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Nur ich und du

Der Festakt zur deutschen Einheit in Potsdam hat gerade wieder gezeigt, dass man sich für ostdeutsche Lieder aus der Zeit der Teilung nur noch wenig interessiert, selbst wenn es geradezu zwingend erschiene, sich an einige zu erinnern. Der ausstrahlende Sender des Festakts, der RBB, hätte, um diesen ein bisschen historischer und interessanter zu gestalten, sogar auf eine eigene Veröffentlichung zurückgreifen können. Das „Radio Eins“ des RBB hat nämlich im vergangenen Jahr ein Box-Set mit den „100 besten Ost-Songs“ herausgegeben, das ein Ohrenöffner mit vielen wohl nicht nur für Nachgeborene erstaunlichen Titeln ist. Nun gut, Manfred Krug, Karat und die Puhdys sind vielleicht doch noch manchen bekannt – aber wie steht es mit der Renft-Combo, der Horst-Krüger-Band oder der Punkband Schleim-Keim?

Jan Wiele

Die Sammlung offenbart noch etwas: Dass man von heute aus die Songs fast automatisch daraufhin befragt, wie brav oder wie kritisch sie waren. Aber das ist ungerecht, weil es der Musik keinerlei ästhetischen Eigenwert mehr zugesteht. Ist ein Song aus der DDR also nur in der Hinsicht interessant, welche politischen Inhalte er transportiert oder welche er verschweigt? Ist ein (scheinbar) unpolitischer Song schon als systembejahend zu charakterisieren, nur weil er das System nicht – so weit das denn unter der Zensur möglich war – kritisiert?

Der Sanddorn sticht

Es wird beim Nachhören schnell deutlich, dass viele Ostsongs zumindest eine Dimension des vagen Widerstandes, des Eskapismus aufweisen. Wenn man etwa den von Michael Heubach geschriebenen Text des Schlagers „Du hast den Farbfilm vergessen“, den Nina Hagen 1975 mit der Band Automobil sang, ein bisschen aufmerksamer liest, vielleicht auch mit dem Wissen über die Zustände auf der Aussteigerinsel Hiddensee, die durch Lutz Seilers Bestseller „Kruso“ heute vielen bekannt sind, dann könnte man auch in dem Farbfilm-Lied, so vordergründig banal es klingt, schon eine Fluchtutopie hören: „Hoch stand der Sanddorn am Strand von Hiddensee / Micha, mein Micha, und alles tat so weh.“

Dass man mit gesungenen Fluchtgedanken leicht zu weit gehen konnte, zeigt hingegen der Fall von Renft: Eben noch mit dem Segen des Komitees für Unterhaltungskunst der DDR zum Aushängeschild gemacht, wurde die Gruppe bald darauf plötzlich verboten, weil sie eine „Ballade vom kleinen Otto“ sang, die eine gescheiterte Republikflucht mit anschließendem Suizid beschreibt. Das war 1974. Zehn Jahre später, Mitte der Achtziger, sahen die Welt und die DDR schon anders aus. So war es möglich, dass 1989 sogar der Song „Verlorene Kinder“ der Band Silly offiziell erschien, in dem es hieß: „In die warmen Länder würden sie so gerne fliehn / Die verlornen Kinder in den Straßen von Berlin“.

Familie Silly

Die Lieder von Silly aber scheinen ein besonderer Fall zu sein, den wir in dieser Folge der Pop-Anthologie etwas genauer anschauen wollen – weil sie schillern und ganz ambivalent auslegbar sind. Als Silly sich 1978 in Ostberlin gründen wollte, soll die zuständige Aufsichtsbehörde nach einer Anekdote verfügt haben, den als subversiv empfundenen Bandnamen nur in der Gestalt der „Familie Silly“ zuzulassen. Er wurde dann aber doch in Silly geändert, und wenige Jahre später war die Formation um die flamboyante Sängerin Tamara Danz eine der angesagtesten, wenn nicht die angesagteste Popgruppe der DDR. Die Texte stammten teils von Danz, teils von dem Songschreiber Werner Karma, der viele bekannte Liedtexte der DDR geschrieben hat, darunter auch die von Holger Biege. Silly hatten – im Gegensatz, sagen wir, zu den Puhdys oder City – etwas Weltläufiges, sie waren musikalisch wie äußerlich von der New Wave inspiriert. Als Höhepunkt ihres Schaffens gilt das 1986 erschienene  Album mit dem französischen Titel „Bataillon d’Amour“. Man könnte es vielleicht als Konzeptalbum der ums Überleben kämpfenden Liebe bezeichnen.

Mehrere Stücke handeln von Paaren zwischen Anziehung und Abstoßung, schon die Titel „Panther im Sprung“ oder „Josef und Maria“ fächern sehr unterschiedliche Arten der Beziehung auf. Im Lied „Bataillon d‘ Amour“ geht es um sehr junges Begehren: Ein Mädchen, das „kaum 13 Jahr“ alt ist, wird auf der Straße von einem Jungen berührt und hat „schon Nacht im Haar“. Das Setting dafür ist zumeist die „kalte Großstadt“, die hier aber nicht als Spezifikum der DDR, sondern der Moderne an sich ausgestellt wird: das eben wirkt weltläufig, auch in den Industrial-Klängen und Synthesizer-Einlagen des Albums.

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