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#Nie entschuldigen, immer angreifen

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Nie entschuldigen, immer angreifen

Politisch gespalten waren die Vereinigten Staaten immer schon. Allerdings scheint sich der Graben zwischen Demokraten und Republikanern mittlerweile bis zur Erdmitte vertieft zu haben. Was das für eine Gesellschaft bedeutet, zeigt die auf Arte ausgestrahlte fünfteilige ZDF-Dokumentation „Aus der Traum?“ von Jan Tenhaven, Jens Strohschneider und Katja Döhne, für die Anhänger der einen wie der anderen Seite über das gesamte Jahr 2020 hinweg begleitet wurden. Da ist etwa Ameena Matthews, gläubige Tochter eines Gangmitglieds in der Southside von Chicago, die als Psychologin gegen Waffengewalt kämpft, aber mit ihrer Kandidatur für den Kongress scheitert. Auf der anderen Seite versteigern Trump-Unterstützer zur Finanzierung des Wahlkampfs halbautomatische Sturmgewehre, während der evangelikale Pastor Charles Kaighen Reden gegen den Humanismus schwingt, weil dort der Mensch und nicht Gott im Mittelpunkt stehe.

Das ist so informativ wie bedrückend, aber es ähnelt vielen Reportagen über die „divided nation“. Eine gute Abwechslung bietet die „Frontline“-Dokumentation „Amerika hat die Wahl“ des amerikanischen Sender-Netzwerks PBS (Public Broadcasting Service). Anders als in vielen deutschen Beiträgen wird Donald Trump nicht als dumm diskreditiert; er wirkt umso gefährlicher. Interessant ist die aktuelle Ausgabe vor allem im Hinblick auf Joe Bidens von Rückzügen geprägte politische Karriere. Wir sehen, wie der Herausforderer über schwere Schicksalsschläge in die Rolle hineinwuchs, deren Stunde gekommen scheint: die des Trösters.

Wer hatte die empathielosere Mutter?

Regisseur Michael Kirk und seine Mitarbeiter Jim Gilmore und Gabrielle Schonder wissen, dass am 3. November nicht über Wahlprogramme abgestimmt wird, sondern – so die abschließenden Worte – über Charakter, Integrität und Temperament der Kandidaten. Es geht daher um möglichst komplexe Persönlichkeitsanalysen.

Trump wie Biden, so beginnt der Erzählbogen, seien siegreich aus einer frühen Krise hervorgegangen. Deren Bewältigung habe sie geformt. Dass die allgegenwärtige Nichte Mary Trump wie der Trump-Experte der „Washington Post“, Marc Fisher, das angeblich gestörte Verhältnis des Präsidenten zu Frauen hobbypsychologisch auf die Erfahrung zurückführen, mit zwei Jahren von der Mutter quasi verlassen worden zu sein, darf vernachlässigt werden.

Dass der recht empathielose Vater, ein Patriarch alter Schule, großen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung hatte, scheint jedoch außer Frage zu stehen: Donald musste seinem Schatten erst entwachsen und tat dies durch Übererfüllung der Erwartungen an ihn als „Killer“. Auf der Militärschule habe er gelernt, rücksichtslos zu werden. Joe Biden wiederum besiegte eine motorische Schwäche, starkes Stottern im Kindesalter. Auf seine Mutter konnte er sich dabei verlassen, wie Bidens Schwester erzählt: Sie habe einer Lehrerin in der Nonnenschule, die ihren stotternden Sohn vor der Klasse gedemütigt hatte, die Hölle heißgemacht.

Zwei Mentoren Trumps werden ausgemacht: Der demokratische Rechtsanwalt und Strippenzieher Roy Cohn half dem jungen Immobilien-Investor in New York und brachte ihm laut Ken Auletta vom „New Yorker“ bei, sich nie zu entschuldigen, sondern immer anzugreifen. Der andere Einfluss wird Pastor Norman Vincent Peale zugeschrieben, der eine egozentrische Variante des positiven Denkens propagierte.

Aus beidem habe sich Trump seine Strategie zusammengebaut: den Glauben an sich selbst über alles zu stellen, jeden Misserfolg zu leugnen und Kritik durch Gegenangriffe zu parieren. Als die Rolle des Immobilienkönigs nach vielen Insolvenzen nicht aufrechtzuhalten war, wandelte er sich in eine Fernsehfigur, die diesen Erfolg spielte und es damit bis in die Politik schaffte. Erst ein Virus, das sich von Selbstdarstellungen nicht beeindrucken lässt, so die von John Bolton ausgesprochene These des Films, bremste Trump aus. Dass er von seiner Persönlichkeitsstruktur her eine Wahlniederlage gar nicht akzeptieren könnte, scheint sicher.

Joe Biden, der talentierte Politiker, ist endlich dort, wo er immer hinwollte. Mehrfach hatte er sich zuvor durch eigene Fehler aus dem Rennen um die Präsidentschaftskandidatur genommen. Einmal plagiierte Biden die emotionale Rede des britischen Labour-Chefs Neil Kinnock, ein anderes Mal sagte ausgerechnet er etwas zumindest Missverständliches über Obama. Die Dokumentation führt vor, dass er seine Fehler stets öffentlich eingestand, um es besser zu machen. Und er fand sich nicht nur ab mit der Rolle des Vizepräsidenten unter Obama. Sie wurde zu seinem größten Triumph. Hinzu kommt ein Nimbus als tragischer Held. Bei einem Autounfall verlor Biden 1972 Frau und Tochter, aber er gab nicht auf, weder die Politik noch seine Rolle als Vater. Im Jahr 2015 starb sein geliebter Sohn Joseph an einem Hirntumor. Das hat ihn gezeichnet, aber nicht gebrochen. Wie der Journalist Wesley Lowery es ausdrückt: Wenn Biden Mitgefühl ausdrücke, dann wisse man, dass die Tränen echt seien. Das könnte reichen in einer Gesellschaft, die sich nach Ehrlichkeit, Demut und Würde in der Politik sehnt.

Amerika hat die Wahl läuft um 20.15 Uhr auf Arte. Es folgen die ersten drei Episoden der ZDF-Doku Aus der Traum?

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