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#Reichtum kann ganz schön belastend sein

Reichtum kann ganz schön belastend sein

In einer verrätselten Darstellung der sieben Todsünden von Pieter Bruegel dem Älteren sitzt Frau Avaritia, die Habgier oder der Geiz, im Mittelpunkt des Stiches wie eine Madonna auf dem Thron. Trotz fast platzender Geldsäcke neben sich zählt Avaritia voll seliger Hingabe einzelne Münzen in ihrem Schoß, während im Hintergrund ein ausgemergelter nackter Mensch von einer riesigen Schere entzweigeschnitten wird. Avaritia blickt verklärt, wie die Gottesmutter auf ihr Neugeborenes.

In der Umdeutung des ikonographischen Bildes steckt eine Parodie oder die Perversion des Erlösergedankens. Angebetet werden Mammon und Ausbeutung. Was hier angehäuft wird, ist dort weggenommen worden. Gier ist nicht lässlich, sondern sündhafte Selbstvergöttlichung. Die Radikalität dieser Vorstellung von Sünde mag heutzutage verloren gegangen sein, wirkungslos ist sie nicht. Sie gehört zu den Grundlagen unseres zivilisierten Zusammenlebens. Sogar zu denen des „Tatorts“. Unzählige Folgen setzen auf (finanzielle) Gier als Verbrechensmotiv, halten sich meistens für soziologische Kritik des entfesselten Kapitalismus, seltener für eine moralische Angelegenheit, bauen ihre Geschichten aber oft auf den Motiven, die ihnen lebenspraktisch zurechtgeschliffene Gehalte des christlichen Glaubens zur Verfügung stellen. Selbst in Dortmund, einer Stadt, die trotz einstiger katholischer Tradition vieler Bergleute nicht für übermäßige Frömmigkeit bekannt ist.

Wer hat, der hat hier vor allem eins: Verlustpanik

Zum Ende des neuen Dortmunder „Tatorts: Gier und Angst“ wird einer der Prot­agonisten, ein gefallener Topmanager, ein weißes Stoffbündel mit Scheinen an sich gedrückt wie ein lebendes Neugeborenes, als hakenschlagender Hase übers Feld fliehen, der den Igeln Kommissaren in Panik „meins, meins“ zuruft. Bankvorstand Mehring (André Jung) wird Kommissar Faber (Jörg Hartmann) seinen esoterischen Überbau fürs Geldscheffeln mit Buddha und Energiesteinunterstützung privatphilosophisch zurechterklärt haben wollen. Vermögensverwalter Beck (Heiko Pinkowski) wird seinen „Fullservice“ erläutert haben. Neben der Anlage des Geldes seiner Klienten kümmert er sich mit seinem Securityservice um die Angst der Reichsten. Denn wer hat, der hat hier vor allem eins: Verlustpanik. Und Misstrauen, das aus Vermögenden Nervenwracks macht wie aus dem Erben Max von Alfeld (Matthias Bundschuh). Weil er Geld zwar gern hat, aber noch lieber den finanznaiven Kulturconnaisseur spielt.

Insgesamt werden die emotionalen Zusammenhänge des Geldvermehrens von Sönke Lars Neuwöhner (Buch) und Martin Eigler (Regie und Buch) stimmig entwickelt, auch wenn einige der Figuren im Manager- und Bankermilieu nicht viel mehr als Aufsager sind. Anders ist das bei dem Topverdiener Josef Micklitza (Stefan Rudolf), der bei strömendem Regen nachts auf dem Polizeirevier erscheint, um einen Toten auf dem Dortmunder Hafengelände zu melden. Der Erschossene, Kundenbetreuer der Vermögensverwaltung, hatte mutmaßlich brisante Informationen zu Fonds, die Mehrings Bank aufgelegt und Becks Service eingesetzt hatte. Kein sonderlich originelles „Tatort“-Motiv. Einige Drehs der Geschichte aber sind eigenwillig und bedenkenswert.

Vor allem überzeugt die Kamera von Benjamin Dernbecher und das Szenenbild von Jutta Freyer. Es geht einmal von oben in den Himmel nach unten in die Hölle, und von der Sinnesverwirrung ins klare, natürliche Licht. Und es geht darum, was Vertrauen und Misstrauen für das Dortmunder Ermittlerquartett aus Faber, Bönisch (Anna Schudt), Herzog (Stefanie Reinsperger) und Pawlak (Rick Okon) bedeuten. Pawlak erkennt bei der Suche nach dem untergetauchten Micklitza in der Wohnung des Bruders und Clubbesitzers Micki (Sascha Gersak) seine verschwundene Ehefrau Ella (Anke Retzlaff). Statt Pawlak vom Fall abzuziehen, lässt Faber den Kollegen beschatten. Bönisch, die ein stalkender Kollege nervt, hält davon nichts, genau wie Herzog. Uneins zwar, aber konzentriert ermittelnd, bewegt man sich auf die Lösung zu.

Im Himmel, in den scheintransparenten Glasbüros der Vermögensverwaltung für Schwerreiche, residiert der Betrug und der Schein wie unter der Erde, in den Dortmunder Nachtclubuntiefen von Mickis Kelleretablissement, in denen statt Geld Drogen das Ich entgrenzen sollen. In einem verlassenen Schwimmbad beginnt für Pawlak unter zwangsverabreichten Drogen die Realität rauschhaft zu tanzen, fast wie im Fegefeuer. Am Ende, auf offenem Feld, sieht das gerettete Bündel Geld in den Händen eines Täters nur noch erbärmlich aus. Wie Papier mit Windeln. Die moralische Rechtfertigung der Habgier ist bloßer Wahn, mit dem unvollkommenen Pragmatismus der Dortmunder Polizisten kommt man zur Realität und zum Ziel. Auch solche Auflösung mag nicht neu sein im „Tatort“, aber besonders Hartmann und Schudt auf der einen, Retzlaff, Gersak und Rudolf auf der anderen Seite des Gesetzes machen diesen „Tatort“ sehenswert.

Der Tatort: Gier und Angst läuft am Sonntag um 20.15 Uhr im Ersten.

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