Goldene Palme für Jafar Panahi

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Die Jury von Cannes hat mit ihren Preisen mutiges Kino ausgezeichnet, das in verworrenen politischen Zeiten klare Botschaften setzt: Gewinner des Festivals ist der iranische Regisseur Jafar Panahi, der für seinen Film „It Was Just an Accident“ die Goldene Palme erhielt. Panahi, dem die iranische Regierung ab 2010 die Ausreise verboten hatte, war es zum ersten Mal seit 15 Jahren gelungen, selbst zum Festival zu kommen.
Erst vor zwei Jahren entließ man ihn aus dem Gefängnis, nachdem er in einen Hungerstreik getreten war. In Cannes erzählte er vor Journalisten von seinen Haftbedingungen: „Meine Zelle war keine vier Quadratmeter groß. Auf die Toilette gehen ließ man mich nur zwei Mal pro Tag und für den Weg dorthin wurden mir die Augen verbunden.“ Er sei permanent verhört worden, manchmal bis zu acht Stunden täglich.
All diese Erfahrungen flossen in seinen neuen Film ein. In „It Was Just an Accident” glaubt ein Automechaniker, er erkenne in einem Familienvater, dessen Kombi liegen geblieben ist, den Mann wieder, der ihn im Gefängnis gefoltert hat. Kurzerhand entführt er ihn und bringt den Gefangenen zu anderen ehemaligen Häftlingen. Auf dem grotesken Roadtrip finden sich kurze Zeit später ein Brautpaar, eine Fotografin und deren hitzköpfiger Exfreund in dem Lieferwagen mit ihrem mutmaßlichen Peiniger wieder. Panahi exerziert politische und moralische Fragen durch: Kann man jemanden vergeben, dessen Taten einem noch immer Albträume bereiten? Oder sollte man sich mit den gleichen Methoden rächen, die der Peiniger angewendet hat? Begibt man sich damit aus dem Recht ins Unrecht? Panahis Antwort darauf ist differenziert, ohne auf Entschiedenheit zu verzichten; die Goldene Palme würdigt diesen Filmemacher, der selbst unter dem Arbeitsverbot der Regierung noch heimlich Regie führte, für diese Haltung, wie auch für seine Beharrlichkeit.
Deutsche Regisseurin Schilinski ebenfalls ausgezeichnet
Mit dem großen Preis der Jury wurde der Norweger Joachim Trier für „Sentimental Value“ ausgezeichnet, dem es im Wettbewerb gelang, schwere Themen (Altern, Tod, Norwegens Verbrechen im Zweiten Weltkrieg) mit einem leichten Ton zu verbinden. Den wusste er bereits 2021 anzuschlagen, als sein Film „Der schlimmste Mensch der Welt“ in Wettbewerb stand. Obwohl jener Film bereits als Abschluss der Oslo-Trilogie des Regisseurs galt, kann „Sentimental Value“ ebenfalls dazugezählt werden, als Epilog der lose zusammenhängen Filmfolge. Die Handlung konzentriert sich in weiten Teilen auf ein altes Holzhaus in Norwegens Hauptstadt und schaut auf die Leben verschiedener Generationen einer Familie, die dessen Zimmer bewohnten.
Eine ähnliche Geschichte, aber auf ganz andere Art erzählt der Spielfilm „In die Sonne schauen“ von Mascha Schilinski. Die Berlinerin spannt in ihrem Drama einen Bogen über ein Jahrhundert und verwebt die Schicksale von vier Mädchen und jungen Frauen auf außergewöhnliche Weise miteinander. Handlungsort der Erzählung ist ein Vierseitenhof und dessen Umland in Elbenähe in der Altmark. Schilinski lässt ihren Film zwischen den Zeitebenen springen und stellt so Verbindungen zwischen ihren Protagonistinnen her, die sich alle aus den Erfahrungen von Gewalt und sexueller Belästigung zu befreien suchen. Dafür erhielt die deutsche Filmemacherin den „Preis der Jury“, mit dem ebenfalls der spanische Regisseur Oliver Laxe für sein Drama „Sirât“ ausgezeichnet wurde.

Den Preis als bester Darsteller bekam der Brasilianer Wagner Moura für seine Rollen in Kleber Mendonça Filhos „The Secret Agent“. Der Film erhielt gleich zwei Auszeichnungen, was für Cannes ungewöhnlich ist; auch den Preis für die beste Regie konnte Filho entgegennehmen. In dem Thriller, der 1977 während Brasiliens Militärdiktatur spielt, gibt Wagner Moura einen linken Wissenschaftler, auf den ein Patentgieriger Unternehmer ein Kopfgeld ausgesetzt hat. Filho verwebt die historische Handlung mit einer zweiten Zeitebene, in der Studenten die Geschehnisse aus den Siebzigern zu analysieren versuchen – auch hier tritt Moura (der in der Netflix-Serie „Narcos“ den Drogenboss Pablo Escobar gab und in Alex Garlands „Civil War“ einen Kriegsfotografen spielte) noch einmal auf, als völlig anderer Mensch, und zeigte so in einem Film eindrücklich die Spannweite seines schauspielerischen Könnens.
Als beste Darstellerin zeichnete die Jury die junge Französin Nadia Melliti aus. Regisseurin Hafsia Herzi hatte die Hauptdarstellerin für ihren Film „Die jüngste Tochter“ während einer Pride Parade in Paris gecastet. Melliti spielt Fatima, eine 17-Jährige mit algerischen Wurzeln, der wir beim Finden ihrer Identität zuschauen. Fatima ist lesbisch, beginnt zaghaft zu daten, findet eine Freundin, hat aufgrund ihrer sexuellen Orientierung aber Gewissenbisse, weil sie muslimisch erzogen wurde. Fatima muss viele Widersprüche aushalten, sie ist hart und zugleich zerbrechlich, schüchtern und fordernd, wenn sie etwas gefunden hat, das sie will – Melliti findet zu all dem einen natürlichen Zugang, den sie zu einer überzeugenden Rolle formt.
Die Preisträgerinnen und Preisträger
Die wichtigsten Auszeichnungen:
– Goldene Palme: „It Was Just an Accident“ von Jafar Panahi
– Großer Preis der Jury: „Sentimental Value“ von Joachim Trier
– Preis der Jury: „In die Sonne schauen“ von Mascha Schilinski und „Sirât“ von Oliver Laxe
– Beste Regie: Kleber Mendonça Filho für „O Secreto Agente“
– Spezialpreis der Jury: „Resurrection“ von Bi Gan
– Beste Schauspielerin: Nadia Melliti für „La Petite Dernière“
– Bester Schauspieler: Wagner Moura für „O Secreto Agente“ von Kleber Mendonça Filho
– Bestes Drehbuch: Jean-Pierre und Luc Dardenne für „Jeunes Mères“
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