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#Nichts war härter als „Bambi“

„Nichts war härter als „Bambi““

Mit 59 Jahren kann er das schon mal machen. François Truffaut war schließlich erst 43 Jahre alt, als er 1975 „Les films de ma vie“ veröffentlichte. Und Quentin Tarantino hat in seinem Leben sicher mehr Filme gesehen als Truffaut. Der Titel „Cinema Speculation“ passt zu Tarantinos Buch jedoch nur so halb, weil lediglich in einem einzigen Kapitel spekuliert wird: Was wäre gewesen, wenn 1976 nicht Martin Scorsese, sondern Brian De Palma „Taxi Driver“ gemacht hätte, der Paul Schraders Drehbuch auch gelesen hatte?

Peter Körte

Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

Tarantinos Gedankenspiel hierzu ist unbedingt lesenswert, weil er die Arbeiten beider Regisseure genau kennt. Und einem nebenbei auch noch erklärt, dass eine Rachegeschichte wie „Taxi Driver“ nur möglich wurde, weil es Mitte der Siebzigerjahre auf einmal jede Menge solcher Filme gab, die Tarantino natürlich alle gesehen hat, weshalb er in seiner unnachahmlichen Art bilanziert: „In den Siebzigern waren Rachefilme das, was einem Wohlfühlfilm noch am nächsten kam.“

Tarantinos Buch, sein zweites nach dem Roman „Es war einmal in Hollywood“, ist nun aber nicht bloß eine Filmgeschichte der Siebziger und Achtziger, ein Ausbreiten von Vorlieben und Idiosynkrasien. Es ist, vor allem im ersten Drittel, ein unklassischer Bildungsroman.

Schon mit acht Jahren in „Dirty Harry“

Er erzählt davon, wie ein Junge, der in den Flatlands von Los Angeles aufwuchs, schon früh dem Kino verfiel. Mutter und Stiefvater nahmen ihn mit. Ob er den Film mochte, ob er womöglich noch zu jung war, spielte keine Rolle. So kam er mit acht Jahren im Tiffany am Sunset Strip zu seiner ersten Doppelvorstellung. Bei „Dirty Harry“ (1971), „Der Pate“ (1972) oder „The Getaway“ (1972) war er nicht viel älter.

Für die Gleichaltrigen, die all das nicht sehen durften, war er cool. Im Rückblick, so sagt er heute, sei er zwar manchmal verstört gewesen, habe aber meist verstanden, was passierte. „Bambi“ sei am härtesten gewesen, nicht so sehr wegen des Todes der Mutter, sondern wegen der „so unerwarteten Wendung ins Tragische“. Die Heimfahrten im Auto nach der Vorstellung gehören zu „meinen schönsten Erinnerungen“, schreibt Tarantino, weil die Eltern so sachkundig und selbstverständlich über das Gesehene sprachen.

Cover zu Tarantinos neuem Buch „Cinema Speculation“.


Cover zu Tarantinos neuem Buch „Cinema Speculation“.
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Bild: Kiepenheuer & Witsch

Später fuhr die Mutter den Heranwachsenden samstag- oder sonntagnachmittags ins Kino und holte ihn erst vier bis fünf Stunden später wieder ab. Dass er dann in einer Videothek jobbte, bevor und während er erste Drehbücher schrieb, statt eine Filmschule zu besuchen, ist nur konsequent.

Die Kinobesuche müssen für den Pubertierenden so etwas wie eine permanente Wunscherfüllung gewesen sein. Seine Bildung bestand nicht bloß in der schieren Menge der angeschauten Filme, sondern in der Art, sie zu schauen und dabei zu lernen, wie sie miteinander sprachen. So wurden sie zu einem Teil seines Lebens, und später ließ sich dann kaum unterscheiden, ob etwas erlebt war oder auf der Leinwand gesehen.

Zugleich war dieses Kino der Siebzigerjahre, in dem Tarantino aufwuchs, ungeheuer reich und voller Umbrüche. Viel aufregender als das der Achtziger, über die Tarantino schreibt: „Nach den Siebzigern schien der Film wieder den Beschränkungen der Fünfziger zu unterliegen.“ In seinen Urteilen ist er jedoch angenehm wenig nostalgisch.

Er feiert nicht einfach, wie alle, New Hollywood; er analysiert, warum bestimmte Filme ihr Publikum nicht erreichten, warum die Anti-Establishment-Regisseure und ihre düstere Weltsicht von den sogenannten „Movie Brats“, den Spielbergs oder Bogdanovichs, verdrängt wurden; und warum ein B-Movie-Mogul wie Roger Corman so prägend war für die jungen ehrgeizigen Regisseure.

New Hollywood war nicht nur toll

Für Tarantino ist die Sache glasklar: weil „die Hippieregisseure nicht begreifen konnten oder wollten, dass manche Leute Filme über Riesenameisen schauen und sie ernst nehmen – die Ameisen und die Filme“. Seine eigene Zuneigung zum Kino ist viel zu unersättlich, als dass er sich auf eine Richtung oder ein Genre festlegen ließe. Man merkt das auch am Aufbau des Buches.

Jede Kapitelüberschrift nennt einen Filmtitel und dessen Erscheinungsjahr, doch die Zahl der Filme, die in einem Kapitel auch noch vorkommen, ist enorm. Tarantinos Abschweifungen sind fast immer lohnend, weil er zum Beispiel sehr nuanciert beschreiben kann, worin sich die Gewaltdarstellung in den Filmen von Sam Peckinpah und Don Siegel (dem Regisseur des ersten „Dirty Harry“) voneinander unterscheidet.

Angesichts dieser Fülle wäre ein Film- und Personenregister nötig gewesen. Sein Fehlen hat einen simplen Grund: Tarantino möchte verhindern, dass sich die Leser ihre Lieblingsfilme herauspicken. Stattdessen sollen wir, wie er im Vorwort an uns appelliert, brav von vorne nach hinten lesen, weil die Kapitel aufeinander aufbauten. Er weiß selber, dass es seltsam ist, wenn diese Bitte von einem Mann kommt, der in „Pulp Fiction“ mit der linearen Erzählweise Achterbahn fuhr.

Es wird ohnehin jeder so lesen, wie es ihm gefällt. Es ist auch ein Buch für Leute, die schon den einen oder anderen der erwähnten Filme kennen; ohne diese Kenntnis könnte die Lektüre ein wenig frustrierend werden, weil selbst die lebhafte Schilderung nicht die Seherfahrung ersetzen kann. Und während man beim Lesen Lust bekommt, all die Filme zu sehen, die man noch nicht kennt, geht einem durch den Kopf, dass es nach zwei Büchern doch auch mal wieder Zeit wäre für einen Tarantino-Film.

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