#Kochbuch „Der Sioux Chef“: Rückeroberung des alten, indigenen Küchen-Wissens
Inhaltsverzeichnis
Was kochten die amerikanischen Ureinwohner, bevor sie in Reservate vertrieben wurden? Der Koch Sean Sherman, gebürtiger Lakota, begibt sich in seinem Kochbuch „Der Sioux Chef“ auf die Spuren seiner Vorfahren.
Essen macht in den seltensten Fällen einfach nur satt, sondern ist Ausdruck von Identität und Heimat. Für den amerikanischen Koch Sean Sherman ist das nicht anders: Er gehört zum Stamm der Lakota, die ursprünglich dort lebten, wo heute der Mittlere Westen der USA liegt. Die Lakota mussten weißen Siedlern Platz machen, wurden in Reservate umgesiedelt und verloren einen Teil ihrer Kultur und damit auch einen Teil ihrer Küche. In den Reservaten wurden die Ureinwohner von der US-Regierung mit ungesundem Essen versorgt. Frybread, also frittierter Hefeteig, wurde zu einem Grundnahrungsmittel. Besonders gesund ist es nicht, weshalb in den Reservaten schnell Zivilisationskrankheiten wie Fettleibigkeit und Diabetes Einzug hielten.
Für Sherman ist diese Frybread ein Symbol der Vertreibung und Unterdrückung der Ureinwohner – weshalb er in seinem Kochbuch „Der Sioux Chef“ gänzlich darauf verzichtet. Er betont stattdessen, worum es in der indigenen Küche Amerikas eigentlich geht: Sie sei „hypersaisonal, ultralokal und megagesund“. Die Küche komme ohne industriell verarbeitete Lebensmittel, ohne Zucker und ohne Weizen aus – heißt, sie ist von Natur aus glutenfrei. Das klingt erst mal toll, aber so einfach nachzukochen ist sie dann doch nicht. Das liegt vor allem daran, dass man als gewöhnlicher europäischer Städter viele der Zutaten dann doch nicht unbedingt vor der Haustüre findet. Junge Triebe der Tamarack-Lärche, den Ur-Mais Teosinte oder Enteneier; für einige der Zutaten muss man dann doch eher das Internet bemühen und nicht die von Sherman beschworenen Wälder und Wiesen hinter dem eigenen Haus.
Fasanenbraten mit Ahorn und Wacholder
Bei einigen Rezepten aus dem Buch wird man dem Gedanken der Ultralokalität als Deutscher also nicht wirklich gerecht. Dafür bietet „Der Sioux Chef“ einen Einblick in eine Küche, die so ganz anders ist als die üblichen europäisch-asiatisch-arabischen Küchen, die sonst die Kochbuchregale dominieren. Fasanenbraten mit Ahorn und Wacholder, Kürbissuppe mit Apfel und Cranberry-Sauce oder Ofengemüse mit Ahorn und Salbei bringen ganz eigene Aromen und Geschmäcker mit sich, die so in keiner anderen Küche zu finden sind.
Auf den Spuren seiner Vorfahren: Koch Sean Sherman
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Bild: picture alliance
„Der Sioux-Chef“ ist nur der jüngste Beweis dafür, dass die Lebensweisen der indigenen Völker in Nordamerika wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Als die Biologin Robin Wall Kimmerer 2013 die erste Auflage ihres Buchs „Geflochtenes Süßgras“ herausbrachte, war das Buch eher eine Nischenpublikation: ein Essay, der die Lebensweisen der nordamerikanischen Ureinwohner einerseits stark romantisierte, dann aber auch wieder mit harten biologischen Fakten unterfütterte. Kimmerer, die selbst zu den Potawatomi gehört, unterstrich in ihrem Buch vor allem, wie wichtig die enge Verbindung der Native Americans zu ihrer Umwelt ist. Und sie beklagte den Verlust dieser engen Verbindung.
Die Beschäftigung mit dem indigenen Erbe Amerikas ist dabei gerade sehr aktuell. Neben Kimmerer und Sherman hat sich jüngst Martin Scorsese mit dem Schicksal der Osage in den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts auseinandergesetzt. Die Folgen der ungewohnten, miesen Ernährung spielen für den Plot seines Films eine entscheidende Rolle.
Auch Umweltzerstörung und die Klimakatastrophe tragen dazu dabei, dass indigenes Wissen wieder vermehrt in den Blickwinkel rückt. Wenn Kimmerer über die enge Verbindung der Potawatomi zur Natur schreibt und deren Verlust beklagt, dann steckt auch eine Aufforderung darin, diese Verbindungen wiederzuentdecken und sich darüber klar zu werden, dass ein Bewusstsein für die Umwelt und ein achtsamer Umgang mit ihr nötig sind, um in den Umweltkrisen wenigstens einigermaßen bestehen zu können.
Sean Sherman, Beth Dooley: Der Sioux-Chef. Indigen kochen. Aus dem Amerikanischen von Sabine Franke, Kanon Verlag, 240 Seiten, 38,- Euro.
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Bild: Kanon Verlag
Rückeroberung von altem Wissen
Vor diesem Hintergrund ist Shermans Buch viel mehr als ein Kochbuch, es ist ein politisches Statement: Hinter „Der Sioux-Chef“ steckt ein jahrelanger Prozess des Wiedererlernens, der Wiederaneignung und der Auseinandersetzung mit seiner eigenen Herkunft. Sherman hat sich in intensiver, langer Recherche mit indigenem Wissen rund um Pflanzen und Küche beschäftigt. Seine indigene Küche ist also auch eine Rückeroberung der Traditionen und von altem Wissen um Zutaten, Zubereitungsmethoden und besondere Aromen. Ein Rücksturz in die Küche vor der Kolonisierung Amerikas ist sein Buch aber selbstverständlich nicht – das Wort authentisch bemüht Sherman vor allem in Bezug auf die Zutaten. Die Rezepte sind dagegen eher moderne Interpretationen dessen, was man mit diesen Zutaten alles anstellen kann. Bison-Tartar oder Kürbissorbet klingen schon sehr nach heutiger, westlicher Küche, und „Jakobsmuscheln mit einer Drei-Schwestern-Reduktion und vier Heilmitteln“ ist dann schon Fine Dining.
Für wen ist „Der Sioux-Chef“ also jetzt ein geeignetes Kochbuch? Wahrscheinlich für all jene, die sich gerne auf das eine oder andere kulinarische Abenteuer einlassen möchten, vor allem beim Beschaffen der Zutaten. Die Rezepte selbst setzen viel auf Kürbis, Mais und Bohnen und erinnern an das, was man hierzulande vielleicht als herbstliche Küche bezeichnen würde. Nimmt man den Gedanken der Saisonalität wirklich ernst, dann lassen sich in dem Buch aber Rezepte für jede Jahreszeit finden. Dass in Deutschland nicht unbedingt alle Zutaten, die man für die Gerichte braucht, einfach zu beschaffen sind, ist ein kleiner Wermutstropfen, aber immerhin gibt der Koch auch Tipps, wie man Zutaten ersetzen kann. Und selbst wenn das ein oder andere Rezept mangels Zutaten nicht eins zu eins umgesetzt werden kann, inspiriert „Der Sioux-Chef“, sich mit neuen und anderen Zutaten auseinanderzusetzen. Vielleicht auch mit denen, die hier vor der Haustür wachsen.
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