Wissenschaft

Mumie des „luftgetrockneten Kaplans“ geöffnet

In Österreich liegt eine Mumie aus dem 18. Jahrhundert, die außergewöhnlich gut erhalten ist. Seit Jahrhunderten rätseln Wissenschaftler, wer der Tote war und wie er einbalsamiert wurde. Nun haben Forschende das Geheimnis gelüftet. Demnach handelt es sich bei der Mumie tatsächlich um einen örtlichen Kaplan. Die besondere Konservierung seines Leichnams geht auf eine zuvor unbekannte Einbalsamierungsmethode zurück, wie die Obduktion ergab. Diese Technik unterscheidet sich erheblich von anderen Kulturen, könnte aber in Europa üblich gewesen sein.

Viele Kulturen weltweit haben ihre Toten einbalsamiert, um deren Körper zu konservieren. Die Methoden für die Einbalsamierung unterscheiden sich aber je nach Glauben und kulturellem Kontext erheblich. Die Ägypter nutzten beispielsweise Salze, um den Körper zu trocknen, sowie duftende und antimikrobiell wirkende Essenzen und Öle. Die Bewohner der Anden hingegen trockneten die Körper ihrer Toten mit Feuer und heißer Asche und füllten sie mit Lehm, Wolle, Stroh und Asche. Über Mumifizierungstechniken aus Europa ist hingegen weniger bekannt.

Fotos der Mumie von vorne und hinten
Äußeres Erscheinungsbild der Mumie von der Vorder- (A) und Rückseite (B) mit einer vollständig intakten Körperwand. © Andreas Nerlich

Obduktion einer 300 Jahre alten Mumie aus Österreich

Ein Team um Andreas Nerlich von der Ludwig-Maximilians-Universität München hat nun eine rund 300 Jahre alte Mumie näher untersucht, die in einem kleinen Dorf in Österreich aufbewahrt wurde und ungewöhnlich gut erhalten ist. Zwar sind die Arme und Beine sowie der Kopf nach dem Tod teils verfallen, doch der Oberkörper der Mumie ist vollständig intakt. Seit 1967 wurde sie mehrfach wissenschaftlich untersucht, jedoch nur unvollständig. Bislang war daher unklar, wer der Tote war, wann er gestorben ist und wie er mumifiziert wurde. Um das herauszufinden, führten die Pathologen nun umfangreiche Analysen durch, darunter CT-Scans, eine Autopsie des Körperinneren, toxikologische Tests, Isotopen-Analysen und Radiokarbondatierungen.

Diese Analysen ermöglichten erstmals eine Identifizierung des Toten: „Die ungewöhnlich gut erhaltene Mumie in der Kirchengruft von St. Thomas am Blasenstein ist der Leichnam des 1746 verstorbenen Pfarrvikars Franz Xaver Sidler von Rosenegg“, bestätigt Nerlich die langjährigen Vermutungen. Den Tests zufolge starb der Geistliche höchstwahrscheinlich im Alter von 35 bis 45 Jahren, zwischen 1734 und 1780. Er war ein gut genährter Mann, der Getreide und Tiere aus der heimischen Region aß. Gegen Ende seines Lebens könnte er gehungert haben, wahrscheinlich während des Österreichischen Erbfolgekriegs. Sein Skelett weist keine größeren Anzeichen von Belastung auf. Zudem war der Tote langjähriger Pfeifenraucher und hatte gegen Ende seines Lebens eine Lungentuberkulose entwickelt, an der er auch gestorben sein könnte. All diese Daten passen zu Sidler und zum klösterlichen Leben eines aristokratischen Priesters ohne harte körperliche Aktivität, wie die Forschenden berichten.

Fotos der Stoffe, die im Bauch des Toten gefunden wurden
Funde von speziellem Gewebe aus der Bauchhöhle der Mumie. Links: Ein Stück Baumwolle mit aufwendigem Blumenmuster. Rechts: Fragment eines Seidenstoffs. © Andreas Nerlich

Stoffe im Bauchraum führten zur Mumifizierung

Bei der Obduktion des Kaplans fanden die Forschenden mehrere Fremdstoffe in seiner Bauch- und Beckenhöhle: Holzspäne von Tanne und Fichte, Fragmente von Ästen sowie verschiedene Stoffe, darunter Leinen, Hanf und Flachs, aber auch Seide. Zudem fanden sie Spuren von Zinkchlorid und Kupfer sowie eine einzelne etwa einen Zentimeter große Glaskugel mit Löchern an beiden Enden. Frühere Forschende, die diese „Kugel“ im Bauchraum bereits bei Scans entdeckt hatten, hielten sie für eine Giftkapsel. Nerlich und seine Kollegen identifizierten sie nun jedoch als eine harmlose Perle, die vermutlich einen Stoff klösterlichen Ursprungs oder einen Rosenkranz zierte und bei der Aufbereitung versehentlich in der Mumie landete.

In den Bauchraum des Toten gelangten die zur Konservierung verwendeten Substanzen offenbar durch den Po und einen Schnitt in der Darmwand, wie das Team feststellte. „Unsere Untersuchung ergab, dass der hervorragende Konservierungszustand von einer ungewöhnlichen Art der Einbalsamierung herrührte, die durch das Stopfen des Bauches durch den Rektalkanal mit Holzspänen, Zweigen und Stoff und die Zugabe von Zinkchlorid zur inneren Trocknung erreicht wurde“, so Nerlich. Wahrscheinlich war es diese spezielle Materialmischung, die die Mumie von innen getrocknet und in einen so guten Zustand versetzt hat. „Offensichtlich haben die Holzspäne, Zweige und der trockene Stoff einen Großteil der Flüssigkeit in der Bauchhöhle aufgenommen.“ Zinkchlorid hat ebenfalls eine stark trocknende Wirkung.

Übliche Einbalsamierungsmethode in Europa?

Dass der Körper des Kaplans durch den Enddarm ausgestopft wurde, statt wie sonst die Materialien durch einen Schnitt in der Bauchdecke einzubringen, macht ihn zum ersten untersuchten Fall dieser zuvor unbekannten Mumifizierungstechnik. Das heißt jedoch nicht unbedingt, dass diese Methode damals in Europa unüblich war. Möglicherweise wurde sie bisher nur bei Mumien in schlechterem Zustand durch den Zerfall der Körperwand nicht erkannt.

Doch warum wurde der Tote überhaupt mumifiziert? „Möglicherweise war ein Transport des Kaplans in seine Heimatabtei geplant, der aus unbekannten Gründen fehlgeschlagen ist“, vermutet das Team. Denn Sidler war von seinem Mutterkloster Waldhausen im Strudengau in Oberösterreich nur vorübergehend in die Pfarrei St. Thomas delegiert worden. Dass Leichname für eine solche Rückführung mittels Holzspänen innerlich oder äußerlich haltbar gemacht wurden, könnte im Europa des 18. Jahrhunderts durchaus üblich gewesen sein. „Wir haben einige schriftliche Beweise dafür, dass Leichen für den Transport oder die Aufbahrung der Toten ‚vorbereitet‘ wurden – obwohl kein Bericht eine genaue Beschreibung liefert“, berichtet Nerlich.

Quelle: Frontiers in Medicine, doi: 10.3389/fmed.2025.1560050

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