Nachrichten

#„Die Arbeit an der Ausstellung hat unser Leben gerettet“

Gleich am Eingang hängt ein blutrotes Gemälde, dessen Leinwand an zahlreichen Stellen mit dem Messer geschlitzt wurde. Sofort hat man den Krieg vor Augen, glaubt man jedenfalls. Tatsächlich entstand das Bild am Ende der Sowjetunion, als sich so gut wie alle Gewissheiten auflösten und nicht klar war, was die Zukunft bringen würde: Demokratie? Atomkrieg? Einen neuen Zaren? Das Werk zeige die ganze Verunsicherung des Künstlers und seiner Umgebung, sagt Kuratorin Maria Isserlis. „Natürlich kann man es auch sehr gut auf die heutige Zeit beziehen.“ Sein Maler Andrii Sahaidakovskyi stammt aus Lemberg und ist hierzulande kaum bekannt. Das hat er mit fast allen der fünfzig ukrainischen Künstlerinnen und Künstlern gemeinsam, die in einer neuen Sonderausstellung im Dresdner Albertinum zu sehen sind. Es ist die erste Schau moderner ukrainischer Kunst in Deutschland, der die Macherinnen den Titel „Kaleidoskop der Geschichte(n)“ gegeben haben.

Stefan Locke

Korrespondent für Sachsen und Thüringen mit Sitz in Dresden.

Man kann die Werke – Gemälde, Skulpturen, Fotografien und Videoinstallationen – einfach so auf sich wirken lassen, ihre ganze Bedeutung entfalten sie freilich erst durch ihre Entstehungsgeschichte, die hier miterzählt wird. Denn das vergangene Jahrhundert hält so viele Brüche in der Ukraine bereit, die Künstler und ihr Schaffen zwangsläufig geprägt haben. „Das Thema ist von großer Emotionalität“, sagt Marion Ackermann, Direktorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD). „Wir wissen viel zu wenig über die ukrainische Kunst der Moderne und der Gegenwart, und wir haben auch zu wenig hingeschaut.“ Die Lage Dresdens und ihres Hauses in unmittelbarer Nähe zu Ostmitteleuropa sieht sie denn auch als Verpflichtung, hier Brücken zu bauen. Aus westlicher Sicht sei die Kunst dieser Länder und Regionen noch immer eine Terra incognita. „Die wollen wir ins Bewusstsein holen.“

Da schwebt die Bäuerin wie auf Chagalls Bildern: Tetiana Yablonskas „Samen“ von 1969


Da schwebt die Bäuerin wie auf Chagalls Bildern: Tetiana Yablonskas „Samen“ von 1969
:


Bild: National Art Museum of Ukraine

Da ist zum Beispiel die Malerin Kateryna Bilokur, die in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts lebte und trotz ihres Wunsches, Künstlerin zu werden, nie aus der konservativen und patriarchalischen Umgebung ihres Dorfes herauskam. Ihre Stillleben von Blumen und Früchten jedoch machten zu Sowjetzeiten Furore, sie wurde „Verdiente Volkskünstlerin der Ukrainischen Sowjetrepublik“ und verbrachte dennoch ihre letzten Lebensjahre in bitterer Armut. Die eindrucksvolle Serie „Krim-Snobismus“ des Fotografen Boris Mikhailov wiederum richtet den Blick auf das Urlaubsleben der Achtzigerjahre auf der Schwarzmeerhalbinsel, die für die Menschen in der Sowjetunion Mythos und Sehnsuchtsort zugleich war. Die Fotografien zeugen von sommerlicher Leichtigkeit des Seins, von Lebensfreude am Meer, aber auch von der Illusion von Freiheit – treffend arrangiert im Porträt einer jungen Frau mit Sommerhut an einer Bar vor zwei lebensgroßen Por­träts von Marx und Engels.

Natürlich spielt der russische Angriff auf die Ukraine in vielen Arbeiten eine große Rolle. Der junge Kiewer Künstler Sasha Kurmaz hat einen Fries aus Collagen gefertigt, der als eine Art Tagebuch dokumentiert, was er seit der Invasion erlebt: Zerstörte Häuser, Menschen, die in U-Bahn-Schächten Schutz vor Bombenangriffen suchen, bei einem Angriff getötete Zivilisten. Nikita Kadan wiederum hat in als Kreuz aufgestellten Metallregalen Blumenkästen, sowjetische Kunstbücher, Kunst aus dem Nationalmuseum der Ukraine und den Kunstsammlungen Dresden mit Teilen russischer Geschosse und ihrer Folgen kombiniert, darunter geschmolzene Trinkgläser, eine zerstörte Satellitenschüssel sowie Ruinenfragmente, die er in befreiten Gebieten fand. Ein verbeultes Stück Blechdach habe er zwei Minuten von seinem Zuhause entfernt aufgesammelt, berichtet Kadan bei der Eröffnung.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!