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#Mit Mut und Haltung

Mit Mut und Haltung

So etwas nennt sich wohl Finale furioso: Im letzten Kampf der deutschen Säbelfechter im Mannschaftswettbewerb der Olympischen Spiele, im allerletzten Gefecht seiner sportlichen Karriere, holt Max Hartung gegen den Ungarn Aron Szilagyi Punkt um Punkt auf und scheint die Partie aus aussichtsloser Position zu wenden. Mit 13 Punkten Rückstand, 27:40, ist Hartung angetreten, der dreimalige Olympiasieger ihm gegenüber muss lediglich auf 45 Punkte kommen, um mit seinem Team die Bronzemedaille zu gewinnen. Und dann trifft Hartung, während der Ungar um seine fünf Punkte ringt, diesen vierzehnmal mit seiner Klinge – eine Partie auf Messers Schneide, buchstäblich.

Bei den Sommerspielen von Tokio lebte Hartung ein letztes Mal hemmungslos die Leidenschaft aus, mit Schreien, Trampeln und Tränen, die großer Sport ermöglicht und verlangt. „Auf der allergrößten Bühne des Fechtens auch noch gegen den Besten in unserem Sport“, resümierte er: „Das war die Gelegenheit, alles, was ich habe, noch einmal in die Waagschale zu werfen.“ Aus einem aussichtslos scheinenden Gefecht machte der 31-Jährige eine glorreiche Abschiedsvorstellung.

Für die stärksten deutschen Säbelfechter ging damit ein Lebensabschnitt zu Ende. Im Alter von sieben, acht Jahren hatten sich Hartung, Richard Hübers, Benedikt Wagner und Matyas Szabo, der Sohn ihres Trainers, beim Fechten in Dormagen kennengelernt. Gemeinsam wuchsen sie auf, lernten zu siegen und zu verlieren. Das Team war Welt- und Europameister. Hartung gewann bei zwei Europameisterschaften den Einzeltitel und nahm an den Olympischen Spielen von London 2012, denen von Rio 2016 und denen von Tokio teil. Es fühle sich an, sagte Hartung, als seien sie Brüder geworden.

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Hartung lacht, als er einschätzen soll, ob er sein Potential als Sportpolitiker ausgeschöpft habe. Er hatte erwartet, nach seiner sportlichen Leistung gefragt zu werden. Doch so erfolgreich er auf der Planche war, mehr bewegt hat er auf dem diplomatischen Parkett. Als gewählter Athletenvertreter und Gründungspräsident von Athleten Deutschland, was fast eine Sportlergewerkschaft ist, nahm er es mit den Vertretern der Verbände auf und focht eine scharfe Klinge mit Thomas Bach, dem Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und ehemaligen Florettfechter.

2018, im Jahr nach der Gründung der Organisation, lud Bach Hartung und dessen Mitstreiter an den Verbandssitz in Lausanne ein zum Versuch, ihnen die Forderung nach einer finanziellen Beteiligung der Hauptfiguren Olympischer Spiele an den immensen Einnahmen aus deren Vermarktung auszureden. Ein Viertel der 5,7 Milliarden Dollar, die das IOC im Vierjahreszeitraum einer Olympiade einnimmt, fordern die Athleten für sich; das entspräche einer Prämie von 100.000 Dollar für jeden Olympiateilnehmer.

Die Athleten blitzten zwar ab, doch es geschah, was das IOC nicht wollte. Sportlerinnen und Sportler anderer Länder und einzelner Disziplinen taten sich zur Vertretung ihrer Interessen zusammen. Die Deutschen setzten durch, dass sich IOC und Deutscher Olympischer Sportbund gegenüber dem Bundeskartellamt zu einer Öffnung der Werbebeschränkungen für Athleten durch Regel 40 der Olympischen Charta verpflichteten. Nun ist auch Regel 50 aufgeweicht, die politische Meinungsäußerungen verbietet. Die Kapitänin der Hockey-Nationalmannschaft, Nike Lorenz, ging demonstrativ mit Stutzen in den Farben des Regenbogens ins olympische Turnier.

Hartung wird Geschäftsführer der Sportstiftung Nordrhein-Westfalen. Auch dort werde er Sportlerinnen und Sportler bestmöglich unterstützen, sagt er. Zur Wiederwahl als Präsident von Athleten Deutschland im Oktober tritt er nicht an. „Die Zeit läuft ab“, sagt er: „Jeden Tag bin ich ein Stück weiter weg von der Lebenswelt als Sportler.“ Er will den Eindruck von Interessenskonflikten vermeiden, wie sie im Sport verbreitet sind.

Die Welt des Sports verändert sich, Hartung hat mit Mut, strategischem Geschick und Charme seinen Teil dazu beigetragen. Größter Erfolg ist die Gründung von Athleten Deutschland. Trotz oder vielleicht auch wegen des Widerstandes der DOSB-Führung überzeugten er und seine Mitstreiter Abgeordnete und Regierung davon, dass die Topathleten der olympischen und nichtolympischen Sportarten eine unabhängige und professionelle Interessenvertretung brauchen – eine Organisation, die ihnen sportpolitisches Engagement zusätzlich zum Spitzensport ermöglicht. Daraus ist ein Gremium geworden, dessen Einlassungen und Forderungen kompetenter und authentischer wirken als vieles, was die Fachverbände und ihr Dachverband äußern.

„Ich hoffe, dass wir durch unser Engagement Athleten ermuntern, Mut und Selbstverständnis zu entwickeln, ihre Bühne zu nutzen und zu sagen: Meine Haltung ist relevant, und ich zeige sie“, sagt Hartung. Was er meint, zeigte er mit einem spektakulären Auftritt im „Aktuellen Sportstudio“ im März 2020. Er frage sich, wie er als Sportler dazu beitragen könne, dass die pandemische Krise schnell vorbeigehe, sagte er damals, berief sich auf den Appell von Bundeskanzlerin und Robert Koch-Institut, andere nicht zu gefährden und Kontakt zu meiden – und erklärte seinen Verzicht auf die Teilnahme an den bevorstehenden Sommerspielen. Eine Woche später verschob das IOC Olympia auf 2021. Man darf gewiss sein, dass Hartung sich weiter für Athletinnen und Athleten, für Sport und Sportpolitik einsetzen wird.

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