#Müssen wir unsere Kinder auf einen Krieg vorbereiten?
Inhaltsverzeichnis
Raus aus der Komfortzone: Niemand will, dass die Schule Kriegsängste schürt, aber warum sollte sie nicht auf Krisen vorbereiten dürfen?
Die Wahrheit ist auch Schülern zumutbar. Auch Heranwachsende sollten wissen, dass Frieden keine Selbstverständlichkeit ist. Sie sollten wissen, dass der russische Angriffskrieg auf die Ukraine die europäische Sicherheitsarchitektur erschüttert hat und der imperialistische Machthunger Putins nicht an den Grenzen der überfallenen Ukraine endet. Die Zeiten, als Krieg eine abstrakte Gefahr war, sind leider vorbei.
Die Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat nun einen vernünftigen Vorschlag unterbreitet. Sie plädiert dafür, an Schulen Zivilschutzübungen abzuhalten und ein „unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr“ zu entwickeln. Der Mediengruppe Funke gegenüber sagte sie: „Ich halte es für wichtig, dass Jugendoffiziere in die Schulen kommen und berichten, was die Bundeswehr für unsere Sicherheit tut.“ Als Vorbild nannte die Ministerin Großbritannien, wo Übungen für den Katastrophenfall an Schulen zum Alltag gehörten. „Die Gesellschaft muss sich insgesamt gut auf Krisen vorbereiten – von einer Pandemie über Naturkatastrophen bis zum Krieg. Ziel muss sein, unsere Widerstandsfähigkeit zu stärken.“ Ein neues Schulfach fordert sie nicht, doch das Thema müsse Lerninhalt sein.
Kriegstüchtige Kinder?
„Deutsch, Mathe, Schießen . . .?“ fragte die „Bild“, als zöge Deutschland morgen in den Krieg, und Karin Prien, schleswig-holsteinische Bildungsministerin, warf Stark-Watzinger vor, sie mache der Bevölkerung und insbesondere Kindern und Jugendlichen Angst. Kritik äußerte auch der bildungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Thomas Jarzombek: „Wir müssen unsere Kinder schultüchtig und nicht kriegstüchtig machen.“ Panik an den Schulen zu verbreiten helfe nicht, es gehe jetzt darum, die Bundeswehr wieder wehrfähig zu machen und die Munitionsherstellung in den Griff zu bekommen – als hätte die Aufklärung von Schülern darüber, dass auf den Schlachtfeldern in der Ukraine auch unsere Freiheit verteidigt wird, irgendetwas mit der Ausstattung der Bundeswehr zu tun. Auch die Lehrergewerkschaft VBE warnt davor, Kindern Angst machen.
Es könnte aber auch das Gegenteil der Fall sein: Der Besuch von pädagogisch geschulten Jugendoffizieren, die längst Schulen besuchen, könnte Kindern und Jugendlichen ihre Angst nehmen. Eine Angst, von der man annehmen darf, dass sie in sozialen Netzwerken durch Bilder von Toten und Verletzten an der Front sowie kursierenden Filmen, die Kriegsverbrechen zeigen, geschürt wird.
Seit Abschaffung der Wehrpflicht 2011 hat die Bundeswehr ihre Position als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft weitgehend eingebüßt. Doch der russische Überfall hat unbequeme Fragen aufgeworfen, von denen die meisten dachten, dass sie nie gestellt werden müssten: Würde das schwedische Wehrpflicht-Modell auch hierzulande funktionieren? Wie wehrhaft wäre Deutschland im Fall eines russischen Angriffs? Dass große Teile der politischen Elite noch immer mit allem Militärischen fremdeln, trotz der viel beschworenen Zeitenwende, zeigen nicht zuletzt die kleinteiligen Debatten um Waffenlieferungen für die Ukraine. Die Befürchtung, Jugendoffiziere könnten in den Schulen Kriegspanik verbreiten, passt zur verzagten Politik vor allem der Sozialdemokraten, deren größte Angst zu sein scheint, Putin zu reizen.
Die Aufgabe von Jugendoffizieren
Michael Gutzeit leitet die Informationsarbeit am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam und besuchte selbst als Jugendoffizier Schulen. Was tut ein Jugendoffizier eigentlich? „Die Aufgabe eines Jugendoffiziers ist es, über den Auftrag der Bundeswehr zu informieren und die sicherheitspolitischen Fragen unserer Zeit zu beantworten. Warum ist Krieg in der Ukraine? Was ist Terrorismus? Wo ist die Bundeswehr im Einsatz? Warum gibt es Migrationsbewegungen in Afrika? Die Themen sind sehr vielfältig.“ Jugendoffiziere, sagt Gutzeit, werben nicht um Nachwuchs, und sie verbreiten auch keine Kriegsangst. „Sie sind verpflichtet, über Themen wie Waffenlieferungen an die Ukraine ausgewogen zu informieren, Vor- und Nachteile zu beleuchten und die Schüler rhetorisch nicht zu überwältigen.“
Bettina Stark-Watzingers Vorschlag, Schüler mental auf mögliche Krisen, zu denen auch ein Krieg gehören kann, vorzubereiten, ist für Gutzeit ein wichtiges Signal. „Mir ging es als Jugendoffizier darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Verteidigung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist und nicht allein Bringschuld der Bundeswehr. Im Krieg kommt es auf jeden von uns an, denn wir können nur gemeinsam eine wehrhafte Demokratie sein.“
Der Militärhistoriker Sönke Neitzel schließt nicht aus, dass in fünf oder sechs Jahren auch deutsche Soldaten im Baltikum kämpfen müssten. Die Frage sollte also nicht lauten, ob Jugendoffiziere, die von ihrer Arbeit erzählen, womöglich Schüler verängstigen könnten, sondern was es bedeutet, die Augen weiterhin vor der Wirklichkeit zu verschließen.
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