bis man merkt, dass auch Naivität eine Waffe sein kann. Kleos alter Kollege von der Stasi (Vincent Redetzki), ein Psychopath und überzeugter Ostextremer, der mit Mut zur Gewalt und schief sitzenden Brillen die Kränkung des kapitalistischen Siegs mit Laibach-Songs betäubt und selbstverständlich Uwe heißt. Am liebenswertesten ist aber Thilo (Julius Feldmeier), ein verstrahlter Raver mit Topfschnitt, der in Kleos Abwesenheit in ihre alte Wohnung zieht und der sich irgendwann aus den Akten im Keller ihres Opas ein herrlich chaotisches Verschwörungschaos zusammenreimt. Thilo ist selbst auf einer kosmischen Mission, er soll den Techno in die Welt bringen, weswegen er Kleos Gemorde mit der nötigen Wurschtigkeit begegnet. Er wäre die perfekte Figur dafür, den Ernst aus dem Drama um einen globalen Geheimdienstplot zu lassen – wenn dieses nicht schon selbst von Ironie durchsetzt wäre. So bleibt er, wie so viele in „Kleo“, nur ein comic relief in einer Welt, die gar keine befreiende Komik braucht.

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