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#Neonazis im Aufwind

Neonazis im Aufwind

Blickt man auf die Statistik rechter und menschenfeindlicher Angriffe, wie sie die Beratungsstelle Ezra in Thüringen gesammelt hat, ist kaum Entwarnung zu geben. Zwar ging die Anzahl rechtsextremer Gewalttaten im Freistaat im vergangenen Jahr auf 102 zurück, doch ist sie immer noch doppelt so hoch wie vor 2015. Das mit Abstand häufigste Tatmotiv sei nach wie vor Rassismus, gefolgt von politischer Gegnerschaft, sagte Franz Zobel am Dienstag, Projektkoordinator in der von der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands getragenen Beratungsstelle.

Stefan Locke

Korrespondent für Sachsen und Thüringen mit Sitz in Dresden.

In den meisten Fällen von Gewalt handele sich um Körperverletzung; in einem Fall war auch ein Todesfall zu beklagen: Im Februar 2020 war in Altenburg ein 52 Jahre alter Mann brutal ermordet worden, laut Ezra aus homosexuellenfeindlichen und sozialdarwinistischen Motiven.

Auch weil die Verbreitung rechtsextremer Einstellungen auf einem „besorgniserregenden Niveau“ bleibe, haben die Thüringer Beratungsstellen Ezra und Mobit sowie das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft und das Zentrum für Rechtsextremismusforschung der Friedrich-Schiller-Universität Jena eine neue, künftig jährlich geplante Publikation namens „Thüringer Zustände“ aufgelegt. Sie verspricht „eine faktenbasierte Darstellung und kritische Einordnung“ rassistischer, antisemitischer und rechtsextremer Gewalt im Freistaat. Der Bericht versteht sich als zivilgesellschaftliche Ergänzung zu behördlichen Darstellungen, die den gesamten Phänomenbereich aus Sicht der Initiatoren nur unzureichend erfassen.

Eine Szene von enormer Anpassungsfähigkeit

So habe das von Corona geprägte Jahr 2020 die enorme Anpassungsfähigkeit der Szene gezeigt: Während die Zahl sogenannter Rechtsrockkonzerte stark zurückging, habe sich die Szene auf thüringenweit stattfindende, radikale Protestaktionen gegen die Pandemiemaßnahmen verlegt. Außerdem habe sie vermeintlich soziale Projekte wie Corona-Einkaufshilfen gestartet, um in bisher nicht rechtsextreme Kreise vorzudringen, sagte Romy Arnold von der Beratungsstelle Mobit. Chatgruppen in Messengerdiensten wie Telegram wirkten hier als Radikalisierungsbeschleuniger. Da gebe es immer wieder Fälle bisher unauffälliger Bürger, die sich kurze Zeit später auf Demos ein Mikrofon schnappten und auf einmal vom Systemumsturz redeten, so Arnold.

Ein großes Problem sehen die Initiatoren auch in der ihrer Meinung nach zu laxen Verfolgung rechtsextremer Straftaten. „Haftbefehle werden nicht beantragt, Verfahren über Jahre verschleppt oder gar ganz eingestellt“, heißt es in dem Bericht. „Wenn es doch zu Verurteilungen kommt, sind die Strafen häufig mild, wobei die rechte Tatmotivation zugleich nur selten berücksichtigt wird.“ Ezra-Koordinator Zobel nennt dafür mehrere Beispiele, darunter einen bewaffneten Angriff von Neonazis auf zwei Jugendliche in Nordhausen, den das örtliche Amtsgericht nach sechseinhalb Jahren wegen überlanger Verfahrensdauer einstellte, und einen Neonazi-Überfall auf das Autonome Jugendzentrum Erfurt, bei dem sich von neun ermittelten Tätern schließlich nur zwei vor Gericht verantworten mussten. Der eine Angeklagte wurde freigesprochen, das Verfahren gegen den anderen eingestellt.

In diese Kategorie fällt auch der mutmaßlich prominenteste Fall, der sogenannte Ballstädt-Prozess, der zurzeit vor dem Landgericht Erfurt wieder aufgerollt wird. 2014 hatten Neonazis, die sich in der kleinen Gemeinde nördlich von Gotha angesiedelt haben, eine Kirmesgesellschaft brutal überfallen und mehrere Menschen schwer verletzt. Zwar wurden die elf Angeklagten zu Haftstrafen verurteilt, doch hob der Bundesgerichtshof die Urteile aus formalen Gründen wieder auf.

Ein Deal mit Neonazis?

Statt einer schnellen Wiederaufnahme sei das Verfahren jahrelang verschleppt worden, so Zobel. Seit diesem Frühjahr wird der Fall vor dem Landgericht Erfurt neu verhandelt, wobei für große Empörung sorgte, dass das Gericht allen Angeklagten aus Zeit- und Kostengründen einen sogenannten Deal vorschlug: Die Angeklagten, die ursprünglich mehr als zwei Jahre und einer von ihnen gar mehr als drei Jahre Haft erhalten hatten, könnten nun mit Bewährungsstrafen davonkommen, sofern sie ein Geständnis ablegen. Die meisten erklärten daraufhin, das Angebot anzunehmen. Noch ist darüber nicht entschieden.

Vor allem für die Betroffenen sei diese Situation „unglaublich belastend“, sagte Zobel, zumal die Täter bisher auf freiem Fuß blieben. Das führe dazu, dass sich nicht wenige Menschen durch den Rechtsstaat nicht mehr geschützt fühlten. Darüber hinaus sendeten solche Entscheidungen „ein verheerendes Signal in die Neonaziszene“, die sich dadurch in ihrem Treiben noch bestätigt sehe, unangreifbar fühle und mit noch größerer Intensität weitermache. Zobel zufolge sehe sich die Szene durch ihre Corona-Aktivitäten zurzeit ohnehin bestärkt und spreche etwa in sogenannten sozialen Netzwerken offen Drohungen gegen zivilgesellschaftliche Akteure aus.

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