Wissenschaft

#Ostseefisch in der Energiekrise

Der einstige „Brotfisch“ der Ostsee im Visier: Forscher haben das Rätsel gelöst, warum sich der Dorschbestand trotz reduziertem Fischereidruck kaum erholen kann. Durch Überdüngung und Klimawandel verursachte Blaualgenblüten führen demnach zu einer Verlängerung der Nahrungskette, wodurch bei den Fischen letztlich weniger Energie ankommt. Internationale Maßnahmen sind nun gefragt, die diesem grundlegenden Problem entgegenwirken, sagen die Wissenschaftler.

Lange Zeit bildete die Ostsee eine scheinbar unerschöpfliche Quelle für Fisch. Doch durch übermäßige Nutzung und weitere Beeinträchtigungen wurden die Bestände einiger Speisefische schließlich überstrapaziert und konnten sich nicht mehr ausreichend regenerieren. Dies galt auch für den Dorsch, der einst die Netze üppig füllte. Um der Bestandskrise entgegenzuwirken, wurden zwar Fangbeschränkungen eingeführt. Doch überraschenderweise zeigte dies wenig Wirkung: Trotz des historisch niedrigen Fischereidrucks erholen sich die Dorschbestände nicht. Bislang gab es dafür keine schlüssige Erklärung. Die Forschenden um Markus Steinkopf vom Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) sind im Rahmen ihrer Studie nun der Frage nachgegangen, inwieweit Veränderungen im Nahrungsnetz in der Ostsee dabei eine Rolle spielen.

Wie das Team erklärt, bildet das sogenannte Phytoplankton die Grundlage der marinen Nahrungskette: Die winzigen Algen verwandeln durch Photosynthese Kohlendioxid in energiereiche Substanzen, die in ihrer Biomasse eingelagert werden. Die Algen werden anschließend von kleinen Krebstierchen gefressen, die wiederum anderen Lebewesen als Nahrung dienen – bis hin zu unterschiedlichen Arten von Fischen und Fischfressern. Letztlich wird in der Nahrungskette somit stets die Energie weitergereicht, die primär durch die Photosynthese-Aktivität des Phytoplanktons gewonnen wurde. Jedes Glied verbraucht dabei allerdings einen erheblichen Teil der Energie. Das bedeutet wiederum: Je mehr Ebenen ein Nahrungsnetz hat, umso weniger Energie kommt bei den Lebewesen mit den höchsten Positionen an – wie etwa bei den Raubfischen.

Stören Blaualgen das Nahrungsnetz?

„Das Phytoplankton der zentralen Ostsee hat sich in den letzten drei Jahrzehnten stark verändert. Zunehmend wird es im Sommer von massenhaft auftretenden fadenförmigen Cyanobakterien dominiert. Das Phänomen ist als Blaualgenblüten bekannt“, sagt Steinkopf. Als Ursachen gelten eine zu hohe Zufuhr der Düngesubstanz Phosphat sowie steigende Wassertemperaturen im Zuge des Klimawandels. Diese Faktoren begünstigen speziell das Wachstum von Blaualgen gegenüber anderem Phytoplankton.

Großflächige Blaualgenblüten in der zentralen Ostsee sind sogar aus dem Weltall sichtbar. © esa / IOW

Inwieweit dies zu Veränderungen in der Nahrungskette führt, hat das Team nun bei den Dorschen untersucht. Sie bestimmten dazu, welche Position im Nahrungsnetz Fische einnehmen, die in der zentralen Ostsee leben. Die Ergebnisse verglichen sie dann mit Dorschen aus der westlichen Ostsee, wo Blaualgenblüten keine Rolle spielen.

Um die Nahrungsnetzposition zu identifizieren, nutzten die Forschenden das Verfahren der Stickstoff-Isotopenanalyse. Bestimmte Muster in den Ergebnissen ermöglichen dabei Rückflüsse darauf, welchen Weg die Nahrung der Fische durch die Nahrungskette genommen hat. Wie die Forschenden berichten, zeigte sich nun: In der Blaualgen-belasteten zentralen Ostsee basiert die Ernährung der Dorsche auf einer längeren Nahrungskette als in der westlichen Ostsee. Dies bedeutet wiederum, dass bei den Ostdorschen weniger Energie ankommt, die für das Wachstum und die Vitalität der Fische wichtig ist.

Energieverlust durch verlängerte Nahrungskette

Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Unterschied auf eine Verschiebung in der Nahrungskette im Zuge der vermehrten Blaualgenblüten zurückzuführen ist. „Aufgrund ihrer Form und Größe können fädige Blaualgen nicht von den kleinen Krebsen des Zooplanktons gefressen werden, die in marinen Nahrungsnetzen sonst die nächste Position nach dem Phytoplankton einnehmen“, sagt Steinkopf. Co-Autorin Natalie Loick-Wilde vom IOW führt dazu weiter aus: „In den Blaualgengebieten stellt sich das Zooplankton deshalb um. Statt sich vegetarisch zu ernähren, frisst es Mikroben, die sich von Ausscheidungen oder Abbauprodukten der Blaualgen ernähren, wenn die Blüten absterben. Damit entsteht eine komplette zusätzliche Nahrungsnetzebene, die zwangsläufig zu hohem Energieverlust bei den Tieren auf nachgeschalteten Nahrungsnetzpositionen führt. Wir konnten diese Nahrungsnetzverlängerung nun erstmals direkt messen und eindeutig dem Blaualgen-geprägten Nahrungsnetz zuordnen“, sagt Loick-Wilde.
Möglicherweise weitreichende Bedeutung

Doch was bedeutet dies nun für die Bemühungen, die Entwicklung der Dorschbestände günstig zu beeinflussen? „Die Energiekrise beim Ostdorsch zeigt, dass Einschränkungen bei der Fischerei für eine Bestandserholung allein nicht mehr ausreichen. Vielmehr muss das Nahrungsnetz an sich rehabilitiert werden. Das gelingt aber nur, wenn man länderübergreifend alle Möglichkeiten ausschöpft, um die Überdüngung der Ostsee in den Griff zu bekommen“, sagt Steinkopf. „Die Studie lässt auch vermuten, dass Nahrungsnetzverlängerungen nicht nur für die Ostsee relevant sind, sondern sich zu einem Problem globaler Natur entwickeln werden, da der Klimawandel schädliche Algenblüten und viele weitere Stressoren für Nahrungsnetze verstärkt“, sagt der Meeresbiologe abschließend.

Quelle: Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde, Fachartikel: Ecology and Evolution, doi: 10.1002/ece3.11048

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