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#Nicht mit diesem Präsidenten

Nicht mit diesem Präsidenten

Berat Albayrak ist nicht irgendein türkischer Minister. Jahrelang war der in der von Öl- und Gasimporten abhängigen aufstrebenden Volkswirtschaft für die Energiepolitik zuständig, seit dem Jahr 2018 verantwortet er die Finanzpolitik. Dass er das alles mit Erfolg getan hätte, lässt sich schwerlich behaupten.

Andreas Mihm

Die Energieimporte tragen trotz Preisverfalls immer noch dazu bei, dass die Leistungsbilanz des Landes tief rot leuchtet, in der Finanzpolitik ist der Kurs der Lira ein Ausweis des Versagens. Ihr Kursverfall wurde nicht gestoppt, er hat sich nach einer kurzen Erholungsphase nach der Krise 2018 noch einmal beschleunigt.

Doch das alles hat dem Minister bisher nicht geschadet, ist er doch seit dem Jahr 2004 mit Präsident Recep Tayyip Erdogan durch die Heirat einer dessen Töchter familiär verbandelt. Manche glaubten, Erdogan wolle den smarten zweiundvierzigjährigen Bartträger zu seinem Nachfolger aufbauen. Daraus dürfte nun nichts mehr werden.

Machtkampf im Palast?

Denn Albayrak hat hingeschmissen. Nicht allein die Tatsache, dass er seinen Rücktritt am Sonntagabend bekannt gab, hat die Türkei überrascht. Mindestens ebenso war es die Art und Weise, wie er der Öffentlichkeit die Botschaft überbrachte: Auf dem sonst gerne für Tierpostings und Foodfotos genutzten Internetdienst Instagram.

Schwer vorstellbar ist auch, dass Erdogan goutiert, dass der Schwiegersohn den Abtritt damit begründete, sich mehr um die Familie kümmern zu wollen. Hatte der Präsident die politische Führung der Türkei zu einer Art Familiengeschäft gemacht, was mehr als weniger Engagement des Hoffnungsträgers nötig gemacht hätte?

Womöglich liegt aber gerade darin der Grund für Albayraks demonstrativen Abgang, dass er seit Samstag das innerfamiliäre Vertrauen gestört sah. Denn da hatte Erdogan Knall auf Fall den Zentralbank-Präsidenten Murat Uysal in die Wüste geschickt. Sein Nachfolger, es ist der vierte binnen fünf Jahren, wurde Erdogans langjähriger Weggefährte Naci Abgal, der Vorgänger Albayraks als Finanzminister – und zuletzt Chef des Amtes für Haushalt und Strategie im Präsidentenpalast.

Abgal, so hieß es schnell, sei ein Kritiker Albayraks. Das lässt die Deutung zu, dass in Erdogans Regierungssitz ein veritabler Machtkampf stattfand. Und dass Albayrak diesen verlor.

Auf Befehl und Gehorsam ausgerichtet

Die Liste der politischen Probleme Erdogans wird damit noch einmal länger. Und ob die am Montag beobachtet stärkste Erholung der Lira seit 20 Monaten an den Devisenmärkten mehr als ein hell leuchtendes Strohfeuer ist, bleibt höchst fraglich.

Denn an den Gründen für das tiefsitzende Misstrauen gegen Erdogan und seine Politik hat sich wenig geändert, im Gegenteil: Die Ernennung eines ihm nahestehenden Politikers zum Gouverneur der kaum mehr auf dem Papier unabhängigen Notenbank zeigt, dass die Chancen eher schlecht stehen, dass das passiert, was der neue Notenbankchef Abgal am Montag verbreitete – er sich allem voran um die Preisstabilität kümmern wolle.

Hatte Erdogan den Vorgänger nach nicht einmal 16 Monaten im Amt nicht gerade deshalb rausgeworfen, weil der die Zinsen anhob, um die hohe Teuerungsrate zu bekämpfen? Abgals Vorschusslorbeeren fallen jedenfalls schütter aus.

Wie in jeder auf Befehl und Gehorsam ausgerichteten Präsidialregierung, so fallen auch in der sich mehr und mehr zur Kommandowirtschaft entwickelnden Türkei Fehlschläge auf den Kommandanten zurück. Wachsende Arbeitslosigkeit und ungebremste Inflation machen den Leuten zu schaffen.

Wer kann, der flieht in Sachwerte: Immobilien- und Autokäufe boomen in dem Land, nie hatten Privatleute so viel Geld in Gold und ausländischer Währung angelegt. Was ist das, wenn kein Misstrauensvotum gegen Erdogan und dessen Leute?

Von Staats wegen niedrige Zinsen helfen so auch nicht dem Wirtschaftsaufschwung, sondern erschüttern nachhaltig die finanzielle Tragfähigkeit der kreditgebenden Staatsbanken. Wie sollen in Lira abrechnende Unternehmen auf Dauer ihre in Dollar auf Euro lautenden Schuld, die mit jedem Tag größer wird, abtragen?

Längst verspielt hat die Türkei ihre Glaubwürdigkeit an den Devisenmärkten. Keine Schwellenländerwährung hat in diesem Jahr schlechter geschnitten als die Lira. Das lässt das Argument dumpf und hohl erscheinen, der Grund für die Währungskrise sei die Corona-Pandemie. Internationale Kreditgebern muss der Staat neun und mehr Prozent Zinsen zahlen.

Die Devisenreserven schrumpfen

Im Gegenzug schrumpfen die Devisenreserven des Staates. Der hat nach Berechnungen von Bankanalysten allein in diesem Jahr 100 Milliarden Dollar für die vergebliche Stützung der Währung verpulvert. Was man damit alles hätte anfangen können.

Internationales Vertrauen hat Erdogan zudem durch sein oft innenpolitisch begründetes selbstherrliches Auftreten verspielt, mit dem immer neuen Anfachen internationaler Konflikte – ob mit Gewalt wie im Syrien und Libyen, aktuell dem Kaukasus, oder nur unter deren Androhung wie bei der Gassuche im Mittelmeer. Aus Amerika drohen neue Wirtschaftssanktionen, die EU berät über solche. Dabei wissen gerade die Europäer um die Bedeutung der Türkei, nicht nur, aber auch als sicheren Hafen für Millionen Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien.

Sollte es zu der jeden Tag näher rückenden Finanzkrise kommen und doch der Erdogan verhasste Internationale Währungsfonds einspringen müssen, so stünden sie parat. So wie sie schon jetzt über Entwicklungsbanken wie die EBRD immer neues Geld zur Stabilisierung in die taumelnde türkischen Wirtschaft zahlen.

Doch es geht längst nicht um die Wirtschaft allein: Dieser Präsident hat sich das Land untertan gemacht. Die Medien sind ihm weitgehend hörig, die Justiz fällt Urteile nach dem Gusto des Präsidentenpalastes, die Menschenrechtslage ist kritisch, staatliche Institutionen abhängig.

Was die Türkei braucht, sind keine Personalwechsel auf subalternen Posten, sondern ein grundlegender Politikwechsel. Aber der wird mit diesem Präsidenten schwerlich möglich sein.

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