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Muschel-Manie

Bevor man hoffentlich bald zu der in Deutschland bislang ungekannten Fülle von Meisterwerken des französischen Rokokomalers François Boucher in der Karlsruher Kunsthalle gelangt, ist zunächst eine Phalanx von fünf Sockeln zu sehen, unter deren Glasstürzen Muscheln mit wundersamen Namen liegen: Löwenpranke, Riesenohr, Papierboot. Die bildhaft benannten Gebilde der Natur sehen nicht nur so aus, wie sie heißen, sie fassen sich auch so an – die hauchdünnen Wandungen der Papierboot-Muschel lassen sie so leicht und zart werden, dass man ihr unmittelbares Davonwehen beim ersten Luftzug befürchtet.

Stefan Trinks

Mit diesen vom Rokoko geliebten, hochartifiziellen Gebilden, die dem Stil in Gestalt der Rocaillemuschel seinen Namen gaben, ist der Auftakt gesetzt: An wenige Orte in Deutschland passt die Schau zum zweihundertfünfzigsten Todestag von Boucher derart wie in die Rokokofächerstadt Karlsruhe. Allein die auch selbst als Künstlerin tätige Markgräfin Karoline Luise von Baden nannte acht Bouchers ihr Eigen, jedes einzelne Bild in sehr persönlich gehaltenen Briefwechseln mit ihrem elsässischen Kunsthändler Jean-Henri Eberts in Straßburg und dem Künstler beschrieben, besprochen und bei Erhalt bejubelt – oder auch zurückgesandt bei Nichtgefallen. So konnten in Karlsruhe neben etlichen seiner Gemälde aus Eigenbestand auch die Muscheln bewundert werden, die sich dem Inventar zufolge einst als teure Kuriositäten – der wohlhabende Maler konnte es sich bei rund zehntausend bei Sammlern äußerst begehrten Zeichnungen sowie über tausend verkauften Gemälden leisten – in dessen ausgedehnter Kunstkammer-Sammlung befanden. Die prächtigsten dieser skulpturalen Kunstwerke der Natura sind nun aus den Depots des badischen Naturkundemuseums im Entree nacharrangiert.

Neben den Muschelwelten hängen Kupferstiche Bouchers an der Wand, die das permanente Umschlagen von Gebautem und Geschaffenem in Natur auf die Spitze treiben: Muscheln bilden Wasserbecken, halb verschattete Treppen werden zur Hälfte wieder von der Natur zugewuchert und schnecken sich piranesihaft nach oben und wirken, obwohl steinern, organisch weich.

Die Natur als Manieristin

Auf derartige „Aufweichungen“ folgt im zweiten Saal jenes Motiv, für das Boucher in seinem achtzehnten, aber auch noch im neunzehnten Jahrhundert gepriesen wurde: Darstellungen der Venus, die häufig ihr Attribut der Muschel zeigt, vom Maler in allen denkbaren Posen hin- und hergewendet. Selbst die Liebesgöttin wird bei ihm integraler Teil der Natur, und zwar einer vermenschlichten Natur, was an den zahlreichen Verschmelzungen und buchstäblich fließenden Übergängen ihres Körpers ablesbar ist. Und selbst die Ikonographien der schon vom Barock so geliebten mythologischen Darstellungen und Metamorphosen werden von Boucher derart aufgeweicht, dass oft nicht sicher zu bestimmen ist, welche Mythologien gemeint sind.

Perfekt imitierte Natur mit dem Menschen als idealisiertem Teil seiner Umwelt: Das Wollvlies besteht bei Boucher oft nur noch aus der Pinselstruktur, so auch auf dem Bild „Schäfer und Schäferin“, 1760.


Perfekt imitierte Natur mit dem Menschen als idealisiertem Teil seiner Umwelt: Das Wollvlies besteht bei Boucher oft nur noch aus der Pinselstruktur, so auch auf dem Bild „Schäfer und Schäferin“, 1760.
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Bild: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe

So seltsam das für heutige, naturwissenschaftlich gespitzte Ohren klingen mag: Gerade für den angeblich überkandidelten Rokoko war die Natur, die ja selbst überbordende und nie kühl-rationale Manieristin ist, die unangefochtene Lehrmeisterin. So studiert auf dem Bild „Merkur und Amor“ von 1742 der kleine Erosknabe aufmerksam ein Buch, auf dessen aufgeschlagener Doppelseite nicht lange Traktate, sondern ein Bild zu sehen ist: Eingezeichnet ist der Bogen, mit dem er bald Menschen in feuriger Liebe „ihrer Natur gemäß“ in Brand schießen wird. Um auch hier an der Künstlichkeit der Unterrichtung und dem hohen Fertigkeitsanspruch der Liebeskunst keinen Zweifel zu lassen, setzt Boucher unter den Bogen seine Signatur.

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